Als wir dem kleinen, verschrumpelten Emozwerg hinterherdackelten, hatte ich genügend Zeit, mir über mein Leben, das wohl demnächst zu Ende gehen sollte, Gedanken zu machen.
Geboren als Luana Schmitt, an einem stürmischen Sommertag, mehr oder weniger stolze große Schwester eines kleinen Idioten namens Dennis, den ich nun schon 13 Jahre lang großzog. Eltern: Tanja und Pierre Schmitt, liebevoll, aber nicht unbedingt begabt in der Erziehung von Kindern. Naja, dennoch wurde aus mir etwas. Kann man von Dennis zwar nicht sagen, aber Ausnahmen bestätigen ja die Regel. Beste Freundin seit der Grundschule: Sally, bzw. Samira Derker.
Mein Leben war nicht unbedingt aufregend, es war eher matt, grau und langweilig. Ich hatte Spaß, aber jedes Wochenende war ich nicht weg. Ich hatte weder diese Liebe zum Fußball, wie Mathea, noch den unübertroffenen Humor von Sally, noch schleppte ich reihenweise Typen ab, so wie Victoria. Ich wusste nicht einmal, wie viel Ich in mir drin steckte.
„Alles klar?", unterbrach Erik meine Gedanken und mir wurde bewusst, dass er immer noch meine Hand hielt. Ich wollte sie ihm aber nicht entreißen, er konnte sie gerne behalten. Seine grünen Augen funkelten auch noch in der Schwärze des Hauses und mir huschte ein Lächeln übers Gesicht, als ich bestätigend nickte.
Unserer Hausführerin war inzwischen vor einer weiteren, kleineren Holztür stehengeblieben und klopfte zweimal, dreimal, viermal, bis von drinnen ein: „Boah Mama, ey! Nerv ma nisch so! Isch will auma meine Ruhe ham! Boah!"
Ich spürte, wie Eriks Hand sich fester um meine legte und sah, wie er versuchte, ein Lachen zu unterdrücken. Ich musste grinsen, versuchte aber ebenfalls, es zurück zu halten.
„Aber Gunter!", krächzte die Alte. „Ich..äh.. meine Damon! Du hast Sterblichenbesuch!"
Sogleich hörte man es von drinnen rumpeln und pumpeln und schließlich wurde die Tür schnell aufgerissen und ein Junge mit einer seltsamen Verkleidung, es war ein Narrenkostüm, nur in schwarz-grau-Tönen anstatt in Bund, öffnete uns die Tür. „Grüß euch, Sterbliche. Tretet doch ein." Seine schwarzen Haare verdeckten seine Augen vollkommen und warfen einen dunklen Schatten über sein ganzes Gesicht, aber nun da ich seinen richtigen Namen kannte, kam er mir gar nicht mehr so unheimlich vor.
Er führte uns in eine kleine, mit dunklen Tüchern verdeckte Kammer und scheuchte gleichzeitig seine Mutter mit einer schnellen Handbewegung fort. Überall brannten Kerzen, in denen seltsame Zeichen eingeritzt waren. Seltsame Staturen von Tieren mit gruseligen Fratzen waren überall im Zimmer verteilt und es schien, als würden ihre Augen uns verfolgen. Er wies uns zu einem kleinen Tisch, auf dem ebenfalls eine große Kerze platziert worden war und wir setzten uns auf die Kissen, die vor dem Tisch ausgebreitet lagen und sehr einladend wirkten.
Er setzte sich uns gegenüber und faltete die Hände zusammen. „Herzlich Willkommen in meinem Reich der Dunkelheit." Und außerdem dem Reich der dicken Luft. Lüften wäre hier echt mal angebracht gewesen.
„Hast du was mit Satanismus zu tun?", fragte Erik und schon bei dem Wort lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Das Wort „Satan" klingt an sich schon so verdammt gruselig.
Aber unser Gunter fing an wie wild mit den Händen herumzufuchteln. „Halte ein! Halte ein! Das hat rein gar nichts mit meiner Dunkelheit zu tun! Halte ein!"
Erik hob entschuldigend die Hände in die Luft.
„So, nun, warum seid ihr in meine bescheidene Hütte eingekehrt?", fragte er und durch seinen schwarzen Haarschleier blitzte ein helles blaues Auge.
„Also das ist ja immer noch meine Hütte, Gunter!", ertönte die Stimme des Emozwerges draußen und Gunter bekam erstmal ein rotes Gesicht. „MUTTER!"
Ich sah ihn mir näher an. Er konnte kaum älter als 15 sein. Und ich hatte zuvor noch solche Angst. Nun kam ich mir ziemlich lächerlich vor.
„Wir wollten wissen, ob du mal in diesem Club warst." Erik fischte die Visitenkarte des Clubs heraus und streckte ihn Damon entgegen, welcher sie nur kurz besah. Eigentlich unnötig, denn wir wussten ja genau, dass er dort gewesen war.
„Nein."
Erstaunt blickte ich auf. „Nein?"
„Nein. Ich war in letzter Zeit nicht in Dortmund oder auch nur ansatzweise in einem Club." Er schüttelte zur Bestätigung noch einmal aussagekräftig den Kopf. „Ich darf da auch noch gar nicht rein...", fügte er noch hinzu, ein wenig peinlich berührt.
„Aber du stehst auf der Gästeliste.", meinte Erik. „Und wieso bist du so jung? Du hast doch was mit Drogen zu tun."
Damon zuckte zusammen und schob seine Haare zur Seite, sodass wir nun in seine blauen, strahlenden Augen sehen konnten. „Waaaaaaaaaaaaas?"
Erik und ich sahen uns unsicher an. Konnte man ihm glauben? Und wie kam sein Name auf die Gästeliste?
„Drogen. Was fällt dir dazu ein?" Erik sah Damon scharf an, welcher schon ziemlichen Respekt vor ihm zu haben schien.
„Ich...ich weiß nicht...", stotterte dieser vor sich hin und lief rot an. „Lasst mich in Ruhe oder ich verfluche euch!" Mit diesen Worten zog er eine Voodoopuppe und eine Nadel aus seiner Tasche.
„Ach ja, die Drogengeschichte. Das war eine ganz blöde Sache." Der Emozwerg kam wieder hereinspaziert und ließ sich neben ihm nieder.
„Mooooom!", schrie Damon genervt, aber nach einem drohenden Blick von ihr wurde er ganz still.
„Und hör auf, jeden unserer Gäste mit dieser Puppe zu bedrohen." Sie schnappte sich die Puppe und sah uns ernst an. „Damals war Gunter 14 und hat sich mit seinen Freunden einen schönen Tag machen wollen. Aber sie sind im Wald einem unangenehmen, seltsamen Typ begegnet. Ich weiß, dass sein Name Arthur Ashford war und er mir immer ein wenig unheimlich erschien. Er macht ein paar schmutzige Geschäfte, unter anderem mit Drogen. Und so fanden die Jungs es lustig, seinen Stoff mal schön weiterzuverkaufen. Die Jungs hatten echt Glück, dass sie nur mit einem Eintrag da raus gekommen sind. Dieser Arthur wurde nicht geschnappt und wuselt hier immer noch herum. Der bringt nichts Gutes, das sag ich euch."
„Wow. Und wissen sie, wo dieser Arthur zu finden ist?", fragte Erik nach.
Unsere Spur war inzwischen so heiß, dass wir uns locker schon daran verbrennen konnten. Aber wir wollten ja unbedingt mit dem Feuer spielen.
„Das weiß niemand. Nicht ihr findet ihn, er findet euch, sobald er irgendein gutes Geschäft riecht. Aber ihr solltet euch wirklich vor ihm in Acht nehmen, der Kerl ist falscher als die Fingernägel der Frau Katzenberger."
„Hey, sie können ja auch normal sprechen.", bemerkte ich. War das frech? Das war sicher nicht meine Absicht.
Aber sie kicherte nur. „Na, was dachtet ihr denn?"
Wir zuckten die Schultern. „Wieso wohnen sie hier so abgelegen und so...ehm...dunkel?", fragte Erik schüchtern.
„Jeder hat andere Hobbies.", lachte sie und schlang einen Arm um ihren Sohn, der die ganze Zeit über seltsam ruhig gewesen war und nur ab und zu vor sich hingehüstelt hatte.
„Was hab ich dir gesagt?", lachte Erik, als wir aus der Hütte draußen waren.
Ich rollte mit den Augen und hüpfte ihm hinterher. „Man sollte ein Buch nicht nach seinem Cover beurteilen."
„Das hab ich nicht gesagt, aber so ungefähr wars gemeint." Erik schloss das Auto auf und erst durch das Aufleuchten seiner Blinker fiel mir auf, wie stockdunkel und unheimlich es um uns herum war.
„Arthur Ashford.", wiederholte Erik den Namen und legte den Kopf in den Nacken. Dann sah er zu mir. „Er findet uuuuuuns", sagte er mit verzerrter Stimme und ich rannte erschrocken zu ihm und drückte meinen Kopf in seine Brust.
„Nicht lustig, Erik. Der Typ macht mir echt Angst.", nuschelte ich gegen seinen Brustkorb. Er schien es dennoch verstanden zu haben, denn er lachte auf und strich mir gleichzeitig zärtlich durch die Haare.
„Du kleiner Angsthase! Lass dich von dieser Frau doch nicht einschüchtern!", lachte er und ich sah zu ihm. Seine grünen Augen gaben einem so viel Sicherheit. Es war ein seltsames Gefühl, das sich in mir breit machte, als ich ihn so ansah. Und auch er brach unseren Blickkontakt nicht ab.
„Vielleicht steht er ja heute Nacht vor deinem Bett, wenn wir ihn nur laut genug rufen!", grinste er breit und schon fing er an zu rufen. „Arthur! Aaaaarthur! Wir wollen Droooooooogeeeen! Und eine goldene Uhr! Ich bin Fußballer, ich kann mir das leisten!"
„Vollidiot!", schrie ich ihn an und schlug ihm gegen den Oberarm und er kicherte nur.
„Steh doch bitte heute Nacht vor dem Bett meiner Freundin!"
Ich wollte ihn wieder schlagen, war aber wie festgefroren. Er hatte mich gerade wirklich als seine Freundin bezeichnet. Erik Durm hatte mich als seine Freundin bezeichnet!
„Es ist ziemlich spät.", meinte Erik schließlich in normaler Lautstärke zu mir. Das fiel ihm aber früh auf, der kleine Blitzmerker.
Ich nickte nur stumm, dann stieg ich ins Auto. Ich wollte eigentlich nur diesen Wald verlassen und nicht weiter über Arthur oder Damon oder Emozwerge nachdenken, wenn ich ehrlich war. Der ganze Tag war so anstrengend, dass ich auf der Stelle hätte einschlafen können.
Er stieg ebenfalls ein und sah mich an. „Hey, ähm, es wäre echt ein Aufwand jetzt noch 2 Stunden zu dir zu fahren..."
Mit einem Mal war ich hellwach, tat aber so, als wäre das vollkommen normal. „Mhm."
„Willst du nicht heute bei mir übernachten?"
Oh mein Gott. Oh mein Gott. Oh mein Götze. (Ugh, ich fang schon an wie Mathea.)
„Klar, warum nicht. Wir sind ja schließlich... Freunde...", antwortete ich knapp.
„Ja...Freunde...", murmelte Erik und startete den Motor.
Diese Wohnung.
Hatte sich in keiner Hinsicht geändert.
Sogar der Pulli, den ich bei meinem ersten Aufenthalt entdeckt hatte, hing über dem kleinen Sessel im Esszimmer. Ich schüttelte den Kopf, dann fiel mein Blick auf den Kühlschrank. Und den Kratzer. Das war doch sicher nicht meine Schuld, ich meine, was konnte ich dafür, wenn der Stuhl wegen meines exzellenten Arsches einen Abgang macht? Klang für mich gerade nicht unbedingt überzeugend, aber ungemein beruhigend.
Langsam ließ ich mich wieder auf dem Stuhl-der-meinem-Arsch-geil-fand, wie ich ihn liebevoll getauft habe, nieder und sah Erik dabei zu, wie er wie ein Meister in der kleinen Einbauküche hantierte. Niedlicherweise schien er sich dabei wirklich professionell fühlen, was nachließ, als er auf einem Küchenhandtuch ausrutschte und eine professionelle Landung auf dem Boden machte.
Schließlich setzte er sich mir gegenüber, schob mir eine Tasse Tee zu und fing an, seinen Tee zu rühren und zu pusten. Cuteness level overload. Vor allem, weil er sich dabei noch einen Eisbeutel gegen den Kopf hielt, da er den Kampf gegen das Handtuch ja verloren hatte. Ein wahrer Kämpfer.
„Mann, dieser Tag hat mich echt fertig gemacht.", meinte er schließlich, nahm einen Schluck und verbrannte sich anscheinend sogleich die Zunge, den er stieß einige Quieklaute aus.
Ich kicherte in mich hinein. „Naja, wenigstens hast du eine junge Frau sehr glücklich gemacht.", spielte ich auf Stevens Tochter an, was er sofort verstand und augenblicklich mit den Augen rollte.
„Erinner mich bitte nicht daran.", meinte er und pustete sich die Zunge. Das heißt, er ließ den Mund sperrweit offen und atmete wie ein Bekloppter. Und genau so bekloppt sah das auch aus.
„Aber um ehrlich zu sein, mochte ich diesen Tag...", gab ich leise zu und rührte meinen Tee. „Ich meine, sowas erlebt man nicht jeden Tag. Und solche Menschen..."
„Lernt man nicht jeden Tag kennen.", beendete er den Satz und wir mussten beide losprusten, da das gerade klang, wie bei einem alten Ehepaar.
„Stimmt, irgendwie...waren sie alle..."
„Was Besonderes."
„Jetzt hör aber auf!", fuhr ich ihn an und trat ihm unter dem Tisch gegen sein Bein.
Er lachte und nahm einen Schluck Tee, nur um sich wieder die Zunge zu verbrennen.
Die ganze Prozedur begann von neuem und ich, ich lachte aus tiefster Seele. Auch wenn ich mich selbst darüber wunderte, aber so glücklich war ich seit langer Zeit nicht mehr gewesen. Klar, es gab schöne und nicht so schöne Tage, aber dieser Tag erschien mir einfach als perfekt. Und das lag nicht nur an Erik. Es lag auch an den vielen neuen Erinnerungen und Einsichten, die ich erlangt hatte. Ok, hauptsächlich lag es an Erik.
Er war etwas Besonderes. Und er war sicherlich nicht der perfekte Fußballstar, den die Medien immer vorgaukelten. Er war an sich alles andere als perfekt und dennoch erschien er mir perfekter, als alles andere auf dieser Welt.
Ich schüttelte meinen Kopf, als ich mich bei so kitschigen Gedanken erwischte. Kleine, überomantische, dramatisch veranlagte Luana. Ts ts ts.
„Hast du Lust morgen mit ins Training zu kommen?", fragte Erik, als wäre es das Normalste auf der Welt.
„Darf ich das denn überhaupt?", nuschelte ich unsicher vor mich hin.
Er nickte. „Natürlich darfst du, aber wir müssten dann mal schlafen gehen, es beginnt morgen um 8..."
Ich blickte auf seine Analoguhr an der Wand. 1:36 Uhr. Nicht schlecht für einen Langweiler wie mich.
Ich exte meinen Tee und stand auf. „Gut okay." Ich wollte mich schon in Bewegung setzen, hielt aber ruckartig an und sah zu ihm. „Erik? Wo soll ich denn schlafen?"
„Du schläfst in meinem Bett, ich nehm die Couch.", meinte er lachend. „Wo mein Zimmer ist weißt du ja..."
Ich sah an mir herunter. Jeans waren echt unbequem beim Schlafen, aber, obwohl ich es schon einmal getan hatte, wollte ich nicht in Unterwäsche hier pennen.
Noch bevor ich was sagen konnte, drückte Erik mir Pulli und Boxershorts in die Hand. „Hier bitte, das ist gemütlicher."
Dankbar lächelte ich ihn an. „Danke...Gute Nacht..."
„Gute Nacht...", sagte er, als ich mich wegdrehte und auf meine Reise zum Schlafzimmer begab. „Gute Nacht, Luana."
Und ich schwöre euch, meinen Namen aus seinem Mund zu hören, war das schönste, was mir je hätte passieren können.
>>Arthur! Arthur Ashford! Steh doch heut Nacht vor dem Bett meiner Freundin!<<
Obwohl dieses Bett sich anfühlte, als würde man auf Wolken liegen, schaffte ich es nicht einzuschlafen und wälzte mich nur unruhig hin und her. Zu viele Informationen mussten noch verarbeitet werden. Ich konnte nicht fassen, dass mir das alles tatsächlich geschehen war. Und heute, beziehungsweise gestern, morgen lag ich noch mit Sally und Mathea im Bett.
Erik Durm.
Das war ein Name, bei dem ich früher sofort an den Fußballer gedacht hätte.
Ab diesem Tag verband ich es mit Erik. Dem tollpatschigem, mutigem, lustigem Erik, der gar nicht so war, wie man dachte, dass er war. Er hatte nicht nur Fußball im Kopf. Er war so anders. Er war so normal.
Ich kniff die Augen zusammen und fing an, Schafe zu zählen, aber schon bei Schaf 145 wurde es mir zu blöd und ich seufzte laut auf. So würde das nie klappen.
Mir war warm, aber ich wollte Eriks Pulli nicht ausziehen, er roch so nach ihm und das gefiel mir irgendwie. Am liebsten wollte ich ihn nie mehr ausziehen. Und nun? Nun lag Erik auch noch im Zimmer nebenan. Wie sollte ich denn da jemals schlafen können?!
Erneutes Seufzen meinerseits.
Ich schloss meine Augen und genoss die Ruhe, die jedoch von einem plötzlichen Knacken unterbrochen wurde. Blitzartig schlug ich meine Augen auf. Ich konnte es hören. Dieses leise Zischen, das eure Nase macht, wenn ihr Schnupfen habt und sie deshalb verstopft ist. Ich konnte es ganz genau wahrnehmen und das gefiel mir wiederrum ganz und gar nicht.
Ich war nicht mehr alleine.
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Wide Awake (Erik Durm FF)
FanfictionAls Luana an diesem Morgen aufwacht, fällt ihr (fast) sofort auf, dass irgendetwas nicht stimmt. Sie liegt eindeutig im falschen Bett. Interessanter wird es dann, als sie herausfindet, dass sie nicht im Bett von irgendwem liegt, sondern in dem vom B...