3-Ein bedrohlicher Koloss

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Mit einem Mal kam mir Alles gar nicht mehr so traumhaft und wunderschön vor. Es wirkte bedrohlich. Plötzlich waren an den Wänden keine hübschen Holzverkleidungen mehr. Für mich waren es Holzwände, die an Eisen genagelt wurden. Schweres aber keinesfalls stabiles Eisen. Eisen, das uns alle in die Tiefe reißen würde. Natürlich versuchte ich, mir von alldem nichts anmerken zu lassen, aber ich merkte, dass Paul auch ein wenig angespannt aussah.

Als ich gerade Marmelade auf mein Brötchen schmierte (ich vermisste Nutella zutiefst!), kam Rose durch eine große Flügeltür, welche zum Speisesaal der ersten Klasse führte. Ihre Haare waren unordentlich und Tränen standen in ihren wütend funkelnden Augen. Sie stürmte zu unserem Tisch hinüber. „Es tut mir so leid!“ rief sie und legte ihr Gesicht in ihre Hände. Die Leute an den benachbarten Tischen starrten zu uns herüber. „Ich… ich wollte das nicht! Carl… er hat…“ Sie fing an zu weinen. Ich verstand nicht. Was sollte Carl gemacht haben, wofür sie sich bei uns entschuldigen müsste? „Es ist Ok, was hat er getan?“ fragte ich sie mit ruhiger Stimme. „Er… Schlafmittel… Salzstangen und… dann… ihr… gegessen!“ Sie schaute uns an. Ihre Schminke war verschmiert, und ihr Gesicht war Tränenüberflutet. Jetzt verstand ich, warum wir ausgerechnet heute so lange geschlafen hatten. Ich schaute Paul an. „Aber das ist doch nicht deine Schuld“ sagte er, „und im übrigen hatten wir sowieso überlegt, noch länger zu bleiben. Carl hat uns nur unsere Entscheidung abgenommen.“ Ich wusste, dass er log. Aber er machte es gut, und Rose beruhigte sich. Sie wischte sich ihre Tränen aus den Augen. „Habt ihr heute schon Jack gesehen?“ „Nein, tut mir leid.“ Antwortete ich. In diesem Moment sprang die Tür auf und ein wütend dreinblickender Mann kam mit schnellen Schritten auf unseren Tisch zu. „Rose, ich hab dir gesagt, du sollst dort bleiben. Ich will hier keinen Aufstand anzetteln, also komm jetzt mit.“ Raunte er ihr ins Ohr, so das nur Paul und ich noch etwas davon mitbekamen. Er nahm sie am Arm, und zog sie hinter sich her in Richtung erste Klasse. Sie schenkte uns einen letzten entschuldigenden Blick, bevor sie durch die Tür verschwand.

Ich hatte ziemlich Mitleid mit ihr und hoffte, sie käme irgendwie von ihm los.

Paul und Ich aßen in Ruhe auf und machten uns dann auf den Weg zum Deck. Auf dem Weg begegneten wir zwei Offizieren, die mit Freude darüber sprachen, dass die Titanic nun Höchstgeschwindigkeit fuhr. Mir gab das einen kleinen Stich in die Magengrube und am liebsten hätte ich den beiden mal gehörig meine Meinung gesagt. „Jetzt freuen sie sich noch… in drei Tagen werden sie das bitter bereuen.“ flüsterte ich zu Paul.  Er nickte „Aber wir werden es auch bereuen.“ sagte er. Seine Stimme klang besorgt. Wir kamen an Deck an und schauten uns ein wenig um. Nach einer Zeit entdeckten wir Rose und Jack auf einem Liegestuhl. Rose hatte eine braune Ledermappe in der Hand und blätterte sie durch. Jack deutete mit dem Finge auf die Mappe. „Nein, nur mit ihren Händen. Sie war eine einbeinige Prostituierte. Siehst du? Naja, sie hatte Sinn für Humor.“ Sagte er  und die beiden lachten.

„Was gibt´s denn da zu lachen?“ fragte Paul. Ich stöhnte innerlich auf. Wie wenig Taktgefühl konnte man eigentlich haben? „Guten Tag Paul, hallo Lucy.“ Man merkte Rose an, dass sie aus der ersten Klasse stammt. „Guten Morgen.“ begrüßte ich die beiden. Wir setzten uns dazu. Rose hielt mir das Ledermäppchen hin. „Sieh mal, Jack ist wirklich talentiert!“ Ich schaute auf die Zettel und sah eine junge Frau. Zumindest die Zeichnung einer jungen frau. Die Zeichnung war wirklich großartig! Man konnte die genauen Konturen sehen und die Schattierungen waren atemberaubend realistisch.  „Jack, die sind einfach klasse! Bei wem hast du das gelernt? Picassos Enkel?“ Ich hielt die Zeichnung Paul hin und schaute zu Jack. „Wer ist Picasso?“ fragte er. „Das ist ein junger Künstler. Er steht noch am Anfang seiner Karriere.“ sagte Rose und schaute mich verwirrt an. Ich biss mir auf die Zunge. Natürlich! Ich hatte vergessen, dass Picasso im Jahr 1994 zwar schon gestorben war, aber jedem etwas sagte, während er im Jahr 1912 noch niemandem bekannt war. „Ähm,… Ich hab nur Spaß gemacht. Ich meine bei Picasso höchstpersönlich!“ „Nein, das konnte ich schon immer.“ sagte er und grinste verlegen. „Ich hab damit mal eine Zeit lang in Paris mein Geld verdient.“ Ich bewunderte ihn ein wenig. Er hatte gar nichts, musste sich mit Straßenjobs über Wasser halten und konnte darüber auch noch lachen!

Paul gab die Ledermappe zurück an Jack.

Eine Trompete ertönte und spielte ein paar Takte. „Oh, schon Mittagessen? Jack, Paul, Lucy, ich muss los. Carl ist wahrscheinlich schon am ausrasten!“ sagte sie und lachte, während sie sich erhob und in Richtung Kabinen verschwand. „Wir zwei werden auch gehen. Treffen wir uns heute Abend wieder?“ „Alles klar. Bis später.“ Sagte Jack und ging zu einer kleinen Tür. Offensichtlich die Tür, die zur dritten Klasse führte. Paul und ich gingen zum Speisesaal. Mittags gab es nur ein Buffet, da es nachmittags auch noch Kuchen und abends ein Essen mit mehreren Gängen gab.

Nach dem Essen gingen wir in unsere Kabine. „Ich geh baden. Kommst du mit? Es ist Platz für zwei.“ Paul lächelte mich an. „Bring mich direkt zum Arzt, wenn ich auf diese Frage jemals „nein“ Antworten würde!“ sagte er und umarmte mich. Ich ließ schön warmes Badewasser ein und zog mich aus. Im Badezimmerschrank fand ich noch Badeschaum und kippte davon etwas ins Wasser. Einen Moment später kam Paul rein, zog sich aus und wir gingen ins Wasser. Es war sehr angenehm. Wir bewarfen uns gegenseitig mit Schaum und spritzten uns ein wenig nass.

Nachdem wir das Bad geflutet hatten stiegen wir aus der Wanne und kuschelten uns in unsere Bademäntel. Nachdem wir uns noch ein wenig auf das Sofa gesetzt hatten, ging ich zum Schrank und holte ein braun-oranges Kleid mit einem tiefen Ausschnitt aus dem Schrank. Ich streifte es über und ging ins Bad um meine Haare fertig zu machen. Leider gab es noch keinen Föhn, also musste ich sie mit einem Handtuch trocken reiben. Ich steckte die Haare elegant hoch. Als ich wieder aus dem Bad kam stand Paul schon in einem Frack an der Tür und wartete auf mich. „Kommst du, Prinzessin?“ „Aber sicher.“

Zwei Pärchen auf der Titanic (Rubinrot-Titanic FF, in ÜberarbeitungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt