Holmes ärgerte sich, dass er nicht gleich auf die moderne Fabrikhalle am Militärflughafen gekommen war. Dabei war es offensichtlich gewesen: Dort gab es nichts und niemanden außer die weit entfernt startenden Kampfjets und ein paar Kaninchen und Raubvögel. Die Halle war zwar erst im letzten Jahr errichtet worden – auf einem alten Schlachtfeld – doch sie wurde nicht genutzt, da die Metallstreben instabil gewesen waren und bei der Eröffnung der Halle zwanzig Todesopfer und 140 Verletzte gefordert hatten. Nun musste er sich beeilen und das gefiel ihm gar nicht. Hektik an sich war ihm kein Hindernis, doch wenn es um das Leben seines besten Freundes ging, konnte er nie schnell genug sein. Er sprang aus dem Taxi und rannte auf den Absperrungszaun zu, der laut summte und knisterte. Elektrizität. Fieberhaft dachte er nach, wie er über den hohen Zaun gelangen konnte, ohne sich zu lebendig zu verbrennen. Er entschied, dass das unmöglich war. Sein Blick wanderte umher und suchte nach einer anderen Möglichkeit auf die andere Seite zu gelangen, doch fand nichts. Risikoanalyse: Eindringen durch Eingang, Festnahme, Rettung Watsons unmöglich. Weg über den Zaun suchen, sicher hinüber gelangen, Rettung Watsons verzögert, zu spät. Klettern: wenig Verzögerung, schwere Verletzung seinerseits, schnellstmögliche Rettung Watsons. Er entschied sich für Letzteres, was ihn beinahe das Leben kostete. Er sprang hoch und griff nach den elektrischen Kupferdrähten, die zischten und knisterten, als er sie berührte. Seine Handflächen brannten und er zog sich mit Mühe nach oben. Dort schwang er sich über den Zaun und ließ sogleich los. Sein Gesicht streifte den Zaun und er stöhnte auf. „Oh Watson, warum bringen Sie uns ständig in Gefahr?", hauchte er – wohl wissend, dass es nicht ich war, der ihn und mich in solche Situationen brachte – und rannte los, nicht sehr schnell, da sein Körper von oben bis unten brannte. Sein Atem ging schwer und er knickte immer wieder ein. Schließlich konnte er die Halle sehen, die weit hinter einem Rollfeld stand und dem starken Wind der startenden Jets trotzte. Dieser warf ihn beinahe um, doch er zwang sich, weiterzulaufen. Er hatte die riesige Halle beinahe erreicht, als er Schüsse hörte. Sherlock blieb so ruckartig stehen, dass er beinahe vorn über gefallen wäre. Ein Schmerz breitete sich in ihm aus, der so tief ging, so schneidend wie eine Klinge, dass er keine Luft mehr bekam. Röchelnd und hustend schleppte er sich weiter mit nur einem Ziel: „Mörder. Rache."
Holmes zog seine Pistole und zerfetzte mit nur einer Kugel das Vorhängeschloss der großen Metalltür, die sogleich aufschwang. Drinnen sah er nichts als Metallstreben, die ihm die Sicht nahmen. Das Licht war so gleißend hell, dass seine Augen sich nur langsam daran gewöhnten und als er schließlich etwas erkennen konnte, war er so erleichtert, wie noch nie in seinem Leben.Die Schüsse verfehlten mich und der Mann wurde zu Boden gerissen. Als ich die Augen wieder öffnete lag der Mann eingeklemmt unter einer Metallstrebe und stöhnte vor Schmerz. Es war keine lebensgefährliche Verletzung, wie mir sogleich auffiel. Einen kurzen Augenblick später explodierte die Tür und Sherlock Holmes stand im gleißenden Neonlicht. Ich muss zugeben, ich war äußerst erleichtert ihn zu sehen. Erst als er näher kam, sah ich sein entstelltes Gesicht und die verbrannten Stellen an seinen Armen. „Meine Güte, Holmes! Was haben Sie gemacht?", fragte ich ihn entsetzt. Er gab keine Antwort, sondern band mich los und zog mich hoch. Die Umarmung kam unverhofft und plötzlich. Holmes zitterte am ganzen Körper und seine Haut war heiß und klebrig. Er löste sich jedoch schnell aus der Umarmung und drehte sich zu dem, am Boden liegenden, Mann um. „Und Sie glauben, Sie können meinen besten Freund entführen und ungestraft bleiben?" Er riss dem Mann die Maske vom Gesicht und machte schockiert einen Schritt nach hinten. Meine Ahnung hatte mich nicht getäuscht: Es war Guy Fallin, ein amerikanischer Mafiaboss, der Holmes bereits zuvor Schwierigkeiten gebracht hatte. „Sie! Was wollen Sie?", fauchte er boshaft und riss den Mann unter dem Bolzen hervor. Der Mann lächelte breit und gehässig. „Ich habe einen Auftrag für Sie! Fein, da ich nun Ihren Druckpunkt kenne, können wir uns auf eine wunderbare Kooperation beiderseits freuen!", sagte er so ruhig und gelassen, als säße er auf einem Ledersofa in einer Mafiaburg und nicht auf einem Metallbolzen, der mit seinem eigenen Blut befleckt war. „Seinen Druckpunkt?", fragte ich irritiert und blickte zu Sherlock hinüber. „Sie", war seine knappe Antwort. Er setzte eine nachdenkliche Miene auf und starrte ins Leere. „Wie meinen Sie das, Holmes?" Ich hatte eine Ahnung, doch ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass es so war. „Sie sind der Druckpunkt, an dem er mich am meisten trifft, Watson. Verstehen Sie das nicht?" Nun war Holmes aufgebracht und seine Augen glitzerten. „Sie sind kaltblütig und rational, aber sehen Sie, wie Sie sich um John Watson sorgen..." Guy Fallin musterte Sherlock für einen Moment, bevor er mich anblickte. „Faszinierend!" Er schlug mir ins Gesicht. „Wofür war das?", hörte ich Sherlock rufen, während ich mir die Hand vor das Auge hielt. Es schmerzte, doch ich konnte es offenhalten. Ich atmete tief und spürte Empörung und Wut in mir aufsteigen. „Mister Fallin, wenn Sie ein Klient sind, weshalb schlagen Sie ihre Auftraggeber?", herrschte ich ihn an und er grinste boshaft. „Entschuldigen Sie... Ich wollte nur sehen, wie Mister Holmes reagiert. Es amüsiert mich." Der Mensch war der unsympathischste Kerl, den ich jemals getroffen habe und das meine ich ernst – nicht einmal James Moriarty war so furchtbar gehässig und sadistisch gewesen. Sherlock starrte mich geschockt an und sein Blick fragte, ob es mir gut ging. Ich nickte. „So, Mister Fallin... Was kann ich für Sie tun?", fragte er also den Amerikaner. „Sterben!", war dessen Antwort und er zog eine Waffe. „Sie sterben zuerst, Fallin!", rief plötzlich eine Stimme hinter Sherlock und eine Gestalt sprang hervor, die Pistole auf Guy Fallin richtend. Sherlocks Blick zeigte, dass auch er keine Ahnung hatte, wer die Person war. „Stellen Sie sich hinter mich!", rief Holmes, doch die Person im schwarzen Outfit und Sturmhaube stellte sich vor ihn und zielte auf Fallin. Dieser jedoch zielte immer noch auf Sherlock, der die Hände erhob und zurücktrat. Fallin drückte ab, die Person in Schwarz stieß Holmes zu Boden, die Kugel streifte ihr Gesicht und sie feuerte – nicht Fallin bekam die Kugel ab, sondern das Scharnier eines Bolzens, der von der Decke hing und nun senkrecht in Fallin hineinkrachte, der regelrecht aufgespießt wurde. „Raus hier!", schrie sie mich an und zog Holmes auf die Beine. Dieser rannte los und ich hinterher. Die Person war keine Sekunde draußen, da krachte die Halle zusammen. Auf dem Rollfeld blieben wir stehen und ich keuchte erschöpft. Holmes krümmte sich und keuchte ebenfalls, bevor er der Person in Schwarz – die relativ klein und schmal war – die Maske vom Gesicht riss. „Ein Mädchen?! Wieso hast du dich meinen Anweisungen widersetzt?", herrschte er sie an und stöhnte vor Schmerz. Es war tatsächlich ein Mädchen. Ein Mädchen mit schwarzen Haaren, stechenden blauen Augen und einer kleinen, runden Stupsnase. Sie sah weder kindlich noch erwachsen aus. „Wie alt bist du?", fragte ich also unvermittelt und sie runzelte die Stirn. „19 und ich habe mich Ihren Anweisungen widersetzt, um meine Mutter zu rächen und Ihnen beiden das Leben zu retten!", antwortete sie sachlich und riss Sherlock die Sturmhaube aus der Hand. „Sie sind über den Elektrozaun geklettert, obwohl sie wussten, dass es Sie umbringen könnte. Sie müssen viel für Ihren Kollegen übrig haben, Sherlock Holmes!" Sie musterte ihn und kniff die Augen zusammen. „Woher wissen Sie...?" „Wer kennt Sie nicht, Mister Holmes? Ich bin zwar Irin, aber nicht blind. Und Ihre Wunden deuten darauf hin, dass Ihre Haut verbrannt wurde – oder in Berührung mit einem Hochspannungszaun kam. Reine Beobachtung. Damit sollten Sie sich doch auskennen!" Sie lächelte nun und Holmes schüttelte den Kopf. „Also wer bist du und was hat deine Mutter mit einem amerikanischen Mafiaboss zu tun?", fragte ich sie, um auf den Grund ihrer Anwesenheit zurück zu kommen. „Mein Name ist Valkyrie McTavish. Meine Mutter, Gwendolyn McTavish hat mich allein großgezogen, da mein Vater anonym bleiben wollte. Sie hatte früher mit dem englischen Geheimdienst zutun und hat die auf einige Standorte von Fallins Mafia aufmerksam gemacht. Vor ein paar Monaten kamen dann seine Männer und haben sie erschossen, in unserer Küche. Einfach so. Seitdem suche ich nach ihm und habe ihn anonym auf Sie aufmerksam gemacht. Ich wusste, er würde sich das nicht entgehen lassen, da Sie ja bereits vorher miteinander zu tun hatten, wie ich hörte. Nun, mein Plan ging auf." Sherlock starrte sie an und auch ich war beeindruckt – aber auch ein wenig entsetzt. „Mit 19... Was meinst du damit, dein Vater wollte anonym bleiben?", fragte ich sie, als ich noch einmal über ihre Worte nachdachte. „Ein Samenspender", zischte Holmes, der sich wieder gefangen hatte. „Es gibt allerdings nicht viele, die unbedingt anonym bleiben wollen. Ich tat es allerdings – damals mit 16, als mein Vater sagte, das könne nützlich sein." Ich blickte ihn irritiert an. „Sie waren bei einer Spendenbank? Das erstaunt mich jetzt." „Nur weil ich keine Beziehungen führe, bedeutet das nicht, dass ich keine Kinder zeugen will. Ich will sie nur nicht großziehen!", stellte er klar und ich nickte. „Könnten wir unser Gespräch vielleicht in die Wohnung verlegen?" Ich stieß die Luft aus und nickte erneut. Erst jetzt spürte ich den Schmerz wieder und wollte so schnell wie möglich fort von diesem Ort. „Willst du uns begleiten?", fragte ich Valkyrie aus Höflichkeit, wunderte mich jedoch, als sie einwilligte. „Ja. Ich habe keine Bleibe und hoffte, Sie könnten mich für ein paar Tage aufnehmen?" „Kommt nicht infrage!", fauchte Holmes und eilte zum Zaun. „Dort können Sie doch nicht ein zweites Mal hinüber klettern, Sir! Kommen Sie mit, ich kenne einen Weg, der sicher und versteckt ist." Ich folgte ihr bereitwillig, doch Sherlock blieb stehen. „Watson, vertrauen Sie ihr etwa?", fragte er mich wütend und seine eisblauen Augen funkelten böse. „Oh wirklich, Sherlock? Sie hat Ihnen gerade eben das Leben gerettet und mir auch. Stellen Sie sich nicht so an!"
Hätte ich auf meinen geschätzten Mitbewohner gehört, so wäre vieles anders gekommen. Wir hätten vieles Schlimme verhindern können – aber auch das Gute.
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Neuer alter Feind // johnlock
FanfictionEin neuer Fall für den berühmten - weltweit einzigen - Consulting Detective und seinen Blogger. Diesmal geht es um Leben und Tod, aber auch um Liebe und Freundschaft. Wer ist der unbekannte Feind, der Moriartys Platz einnimmt und wer stellt sich ebe...