In diesem Moment höre ich ein leises Klingeln. Ich bin nicht annähernd in der Verfassung es zu deuten. Aber dem Junge scheint es da anders zu gehen. Er erstarrt für einen Augenblick, klammert sich dann an meinem Arm fest. "Geh nicht dran! Bitte, geh nicht dran.", flüstert er. "Was?" Ich brauche eine Sekunde um zu realisieren, dass die Quelle des Geräusches mein Handy sein muss. Ich versuche mich loszureißen, doch seine Hände umklammern mich wie ein Schraubstock. "Das ist ein Trick. Sie wollen deinen Standort!", ruft er. "Du bist doch krank", brülle ich, "wir werden nicht verfolgt. Du bildest dir das ein! Wir haben nur ein Problem und das ist im Stockwerk unter uns und ziemlich heiß, also lass meine Arm los" Und tatsächlich lässt er von mir ab. Ich folge dem Klingeln. Es führt mich zu dem Klassenschrank. Keinen Schimmer, wie es dorthin gelangt ist. Wahrscheinlich hat irgendeiner der Volltrottel unsere Klassen es da hinein gesteckt. Ich öffne die Schranktür und wie es da vibrierend zwischen den Büchern lag muss ich bitter lachen. Nur wegen diesem Scheißhandy bin ich überhaupt in dieser Situation. Ich zögere eine Moment, denn es kommt mir wie ein Fremdkörper in einer neuen Welt vor und ich fürchte mich vor dem was er anrichten könnte. Doch schließlich verlieren sich meine Gedanken und ich greife zu dem Telefon. "Leslie?", höre ich eine verbrauchte Stimme aus dem Hörer.
"Eve", antworte ich weil mir nichts besseres einfällt. "Gott sei Dank bist du da raus gekommen. Die wollten schon einen Suchtrupp darein latschen lassen. Ich hab mir echt Sorgen gemacht. Die Schule bricht bald zusammen. Wieso hast du denn nicht Bescheid gesagt? Leslie? Wo bist du überhaupt? Leslie?" Ich brauche eine Weile bis ich die Worte in meinem Kopf zu Sätzen geformt habe. "Nein, hör zu: Ich bin...", plötzlich hechtet der irre Junge zu mir herüber und reißt mich zu Boden. Das Handy rutscht mir aus der Hand und klatscht gegen die Wand. "Gott, was ist nur los mit dir?", schreie ich ihn an. Er liegt auf mir und ich versuche ihn von mir runter zuschieben, doch er drückt sich nur noch fester an mich. "Es tut mir Leid, aber ich kann doch nicht zulassen, dass du ihnen unseren Standpunkt verrätst. Es tut mir Leid", die Melodie seiner Stimme und die Wärme seines Körpers auf meinem, lässt mir keine andere Wahl, als ihm zu verzeihen. "Die Welt, die du dir da ausmalst ist nicht real. Da sind keine Leute die dich töten wollen. Versteh doch, da ist nur ein Feuer unter uns, das uns nicht mehr viel Zeit gibt. Deswegen müssen wir hier weg. Geh jetzt bitte von mir runter", ich bin selbst überrascht wie einfühlsam meine Stimme klingt.
"Es tut mir Leid. Aber ich kann nicht", er klingt verletzlich, "Ich brauche jetzt jemanden." Sein Gesicht kommt meinem näher. "Jemanden für was?", wispere ich und sauge seinen Blick auf. "Jemand der mir Gesellschaft leistet." Seine Hand streicht zart über meine Wange. Er fühtl sich wie ein Windhauch an. "Wobei?" In diesem Moment treffen unsere Lippen aufeinander und wir küssen uns. Es ist ein sanfter, liebevoller Kuss, in dem er mir immer wieder durchs Haar fährt. Es fühlt sich gut an. Als hätten wir von Anfang an nichts anderes tun sollen. Eine Ewigkeit liegen wir übereinandergestapelt auf dem Boden. Dann hört er plötzlich auf. "Ich denke, ich sollte es dir jetzt sagen." "Was sagen?" Er steht auf und hilft mir hoch, dann holt er einen Stuhl und drückt mich behutsam hinein. "Wer ich bin."