Der Austauschschüler

Dieser Jemand, dieser Engel

Keine Stelle an meinem Körper, die nicht mit einer intensiven Gänsehaut versehen ist.
Ich senke meinen Kopf und schaue seine Hand an. Sie ist so angenehem.
Und obwohl mich diese ganze Situation mehr als nur verwirrt, wünsche ich mir, dass er mich nicht loslässt. Dass dieser Moment ewig verharrt.
Ich schaue ihn wieder an.
"Und... Wer ist dieser Jemand?" frage ich ihn.
Er lässt mich los und legt seinen Kopf leicht schief.
Die Gänsehaut. Urplötzlich weg.
Still schweigend sieht er mich an.
"Etwa... Ilaria?!"
Wehe. Wehe! Er würde sich damit nur selber ins Bein schießen.
"Hör mal, gegen seine Gefühle kann man nichts tun. Aber bitte lass dich nicht auf sie ein!" flehe ich ihn an.
Was bin ich eigentlich so aufgebracht? Sein Privatleben geht mich ja genau genommen nichts an...
Eijun schaut mich verstört an und lacht. Seine Wangen werden rot.
"Alles in Ordnung?" frage ich lieber zur Sicherheit.
Er hört auf und lächelt mich an.
"Du bist wirklich einer der tollsten Menschen, die ich kennen lernen durfte. Dir böse zu sein, dir etwas übel nehmen, das geht einfach nicht."
Ich bin so überfordert. Was passiert hier?
"Glaub mir, es ist wirklich schwer, mich zum Lachen zu bringen. Aber du schaffst es so einfach. Du bist so eindrucksvoll. Deine Persönlichkeit kann man wirklich nur mit einem Engel vergleichen."
Er kommt mir wieder näher und mit jedem Centimeter schlägt mein Herz schneller und lauter. Es wird ganz schwer in meiner Brust.
Seine Hand umfasst meine. Ganz sanft, ganz weich, ganz liebevoll.
"Ich will diesen Engel, ich brauche diesen Engel bei mir, Ajou. Du bist dieser Jemand."
Wie bitte?! Ich liege ihm am Herzen? Er will und braucht mich? Aber ich und meine Gefühle sind ein einziges Chaos! Und seit wann kann er so zart sein?!
Ich mache ein paar Schritte zurück, das alles überfährt mich!
Und überhaupt... Das klang wie ein Liebesgeständnis, oder? Wir sind doch beide Jungs...
"Warum bist du so aufgebracht?"
"Warum ich so aufgebracht bin?! Du sagst mir vom einen Moment auf den anderen, dass du mich willst und brauchst! Was soll denn das, was willst du damit sagen?!"
"Ich will dir damit sagen, was ich fühle. Ganz einfach."
Er steckt seine Hände in seine Jackentaschen. Und ich stehe einfach nur da und habe das Gefühl, dass meine Knie mich nicht mehr lange tragen können.
"Na, hast du was anderes von mir erwartet?" grinst er frech.
Das ist Eijun. Das ist so, wie ich ihn kenne. So, wie ich ihn mag. So, wie ich ihn kennen gelernt habe.
"I-Ich..."
"Tut mir leid" er dreht sich leicht von mir weg und schaut auf die Stadt "Das war ziemlich plötzlich, nicht wahr? Wahrscheinlich denkst du auch, dass das ein Scherz ist."
Er lacht leicht und massiert sich mit Daumen und Zeigefinger das Nasenbein.
Er murmelt weiter: "Da kommt mal so was von mir. Da zeige ich einen anderen, geheimen Teil von mir und man nimmt mich nicht ernst... Es war ja klar."
Ich spüre, wie sich wieder mein Regen ankündigt, doch ich blinzle ihn weg. Und diesmal bin ich der jenige, der sein Handgelenk festhält. Ich weiß, dass er das ernst meint und das sage ich ihm auch.
"Eijun, ich verstehe kein Wort, von dem, was du zu mir über mich gesagt hast. Aber ich möchte nichts falsch machen. Und bevor ich etwas falsch mache, sage ich dir, dass egal, was das alles hier gerade bedeutet, ich dich nicht von heute auf morgen verlieren will! Ich will weiter Zeit mit dir verbringen."
Diese ganzen Worte sprudeln aus mir heraus, während ich ihn fest in meinen Armen halte. Das brauche ich jetzt. Meine Augen zusammen gepresst und zitternd stehe ich da, in der Hoffnung, dass das, was ich eben gesagt habe, nicht das falsche war.
Das Zittern verschwindet und meine Augen entspannen sich, als ich seine wärmegebenden Arme auf meinem Rücken spüre. Es tut so gut, ich habe mich selten so wohl gefühlt.
Ein geflüstertes "Danke" dringt in mein Ohr. Und ich hatte nie das Gefühl, jemals ein ehrlicheres gehört zu haben.