Part 6 - Die Wahrheit

53 4 3
                                        

"Ich verstehe nicht...", verwirrt blicke ich ihm in seine matten Augen. "Es ist kompliziert." "Das Geringste im Leben ist kompliziert. Wir denken nur das wäre es und machen es uns damit erst kompliziert." "Ich werde verfolgt", er zögert.   

"Sprich weiter." "Nein, ich sollte nicht!", er wirkt angespannt, seine Finger zucken und er krallt sich an dem Saum seiner Jacke fest. "Ach komm, verrat es mir. Du hast schon so viele bescheuerte Dinge erzählt. Ich werde dich nicht auslachen", ich grinse ihn schief an. Plötzlich tickt er aus: "Du findest das lustig? Du hast ja keine Ahnung! Ich habe deswegen alles verloren. Alles!" Er nähert sich mir und sein Gesicht ist meinem unglaublich nah. Doch diesmal liegt keine Sanftheit in seinem Blick, sondern ausschließlich loderndes Feuer. Ich fange an zu zittern. "Verlier nicht die Kontrolle, bitte! So habe ich das nicht gemeint!" Er bringt wieder Festigkeit und Verstand in seinen Blick, ehe er weiterspricht. "Natürlich nicht. Es tut mir Leid. Lass mich jetzt bitte allein", er spricht klar und deutlich. "Was? Wie soll das gehen?" "Spring aus dem Fenster. Wenn du Glück hast brichst du dir nur beide Beine, wenn nicht, dein Genick. Oder versuch an der Fassade runter zu klettern, ist mir egal. Die Hauptsache ist, dass du von hier verschwindest. Sonst bringt dich das Feuer um", die Kälte in seinem Blick, lässt mich glauben.

Ich fange an ihn ernst zu nehmen, egal, wie bescheuert seine Forderung in diesem Moment ist: "Oh, okay... und was ist mit dir?" "Was sollte mit mir schon sein?" "Na, wie kommst du hier raus?" "Ich denke nie. Meine Asche wird sich mit der von dem Haus vermischen und irgendwann wird der Wind uns ergreifen und hinfort tragen. Ist das nicht ein romantisches Bild? Und jetzt geh schon!", er schiebt mich etwas ruppig vorwärts. Aber ich stemme mich dagegen: "Ich werde nicht gehen! Nicht ohne dich!" "Ist das dein Ernst? Du willst jetzt diese Wir-bleiben-für-immer-und-ewig-zusammen-Scheiße abziehen? Hau ab! Verpiss dich! Ich will sich hier nicht haben!" "Vergiss es", meine Stimme klingt überraschend fest. "Weißt du eigentlich wie stur du bist? Das hasse ich an Mädchen! Hör auf mich und verschwinde. Jetzt! Sonst schmeiß ich dich aus diesem verfickten Fenster!" Er hebt mich grob an den Hüften hoch und will mich in Richtung Fenster tragen. "Fass mich nicht an!" Ich schlage und beiße bis er mich loslässt.

"Ich werde nicht gehen", hauche ich außer Atem. "Ich weiß und es tut mir Leid." "Sollte es auch, man fasst ein Mädchen nicht an, wenn sie das nicht will." "Es tut mir Leid dich hier festzuhalten", ich höre echte Reue in seinen Worten. "Naja, im Moment willst du eher das Gegenteil. Findest du nicht?" "Ich will, dass du lebst." "Und ich will, dass du lebst." "Du hast das Leben verdient. Du hast einen guten Beruf verdient, eine liebevolle Familie, treue Freunde. Du hast einen guten Mann verdient. Du hast alles verdient was du willst." "Ich will aber nur eines..." Er unterbricht mich: "Sprich nicht weiter. Ich bin kein guter Mensch." "Wer ist das schon?" "Nein, Leslie, du kennst mich nicht. Ich bin ein Dieb vielleicht sogar etwas Schlimmeres. Ich habe Informationen, die andere auch wollen. Deswegen bin ich eine Gefahr für dich." "Ich will es aber so. Mir ist egal, was auch immer du früher geklaut hast! Für mich zählt nur die Gegenwart! Du bist kein schlechter Mensch!", ich merke, dass ich vor Allem mich selbst davon überzeugen will.

