Die nächsten Stunden sind wie im Flug vergangen. Und darum bin ich auch ziemlich froh. Als Mittagsschule noch zwei Stunden Englisch und der Tag ist geschafft.
Ich packe meine Sachen in den Rucksack und merke, dass schon fast alle das Klassenzimmer verlassen haben.
Hungrig verlasse ich meinen Platz und laufe zur Tür. Ich schaue nochmal zu meinem Tisch, um sicher zu gehen, dass ich nicht doch etwas vergessen habe.
Dabei sehe ich Eijun, der langsam zum Ende mit seinem Schulstoff einpacken kommt.
Ziemlich ignorant von mir, einen Schüler, dem alles hier fremd ist, einfach so zurückzulassen. Deswegen gehe ich nochmal zu ihm.
"Weißt du schon, was du in der Pause machst?" frage ich freundlich.
Er sieht mich an und schüttelt den Kopf.
Darauf entgegne ich: "Willst du mit mir zum Supermarkt hier gehen und was zum Essen kaufen? Das Essen in der Mensa ist echt 'ne Zumutung."
"Gerne. Danke."
Ich lächle und zusammen verlassen wir die Schule und machen uns auf dem Weg zum Supermarkt gleich hier in der Nähe.
Die Stille ist mir etwas unangenehm.
Vorerst Wortlos laufen wir nebeneinander her.
"Du kommst aus Irland, richtig?"
Er bejat meine Frage.
"Ähm... Dafür klingt deine Name aber ni-"
"Nicht irisch. Ja, ich weiß. Meine Eltern fanden ihn einfach nur toll. Mehr steckt nicht dahinter."
War das sein längster Satz heute? Kommt mir so vor.
"Dafür ist dein Deutsch aber echt gut. Lernt man unsere Sprache in den irischen Schulen?"
"In meiner Schule nicht. Meine Mutter hat mal in Deutschland gelebt und ihre Schwester lebt hier immer noch, die wir öfters besuchen."
Ich nicke.
"Zweisprachig aufzuwachsen ist schon von Vorteil." überlege ich laut.
"Ist es. Bei meiner Tante lebe ich jetzt auch während meiner Zeit in Deutschland."
"Praktisch" sage ich und dann sind wir auch schon an unserem Ziel angelangt.
Wir kaufen uns was vom Asiaten, der im Supermarkt stationiert ist und gehen auch schon wieder zurück.
"Wollen wir uns draußen hinsetzen? Das Wetter ist gut, das sollte man ausnutzen." frage ich meinen neuen Nebensitzer.
Er nickt und antwortet: "Wollte ich dich auch fragen. Hier ist es gerade sonniger als in meiner Heimat."
Auch wenn Eijun etwas emotionslos rüber kommt, finde ich ihn sympathisch. Er ist zwar direkt, aber das macht nichts kompliziert. So was brauche ich.
Wir setzen uns auf eine Bank auf dem Pausenhof und fangen an, unser Mittagessen zu essen.
"Bist du gut in Englisch?" fragt er mich aus heiterem Himmel.
Oh Mann.
"Na ja..." nuschel ich und esse, um Zeit zu schinden, noch einen Happen.
"Ist doch nicht schlimm. Dafür klappt es bei mir in Französisch nicht immer blendend." sagt er freundlich.
Haben wir etwa denselben Gedanken?
"Das passt doch. In Französisch habe ich eine 2+. Du kannst mir in Englisch etwas helfen und ich dir in Französisch. Was meinst du?"
Er nickt zustimmend: "Klingt doch gut."
Oh, bin ich gerade erleichtert. Das passt perfekt.
Wir werden mit dem Essen fertig und entsorgen die Verpackungen.
In einer erneuten Stille setzen wir uns wieder auf die Bank.
Ich schaue Eijun an und bemerke, wie er die Augen geschlossen hat und leicht lächelnd in die Sonne schaut.
Ich grinse und lasse ihn das gute Wetter genießen. Nach einer gewissen Zeit mache ich es ihm gleich.
Ich Tagträumer versinke wieder in Gedanken, werde aber gleich wieder in die Realität geholt.
"Wieso bist du bis heute eigentlich alleine gesessen?" fragt Eijun, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen.
Ich öffne ein Auge und drehe meinen Kopf etwas in seine Richtung.
Was für eine dumme Frage.
"Mein alter Sitznachbar hat die Schule gewechselt und die Schüleranzahl unserer Klasse war gerade." antworte ich schnell und schließe wieder meine Augen und blicke der Sonne entgegen.
"Verstehe."
Das ist alles, was er dazu sagt? Wahrscheinlich denkt er sich alles nur, was er eigentlich sagen will.
"Aber du bist trotzdem ein kleiner Außenseiter, auch mit Sitznachbar, oder?"
Ich hoffe, ich bilde mir sein Grinsen in der Stimme nur ein. Ich wage es gar nicht, ihn anzuschauen. Das übernimmt eh er.
"Ajou?"
"Mann, was soll ich dazu sagen?"
"So, wie es eben ist."
Ich seufze.
"Wenn man in dieser Klasse nach einem guten Abschluss strebt, ist man ein Außenseiter, ja."
Den ganzen Satz sage ich sehr schnell, um dieses Thema schnell zu beenden. Eijun kann mit seiner direkten Art auch unangenehme Dinge veranlassen.
"Aja. Aber das ist nicht der einzige Grund, nicht wahr?"
Schon wieder dieses Grinsen in der Stimme. Worauf will er denn hinaus? Ist er doch nicht so korrekt, wie ich anfangs dachte?
"Was weiß ich! Mich kann nicht die ganze Welt mögen!" sagte ich etwas pampig.
Wenn ich mich nicht sofort zusammenreiße, checkt er doch, dass das einer meiner Schwachstellen ist.
"Stimmt auch wieder." meint er knapp.
Wir öffnen gleichzeitig unsere Augen, weil wir Schritte wahrnehmen, die lauter werden.
Ich schaue in ein bekanntes Gesicht.
Muss das jetzt sein?!
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Der Austauschschüler
Short StoryEijun ist als Austauschschüler der Neue in Ajous Klasse. Er scheint desinteressiert in allem und nimmt auch kein Blatt vor den Mund. War es richtig so, dass er sich neben Ajou gesetzt hat?