6. Kapitel

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Nun, Holmes diese Nachricht zu überbringen stellte sich als Herausforderung dar, die ich nur ungern annahm. Denn er als einziger Verwandter, als Vater, hatte das Aufsichtsrecht bis Valkyrie 21 Jahre alt war. Zwar war er nicht erziehungsberechtigt, da sie volljährig war, doch sie hatte kein Zuhause und er war ihr leiblicher Vater. Das hieß, sie würde bei uns wohnen, wenn sie aus dem Koma aufwachte.
Ich betrat Sherlocks Zimmer und sah ihn schlafend im Krankenbett liegen. Er sah so ramponiert aus wie an dem Tag, an dem das Wohnzimmer explodiert war, obwohl das nun bereits einen Monat her gewesen war. Ich setzte mich auf die Bettkante und blickte ihn an. Er war schön, wenn er schlief. Friedlich. Beinahe liebenswert. Ich nahm seine Hand und fühlte seinen Puls – regelmäßig. Ich wollte sie gerade wieder loslassen, als er meine Hand ergriff und festhielt. Er schlief noch immer, was bedeutete, dass er träumte. Sein Griff wurde immer fester und meine Hand schmerzte bereits, als ich die Schweißtropfen auf seinem Gesicht sah. „Holmes? Hören Sie mich?", fragte ich vorsichtig und beugte mich vor.
„Shhh... Es ist alles gut, Holmes. Wir sind in Sicherheit und ich bin bei Ihnen!"
„John Hamish Watson...", murmelte er und ließ vorsichtig meine Hand los, die er so verkrampft festgehalten hatte. Nun, ich bin vieles gewohnt gewesen, doch niemals hatte er so verzweifelt gewirkt. Es hatte einige seltsame Momente zwischen uns gegeben. Blicke, die er mir zuwarf, ein Starren meinerseits...
„Holmes!", sagte ich laut und er schlug die Augen auf, fixierte mich. Sofort wurde sein Ausdruck kalt und er starrte mich genervt an.
„Watson! Wieso wecken Sie mich?", fragte er verärgert und ich musste unwillkürlich lächeln. Das war der Sherlock Holmes, den ich kannte.
„Ich muss Ihnen etwas mitteilen..." Holmes zog eine Augenbraue hoch und musterte mich intensiv. Eben solche Blicke meine ich – ein Starren, das mich erröten lässt und mir angenehmes Unbehagen bescherte. „Reden Sie, Watson!"
Ich seufzte tief und öffnete den Mund. Doch als ich ihn sah, verletzt, gebrochen im Stolz und trotzdem so standhaft wie immer, konnte ich es nicht. Ich konnte ihm das jetzt nicht sagen. „Ich bin... froh, dass es Ihnen gut geht. Mrs. Hudson hat Ihr Chaos im Wohnzimmer beseitigen wollen, nachdem es renoviert worden ist, doch ich habe ihr gesagt, Sie würden sonst nichts wiederfinden!", sagte ich also stattdessen und bekam dafür tatsächlich ein schwaches Lächeln. „Sie sentimentaler Schwachkopf... Danke." Mehr sagte er nicht, was mich dermaßen überraschte, dass ich ihn umarmte. „Ahhhhhhhhhh!", schrie er laut und mit tiefer, kehliger Stimme. Ich ließ ihn sofort los. „Sind Sie wahnsinnig? Mein Körper fühlt sich noch immer an, als würden in jedem Zentimeter Nadeln stecken!" Ich lachte so laut, dass eine Schwester irritiert den Raum betrat und fragte, ob alles in Ordnung sei und daraufhin von einem wütenden Sherlock hinaus geschrien wurde.
„Watson? Haben Sie einen Fall für mich?", fragte er danach und war auffallend kühl und sein Ton verriet pure Langeweile. Mir fiel ein, was ich im noch erzählen musste und mir kam eine Idee. „Ja, habe ich. Wer ist Valkyrie McTavish, was wollte sie von uns und wer ist hinter ihr her? Finden Sie es heraus!", sagte ich entschieden und seine Augen blitzten auf.
„Mit Freuden, Watson! Und nun sorgen Sie dafür, dass ich nachhause komme, bei Ihnen scheint es ja drunter und drüber zu gehen, seit ich fort bin!" Er lächelte hämisch und lehnte sich zufrieden zurück. „Ohja, seit Sie fort sind, ist der Kühlschrank voll von normalen Lebensmitteln, die noch nicht abgelaufen sind. Am Tisch kann man tatsächlich essen und diese rechteckigen Kästen in der Wand haben sich doch tatsächlich als Fenster entpuppt! Es herrscht Chaos, Mister Holmes!", antwortete ich grinsend und ging hinaus. 

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Eine Woche später hatte ich die Entlassung durchgesetzt und Holmes mit in die Baker Street genommen, wo Mrs. Hudson ihn freundlich willkommen hieß. „Oh, Sherlock! Sie haben gefehlt, wissen Sie?" Sie umarmte ihn und ich lächelte zufrieden. Nun war alles, wie es sein sollte. Beinahe. Denn Sherlock war keine Minute in seinem Wohnzimmer und hatte eine Miene aufgesetzt, die mir signalisierte, dass ihn irgendetwas gewaltig stören musste.
„Was ist es?", fragte ich also und seine Miene wurde sanfter und erstaunter. „Sie lernen dazu, Watson. Es fehlt ein Buch!", sagte er sogleich und setzte ein schräges Lächeln auf.
„The Oxford English Dictionnary" war das Buch, welches im obersten Fach des Regals fehlte und Sherlock schien darüber äußerst verärgert zu sein. „Dann kaufen wir ein neues Buch. Was ist so schlimm daran?", fragte ich ihn und war überzeugt, dass er überreagierte. „Watson! In diesem Buch stehen Notizen und Anmerkungen meinerseits, die viel über mich und meine Arbeit aussagen, verstehen Sie das? Jemand hat bewusst dieses Buch genommen, um mir einen Schritt voraus zu sein, egal wobei. Ich muss dieses Buch zurückbekommen!" Er hob die Hände über den Kopf und strich damit durch seine Haare, während er auf und ab ging und etwas vor sich hin murmelte. „Womöglich jemand, der hier war, als das Wohnzimmer explodiert ist.. Valkyrie vielleicht, bevor die Sanitäter sie mitgenommen haben? ", vermutete ich und konnte mir nur vorstellen, dass Valkyrie es an sich gebracht hatte. „Nein... Valkyrie hat ihre Teetasse die ganze Zeit über in der Hand ge-" Er brach ab und seine Augen funkelten. Er packte mich an den Schultern und setzte eine so dankbare und glückliche Miene auf, dass mir fast schlecht wurde. „Watson! Sie sind genial, Sie sind brillant! Die Sanitäter – sie haben das ganze Wohnzimmer inspiziert und hätten unter ihren Jacken leicht etwas verstecken können." Ich war erstaunt, dass er so schnell mit der Erklärung herausrückte und wollte ihn gerade loben, als er die Hand hob. „Aber warum? Warum sollten Sanitäter ein Buch klauen? Für wen arbeiten sie, wenn nicht für..." Wieder brach er ab und diesmal schwieg er. Lange. Den Rest des Tages saß er in seinem Sessel und wanderte in seinem Gedächtnispalast umher. Dabei hielt er seine Hände gefaltet unter seinem Kinn, was ihn sehr anmutig aussehen ließ.
Er ignorierte Mrs. Hudson, die ihm einen Tee brachte und mich, der ihm Informationen über Valkyrie zuschob und sein Blick, glasig und auf etwas fixiert, das weit in der Ferne liegen musste, war starr und kalt.
Ich setzte mich also mit Mrs. Hudson an den Esszimmertisch und trank Tee, aß Kuchen und unterhielt mich über die fragwürdigen Entscheidungen des Premierministers. Lange hatte ich kein so normales und gar langweiliges Gespräch geführt – es war erfrischend und erholsam. Gerade als ich anbringen wollte, dass Mycroft – Sherlocks einflussreicher großer Bruder – doch einmal Stellung nehmen könnte, sprang Sherlock aus seinem Sessel auf und stieß sich beinahe den Kopf am Kronleuchter. „Ich bin gleich zurück!", sprachs und ward nie wieder gesehen – nun zumindest nicht mehr an diesem Tag. Er rauschte aus der Wohnung, aus dem Haus und war verschwunden, ehe ich auch nur einen Finger rühren konnte. Als ich um halb zehn nach unten auf die Straße ging, um nach ihm zu sehen, wurde ich enttäuscht. Er war nirgends zu sehen und es schien nicht den Anschein zu haben, dass er heute Nacht nachhause kommen würde. 

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Ich hab zwei verschiedene Entwürfe für diese Geschichte und überlege noch, wie ich sie weiterführen soll. Ich würde mich über Rückmeldung sehr freuen, falls das überhaupt jemand liest :D 

Viel Spaß beim Lesen! 
LG CrazyTony <3

Neuer alter Feind // johnlockWo Geschichten leben. Entdecke jetzt