"Sprich nicht über etwas, von dem du keine Ahnung hast. Ich habe diese Informationen gestohlen, um mich selbst zu bereichern. Ich gehe über Leichen. Tun das gute Menschen?" "Ich weiß nicht, aber..." "Ich bringe Leute um, Leslie", er sagt es so sachlich. Als hätte er selbst gar nichts damit zu tun. "Und ich werde auch für deinen Tot verantwortlich sein." "Meinen?", das Wort schafft es kaum über meine Lippen. "Ich habe dich hierhin gelockt um nicht alleine sterben zu müssen."

"Was?", ich kann es nicht fassen. "Es war alles eingefädelt", verkündet er mit fester Stimme. "Eingefädelt? Du meinst den Brand?" "Nein, den haben die Leute gelegt, die mich jagen. Du musst wissen, dass ich mich schon sehr lange hier verstecke. Es ist der perfekte Ort. Immer ist irgendwer da, der sie sehen könnte. Sogar nachts wimmelt es hier von Leuten." Die Obdachlosen! Die Schule macht bei irgend so einem sozialen Projekt mit, bei dem die Menschen ohne Hab und Gut lernen wie man Bewerbungen schreibt oder so etwas in der Art. Die Penner nehmen an einem zweistündgen Abendkurs teil, kriegen Suppe und dürfen in den Kellerräumen schlafen.  "Die haben wohl gedacht, dass ich rauskomme wenn de hier ein bisschen rumfackeln. Da haben sie sich aber gewaltig geschnitten!", sein bitteres Lachen lässt mich zusammenzucken. "Wieso sind die nicht einfach reingekommen?" Dann wäre ich jetzt nicht in dieser beschissenen Situation. "Das wäre zu auffällig gewesen. Ich bin nicht der Einzige der hier gesucht wird."

"Und das mit mir? Das hast du also eingefädelt?", ich spüre eine heiße Träne mein Wange hinunterrollen. "Ja. Es tut mir Leid." "Wie hast du... ich meine, wie konntest du wissen, dass ich hier bleibe?" "Das konnte ich nicht. Ich habe noch ein Portemonnaie, einen iPod, Autoschlüssel und eine Hausarbeit versteckt." "Es war Zufall?" "Nicht ganz. Die Unvernünftigste ist hiergeblieben." "Und ich war diejenige", das kühle Messer der Enttäuschung sticht in mein Herz. "Ja", er blickt zu Boden." "Wie konntest du nur?", meine Stimme versagt.

"Es tut mir leid." Ich nicke, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Nun stehen wir da: Zwei verlorene Menschen, die sich nichts mehr zu sagen haben. Kein Wort. Doch auf einmal schreckt der Junge  hoch: "Hörst du das auch?" Wie könnte man das überhören? Es ist das Klappern dutzender Stiefel auf  fragilem Linoleum und das Donnern von aufgestoßenen Türen. "Feuerwehr?", bringe ich heraus und ein Keim der Hoffnung fängt in meiner Brust an zu wachsen. "Nein, das glaube ich nicht", plötzlich entgleisen seine Gesichtszüge und er packt mich bei der Hand. Er ist zu schnell, als dass ich reagieren könnte, also lass ich mich mitziehen. Er hebt mich auf das Fensterbrett und hüpft mit einem Satz geschmeidig neben mich. "Wir springen", entscheidet er und bevor ich auch nur ein Wort der Widerrede rausbringen kann, merke ich wie sich der Boden unter uns löst. Aus den Augenwinkeln sehe ich noch wie ein Haufen schwarzgekleideter Männer mit Sauerstoffmasken in den Raum stürmen. Das ist seltsam. Mehr besorgt mich gerade aber der Boden, der sich uns grausam schnell nähert.

In diesem Moment ertönt ein Schuss.

Burning LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt