6. Tagebucheintrag

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 Liebes nicht-Tagebuch,


einige Wochen nach unserem ersten zusammenstoßen gab Ardian wieder eine Party. Ich hatte ihn seit damals nur ein paar Mal in der Uni gesehen, wo er mir höflich zunickte, grinste oder ab und an mal ein flüchtiges »Hi«, im Vorbeigehen murmelte. Jedes Mal aufs Neue spürte ich ihn bereits kurz bevor wir uns tatsächlich begegneten. Dieser nahe, drohende Sturm, den ich bereits auf der Party gespürt hatte kurz bevor wir uns das erste Mal begegnet waren, haute mich jedes Mal aufs Neue aus der Bahn. In seinen Augen musste ich ziemlich gestört rübergekommen sein. Seit unserem ersten gemeinsamen Gespräch auf seinem Balkon hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen. Und das war auch gut so. Wenn ich an die tanzenden Galaxien in seinen dunklen Augen dachte, schnürte sich in mir etwas zusammen, wand sich, wurde kalt und tat mir unglaublich weh. Irgendwo tief in mir drin wusste ich natürlich was es war. 

Dieses Mal war die Party anders. Lauter. Stürmischer. Wilder. Aus den Boxen die an nahezu jeder Wand hingen, dröhnten laute, schräge, alte Britische Punk Songs und ließen den Boden auf seltsame Art wackeln. Ich nahm einen Schluck aus dem Bier, welchesTheo mir beim Reingehen in die Hand gedrückt hatte und bahnte mir hinter ihm her den Weg über den vibrierenden Boden. Theo fühlte sich sichtlich wohler als beim letzten Mal, als wir zusammen hier gewesen waren. Es war ja auch genau sein Musik Geschmack. 

In der hinteren Ecke des Riesigen Zimmers befand sich ein kleiner, durch Holzbalken an denen zahlreiche Lichterketten baumelten, abgetrennter Bereich. In diesem Teil des Raumes wirkte die Musik nicht ganz so wild, dass Licht fiel viel sanfter. Ich betrat den Raum, der wie es sich herausstellte gar kein Zimmer war, sondern nur eine kleine Nische mit einer Tür, die direkt in einen kleinen Garten führte. Oder war es ein Hinterhof? Ich konnte es nicht einordnen. Denn, über den ganzen Platz erstreckten sich die Äste eines riesigen Baumes, der am Rand an einer Mauer stand. An jedem Ast des Baumes waren wieder unzählige Lichterketten angebracht, dazwischen hingen Kerzen in Gläsern an dicken Schnüren von den Zweigen. Alles leuchtete in warmen gelben Farben. Unter dem Baum standen zwei kleine Sofas, deren heller Stoff einladend und weich wirkte. Vor den Sofas stand jeweils ein kleiner Baumstamm, auch hier drang wieder ein warmes Leuchten aus. Ich ließ mich auf einer der Sofas fallen, stellte meine Bierflasche auf einem der Baumstammtische ab und legte den Kopf in den Nacken. Ein sanfter Wind kam auf, ließ die Lichterketten in den Ästen sich sanft hin und her wiegen. Dabei machten sie ein leises, klirrendes Geräusch. Es war magisch, friedlich. Hier konnte ich für immer bleiben. Ich ließ meine Gedanken wegtreiben, schloss die Augen, lies meinen Kopf sich komplett abschalten und nur auf die Geräusche konzentrieren. »Ich habe ja schon erlebt, dass Leute sich in diesen Ort verlieben, aber dass jemand gleich in Trance fällt, ist mir neu.« Sein lachen drang direkt in mein Gehirn. Ich schrak auf, sprang auf die Beine, zitterte, meine Beine gaben nach und ich plumpste wieder zurück auf die Couch. »Hehe.« Mehr brachte ich in diesem Moment nicht heraus. Ardian lachte erneut und nahm dann mir gegenüber auf dem zweiten Sofa Platz. Ich spürte wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Das alles war mir einfach unglaublich peinlich. Noch nie hatte ich mich so seltsam benommen.  »Also«, fing ich unsicher an. Er lachte wieder. »Dir muss das nicht peinlich sein. Ich habe mir hiermit viel Mühe gegeben«, er machte eine ausschweifende Bewegung über den kompletten Hof. »Echt schön, wenn es dann solche Reaktionen wie deine auslöst.« Erleichtert Atmete ich aus und um mich nicht noch weiter zu blamieren, hob ich meine Bierflasche von dem Baumstammtisch auf und trank das restliche Bier mit einem Schluck aus. Die kühle Flüssigkeit beruhigte meine brennende Kehle, fühlte sich gut an in meinem Bauch. »Ist nicht kalt?«, fragte Ardian als eine peinliche Stille zwischen uns eintrat. Erst in diesem Moment, wurde mir klar, dass ich nur in einem dünnen Top bekleidet dasaß, während er einen Marineblauen Kaputzenhoddie trug. »Ein bisschen«, gab ich zu und wie auf Kommando reagierte mein Körper mit einer Gänsehaut. Schnell strich ich mir über die Arme. »Hier«, sagte Ardian, zog seinen Pullover aus und hielt ihn mir entgegen. Unschlüssig schaute ich zwischen dem Kleidungsstück und ihm hin und her. »Na nimm schon«, lachte er. »Der Pulli wird dich nicht beißen, sondern einfach nur warmhalten.« Also nahm ich ihn entgegen und zog mir den Pullover über den Kopf. Er war mir natürlich viel zu groß und reichte bis weit über meine Jeansshorts hinaus, fast schon bis zu den Knien. Jetzt war ich es, die lachte. 

Damit wir uns im Gedränge nicht verlieren würden, liefen Ardian und ich Hand in Hand durch die Leute. Wir waren auf der Suche nach Theo, der Ardian mir nachgeschickt hatte um mich zu finden. Jetzt suchten wir ihn. Aber ich konnte niemanden der Anwesenden Menschen anschauen. Mein Blick war zu Boden gerichtet, ich musste meine gesamte Konzentration darauflegen, um nicht das Atmen zu vergessen. Seine Hand in meiner zu spüren war seltsam, schön und grausam zugleich. Meine Hand, die noch immer kalt war als er sie ergriff, wurde allmählich immer wärmer. Es war, als würde er durch mich hindurch strömen und mich von innen nach außen ganz langsam mit seiner Wärme heilen. 

Als die Sonne aufging gingen wir auf den Balkon, auf dem ich das erste Mal mit Ardian gesprochen hatte. Dort fanden wir Theo. Viele Leute waren zu der Zeit nicht mehr da, aber die, die noch da waren teilten alle das gleiche Gefühl als sich die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont bahnten. Es war ein magischer Augenblick. Man konnte beinahe spüren, wie diese ersten Sonnenstrahlen die Kälte der Nacht vertrieben. Irgendjemand holte sein Handy aus der Tasche und spielte einen Song ab. 

»Sunrise and the new day's breaking through the morning of another day without you as the hours roll by no-one's there to see me cry expept the sunrise the sunrise and you.« 

Ich musste die Arme um mich schlingen. Musste an Nele denken und daran, dass sie niemals wieder einen Sonnenaufgang erleben durfte. 

»Sunrise bless my eyes catch my soul make me whole again.«

 Ardians Duft stieg mir wie ein scharfes Messer direkt in die Nase als ich seinen Pullover bis über meine Nase zog, damit niemand sehen konnte, wie ich mit meinen Gefühlen kämpfte. Der Geruch von Apfel stieg mir in die Nase, durchfuhr meinen gesamten Körper und breitete sich überall in mir aus, wie das Gift einer Schlange.

 »Sunrise, new day hear my song I'm tired of fightin' and foolin' around but from now on till who knows when my sword will be my friend and I'll love you, love you for all of my time.« 

Ich riskierte einen Blick zu Theo, der direkt neben mir stand. Die Hände um das Geländer gelegt, die Augen geschlossen, lauschte er dem ausklingenden Song. Er sah friedlich aus. In mir brodelte es. Wieder dachte ich an Nele. Sie sollte hier neben mir stehen, nicht er. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich trat einen Schritt zurück, doch als ich mich zum Gehen abwenden wollte, sah ich, wie Ardian mich ansah. Sein Blick war unergründlich und seltsam leer. Es war, als würde ich in einen Spiegel schauen. Ich ging auf ihn zu. Lehnte mich neben ihn gegen das Geländer es Balkons und spürte, wie die Sonne in meinem Nacken kribbelte. Ich wollte etwas sagen, doch wusste nicht was, also drehte ich mich wieder in Richtung Sonnenaufgang, lauschte dem neuem Song der gespielt wurde und schob eine Hand in die Bauchtasche des Pullis. Die andere legte ich auf das Geländer, ganz nah an Ardians, so nah, dass unsere Hände sich ganz leicht berührten, dass ich erneut spürte, wie meine Haut durch seine erwärmt wurde.



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