Regenschwarz & 1. Tagebucheintrag

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Regenschwarz hingen die Wolken an diesem Nachmittag am Himmel, bald würden sie platzen vor Traurigkeit, die Wolken würde Millionen von Tränen vergießen, die dunkle Seele des Himmels würden sie traurig lassen, würde nicht zulassen, dass sie bald wieder weiß und weich wurden.

Ich starrte aus dem vergitterten kleinen Fenster, dem einzigen Fenster im Raum von Doktor Waggoner und wartete darauf, dass der Regen endlich aus den schweren Wolken fallen würde. »Wie geht es dir heute, Hannah?«, fragt Doktor Waggoner, nachdem sie ein paar Minuten geschwiegen hatte. »Super, wie denn sonst.« Meine Antwort triefte nur so vor Ironie. Natürlich wusste sie das. »Und wie geht es dir wirklich?«, fragte sie, ihr Stift, mit dem sie jede Kleinigkeit, die ich ihr erzählte, in ein Notizbuch schrieb, schwebte schon über den Seiten. Ich schwieg. Ich hasse so was. Darum erzählte ich Doktor Waggoner auch selten etwas und genau aus diesem Grund, verbrachte ich nun schon ein verdammtes halbes Jahr in der Irrenanstalt. Letzte Woche kam sie auf die Idee, mir dieses Buch in die Hand drücken zu müssen. »Sieh es nicht als Tagebuch, sondern als einen Freund, dem du alles anvertrauen kannst, was du möchtest. Du kannst mir dieses Buch zum Lesen geben, wenn du möchtest, aber du bist nicht dazu verpflichtet. Es ist dir überlassen, ob du deine Gedanken teilen möchtest, oder sie für dich behältst.« Ja genau. Im Endeffekt würde sie mich einfach so lange bequatschen, bis ich es ihr freiwillig rausrücken würde. In den ersten Tagen hatte ich das Buch unter meine Matratze geschoben und verdrängt, dass es existierte. Dann aber brachte Doktor Waggoner etwas, was meine Meinung änderte. In einer unseren Wöchentlichen Gesprächen, erwähnte sie seinen Namen. Sie tat es ganz beiläufig, als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt. Da beschloss ich, die ganze Geschichte aufzuschreiben und ihr dann Eiskalt vorzulegen. Sollte sie ruhig wissen, was für ein Monster ich wirklich war und mich für immer hier eingesperrt lassen. Reden wollte ich mit ihr dennoch nicht darüber, nicht nachdem sie seinen Namen genannt hatte, damit hatte sie ganz eindeutig die Grenzen überschritten.

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Liebes nicht-Tagebuch,

alles fing nach dem Tod meiner besten Freundin Nele an, sie starb bei einem Verkehrsunfall. Ich war dabei. Wir waren beide gerade Achtzehn geworden und überglücklich endlich aus unserem Kaff entkommen zu können. Wir hatten unsere Sachen gepackt, hatten uns eine viel zu kleine aber viel zu teure Wohnung mitten in Berlin gemietet und waren gerade auf dem Weg in unser neues Leben, als man sie aus ihrem Riss. Der Richter sagte, dass der Unfall ihre Schuld war, sie hätte nicht aufgepasst und so dem anderen Fahrer die Vorfahrt genommen. Wie lächerlich. Hätte ich bei der Verhandlung dabei sein können, hätte ich dem Richter ins Gesicht getreten. Sie ist tot. Er lebt. Noch immer. Ich wünschte ich wäre mit ihr gestorben. Innerlich fühle ich mich tot. Aber das Schicksal ist eine miese Schlampe und hat mir nur ein paar Kratzer eingebracht, während meine beste Freundin nur Zentimeter von mir entfernt zerquetscht und aufgeschlitzt wurde. Und der miese Penner, wegen dem das alles passierte, kam einfach so davon. Nachdem ich mehrere Monate wie in Trance verbrachte und all die grausamen Bilder zu vergessen versuchte, lebte er einfach wie gewohnt sein Leben weiter. Irgendwann kam dann Hass in mir auf. Und genau an dieser Stelle möchte ich zu erzählen beginnen.

Von mir war nichts mehr übrig, als kalte, schwarze, neblige Wut. Ich wollte, dass dieser Mensch sich genauso fühlte, wie ich mich in den letzten Monaten gefühlt hatte. Ich wollte, dass er innerlich starb. Ich wollte, dass er alles verlor was ihm lieb und heilig war. Ich wollte, dass er brannte und schließlich seine Seele erfror, dass er zerbrach und nie wieder glücklich wurde. Als ich ihn schließlich fand, war er ganz anders als ich ihn mir vorgestellt hatte. Er schien schon zerbrochen. Es schien, als wäre sein Körper nur eine leere Hülle, die mechanisch die Dinge erledigte, die er früher als lebender Mensch getan hatte. Aber das kümmerte mich nicht. Ich hatte nur vor Augen, dass er noch lebte, während meine beste Freundin, der Mensch der mir in meinem Leben den größten Halt gab, tot war. Und er lebte. Mir war egal wie er lebte, mir war egal, wie es ihm ging. Alles was ich wollte war Rache. Und so erschuf ich Elis Green. Das erste Mal, als ich mit Theo sprach, war ich verwundert wie tief und zu gleich sanft seine Stimme klang. Es war sehr nett zu mir, er bot mir den letzten freien Platz in der Cafeteria an. Dafür hasste ich ihn noch mehr. Es war der erste Tag an der Uni und ich hatte gerade mein neues Leben in Berlin begonnen. Mein neues Leben in der Wohnung, die Nele und ich hätten zusammen bewohnen sollen. Aber das Mädchen was nun in dieser Wohnung lebte, war nicht Nele Oliver und es war auch nicht Hannah Winter, es war Elis Green, die eigentlich gar nicht existierte. Elis Green gab es nur aus dem Grund Theo Stern untergehen zu sehen. Ich hatte also den ersten Schritt getan. Kontakt. In den folgenden Monaten würde ich mich in seinem Leben einnisten und ihn langsam, ganz langsam auseinanderbrechen sehen.

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Jil schrie an diesem Abend wieder wie die verrückte, die sie nun einmal war durch die Gänge. Sie war die jüngste von uns – gerade einmal sechzehn Jahre alt – und Schizophren. »Ihr verdammten Arschgeigen, irgendwann, wenn ich hier raus bin, werde ich wieder reinkommen und dann bring ich euch alle um!« Den letzten Teil des Satzes riefen Sara und ich zusammen mit ihm im Gleichklang. Jeden Abend ging das so. ich schätzte, dass man selbst in der Klapse Rituale entwickeln konnte. Ich legte den Stift in die Seite, in die ich gerade schrieb, klappte mein Buch zu und schob es zwischen den Bund meiner Hose. Gleich gab es die letzte Runde Zigaretten für uns und dann hieß es ab ins Bett, als Bettgeschichten gaben sie uns zwei bunte Balla Balla Pillen, die uns vor Alpträumen schützen sollten. Ich hatte jede Nacht Alpträume, denn die Dunkelheit hier hat Arme, versucht mich immer wieder zu sich zu ziehen. Es gelingt ihr jede Nacht ein Stückchen mehr. Irgendwann werde ich mir ihr verschmelzen. Natürlich dienten diese Dinger nur dazu uns ruhig zu stellen, damit die Nachtschwester ihre Ruhe vor uns durchgeknallten hatte.

Vergib mir nicht Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt