Erwartungen

4K 353 5
                                    

Eine kleine Weile schauen wir uns einfach nur an.
"Hi."
Hi?
HI?!
Wutentbrannt schmeiße ich meine Schultasche auf den Boden, schließe die Zimmertür und trete etwas mehr in den Raum.
Eijun zuckt leicht zusammen, gibt aber keinen weiteren Ton von sich. Um ehrlich zu sein, erkenne ich mich selber nicht wieder, aber ich bin so enttäuscht, dass ich wieder mit den Tränen kämpfen muss.
"Du fliegst zurück nach Irland, sagst mir gar nichts davon und jetzt stehst du da, begrüßt mich und tust so, als wäre alles in Ordnung?!"
Er senkt den Kopf und widmet lieber dem dämlichen Koffer anstatt mir seinen Blick. Ich habe keinen Plan, wie er es wieder schafft, aber dadurch, dass er nichts sagt und ruhig bleibt, beruhige ich mich auch etwas. Etwas.
"Wieso hast du mir nichts gesagt?"
Er seufzt tief und angespannt. Ich rücke ihm sicherlich wieder auf die Pelle. Aber er ist mir ganz klar eine Erklärung schuldig.
"Ich fliege ja nicht morgen. Ich wollte, dass in dieser Zeit nicht so eine beschissene melancholische Stimmung zwischen uns beiden ist."
Nach diesen Worten lehnte sich Eijun an den Schreibisch und stützte sich mit den Händen ab.
"U-Und wann fliegst du?"
"Übermorgen."
Ich hebe meine Arme hoch und lasse sie wieder runterfallen. Sieht er das alles als Scherz?!
"Warum sagst du es den anderen, verdammt?!" frage ich empört.
Ein leises Murmeln. "Weil die Penner unwichtig sind."
Oh Mann... Ich benehme mich wieder so selbstsüchtig und ignorant...
"Aber wie kann es denn sein, dass du nach so kurzer Zeit wieder heim gehst?"
Ich versuche, alles sanft klingen zu lassen, doch ich habe ein deutliches Zittern in der Stimme. Eijun schaut aus dem Fenster.

Ich bin ein Mensch, der mit solchen Situationen nicht umgehen kann und es auch nie schaffen wird. Diese unfassbare Unzufriedenheit, Sehnsucht, Unverständnis, Verzweiflung und Enttäuschung. Sie fressen mich auf. Ich will doch nur mehr mit Eijun unternehmen.

Im selben Moment, in dem ich meine Hände zu Fäusten balle, verschwindet der Kloß in meinem Hals und ich gebe mir einen Ruck.
"Eijun. An dem Abend, als du mir mit einem warmen, echten Lächeln gesagt hast, dass du mich brauchst, war ich so unendlich glücklich."
Sein Blick schweift zu mir und er sieht mich mit einem neuen Blick an. Diese vielen Facetten an Eijun machen mich so verrückt. Ich will alle kennen lernen. Aber dafür reicht die Zeit wohl nicht mehr.
"Weil... Ich dich auch unbedingt brauche. Aus welchem Grund auch immer, aber ich brauche und will dich an meiner Seite! Ich tue alles dafür, dass du übermorgen nicht heimfliegst!"
Mir kommt es so vor, dass mein Redefluss so frei entstanden ist, weil Eijun mich kontrolliert. Ja, das kann man kontrollieren nennen. Durch seine Art, wie er ist, kontrolliert er mich. Ich weiß nicht, was er mit mir gemacht hat. Vielleicht finde ich es heraus, wenn ich mehr Zeit mit ihm verbracht habe?
Er stoßt sich vom Schreibtisch auf und geht wieder auf mich zu, bleibt direkt vor mir stehen und sieht mir in meine Augen. Das veranlasst auch, dass meine Hände sich lockern.
"Bitte sag mir nicht, du hast das an jenem Abend gesagt, weil du Alkohol getrunken hast." flüstere ich vorsichtig.
Er sieht mich lange und prüfend an. Sein Kopf bewegt sich zu meinem Ohr und antwortet in derselben Lautstärke: "Das Bier war alkoholfrei, Ajou."
Ich merke, wie mein Kopf heiß wird. Ich habe ihm was ziemlich freches unterstellt und schäme mich wieder in Grund und Boden. Warum sollte Eijun wollen, dass ich ihn näher kennen lerne?
Trotz meinem Kommentar grinst er mich an.

Der AustauschschülerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt