Steiniger Weg

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Das Leben steckt voller versteckter Lektionen, die man nach und nach mit der Zeit herausfindet. Oft versteht man sie erst nicht und wertet sie als schlechte Erfahrung ab, doch irgendwann kommt der Zeitpunkt der Einsicht und man fragt sich, warum man es nicht schon viel früher begriffen hat...denn immerhin wäre einem somit viel Leid erspart geblieben. Doch so spielt das Leben nun einmal. Ich frage mich, ob ich momentan genau in solch einer Situation stecke. Ob der Tod meines Freundes eine Lektion fürs Leben sein soll oder wirklich nur eine schlechte Erfahrung, die mich für den Rest meines Lebens negativ prägt. Die mich für immer verfolgen würde, wenn ich nicht wenigstens versucht hätte ihn zu retten. Und genau aus diesem Grund trete ich diese Reise an. Denn diese Erfahrung kann unmöglich eine hilfreiche Lektion fürs Leben sein, das kann ich weder akzeptieren noch verstehen. Denn mit seinem Verlust, habe ich mich selbst auch verloren. Hätte ich die Hoffnung nicht, dass ich ihn nicht wieder zurückbringen könnte, dann wäre ich wohlmöglich für immer verloren...

Hier bin ich also. Im Auto. Alleine und bereit dazu diese Reise anzutreten. Dem Leben in den Arsch zu treten und meinen eigenen Weg zu gehen. Ich werde ihn zurück holen und damit beweisen, dass die einzige Lektion in meinem Leben ist, niemals aufzugeben und für die Liebe zu kämpfen.

Ich war mittlerweile schon drei Stunden unterwegs. Momentan befand ich mich auf einer ziemlich langen und einsamen Landstraße, auf der ich wahrscheinlich noch ein Weilchen verweilen müsste, bis ich die Autobahn erreichen würde. Auf der Straße befanden sich nur wenige Laternen, weswegen ich mich konzentrieren musste, da ich nicht wirklich viel sah. Doch meine Konzentration ließ wirklich zu wünschen übrig. Mir schwirrten so viele Gedanken durch meinen Kopf. Was ist, wenn diese Legende wirklich nur eine Legende ist und ich ihn nicht zurückbringen kann? Was ist, wenn ich ihn doch zurückbringen kann, aber er nicht als er selbst wieder zurückkommt? Was würden meine Eltern und Caroline von mir denken? Ich trete eine waghalsige Reise an und komme letztendlich mit nichts außer purer Enttäuschung und Trauer zurück, falls es nicht funktioniert? Es waren Gedanken, die mich negativ stimmten. Gedanken, die ich eigentlich überhaupt nicht zulassen wollte, da ich stets positiv denken wollte. Denn nur so gab es auch wirklich eine Chance. Für mich war es immer wichtig positiv zu denken, doch während der Autofahrt kamen mir die ersten Zweifel.

Ich schaute auf die wenigen Laternen, die mir die Landstraße bot. Sie gaben mir irgendwie ein Gefühl von Zuversicht und Hoffnung. Sie erhellten meinen Weg. Sie erhellten mich. Ich musste zurückdenken an Vergangenes. Es war Winter, eine Jahreszeit, in der ich immer etwas schlechter gelaunt war. Ich war zu diesem Zeitpunkt dreizehn Jahre alt. Es schneite und ich stand wie erstarrt vor unserem Haus und wollte noch nicht reingehen. Ich musste wieder über meinen Dad nachdenken. Daran, dass ich ihn sehr vermisste und was ich alles dafür geben würde ihn wieder zu sehen und ihm zu sagen, dass ich ihn liebe und ihn schrecklich vermisse. Ich weiß nicht genau, wie lange ich dort stand, aber irgendwann kam meine Grams auf mich zu und legte ihren Arm um mich. Sie sagte nichts. Sie stand einfach nur da, hielt mich warm und war einfach für mich da. Irgendwann schaute ich sie mit nassen Augen an und sie gab mir einfach diesen Blick. Diesen hoffnungsvollen Blick, dass alles wieder gut werden würde. Sie sagte mir, dass ich die Hoffnung niemals aufgeben dürfte, egal was auch passieren mag, egal wie schlecht es mir gehen würde. Irgendwann würde der Zeitpunkt kommen, an dem sich alles wieder zum Guten wende, man dürfe nur nicht die Hoffnung verlieren. Danach klatschte sie in ihre Hände und die Laterne unter uns fing als einzige wieder an zu leuchten. Alle Laternen der Straße waren aufgrund der Kälte eigentlich defekt und deswegen erloschen. Sie schaute mich wieder an und sagte, dass dieses Licht nur für mich sei. Dass ich immer daran denken sollte, dass selbst in den dunkelsten und schwierigsten Zeiten dieses Licht immer für mich da sein würde...In diesem Moment begriff ich es und fing an wieder zu lächeln und zu hoffen. Dies war der letzte Winter, an dem ich traurig darüber war, dass mein Dad fort war. Ich hatte die Hoffnung nämlich niemals aufgegeben, dass sich alles noch zum Guten wendet. Und diese Hoffnung trug ich stets mit mir, auch heute und auch als Chris starb.

Ich drehte das Radio laut auf, genoss einfach die Musik und konzentrierte mich auf meinen Weg. Ab und zu zogen Häuser an mir vorbei, doch größtenteils waren es einfach lediglich Felder und viele, viele Bäume. Die Gerüche, die ich hier wahrnahm, waren auch nicht das Wahre. Mittlerweile wurde es auch kälter, der Winter kam nämlich immer näher, weswegen ich die Heizung im Auto jetzt auch aufdrehte. Ein Geräusch ertönte plötzlich von meinem Handy und ich wusste sofort, dass es wahrscheinlich Caroline war. Sie hatte mir eine Sprachnotiz über WhatsApp gesendet. Sie dachte wirklich an alles. Sie wusste, dass ich am Autofahren war, also sendete sie eine Sprachnotiz anstatt einen Text. Alleine deswegen fing ich schon an zu lächeln und hörte mir ihre Nachricht gespannt an.

„Süße, eigentlich wollte ich dir schreiben oder dich anrufen, aber da ich dich nicht gefährden möchte, mache ich es jetzt über diesen Weg..."

Ich kannte sie einfach zu gut.

„...Ich bin gerade an eurem Haus vorbeigefahren und alle Lichter waren aus. Die haben anscheinend wirklich noch nicht bemerkt, dass du weg bist. Erst Recht nicht, dass du mit ihrem Auto weg bist..."

Das würde bestimmt noch Ärger geben, aber sie hatten noch ein zweites Auto, welches sie benutzen könnten. Ich musste es heimlich machen, weil sie es sonst niemals zugelassen hätten. Sie hätten auf mich eingeredet und mir versucht das alles hier auszureden. Aus diesem Grund bin ich um Mitternacht losgefahren, völlig unbemerkt. Ich habe nur eine sehr kurze Nachricht hinterlassen, den Rest würde Caroline klären, darum hatte ich sie gebeten.

„...Es ist jetzt halb 4 und ich hoffe, dass du bisher gut voran gekommen bist. Ich vermisse dich jetzt schon schrecklich und kann gar nicht aufhören an dich zu denken. Haha, ich weiß, ich werde wieder zu emotional, aber ich weiß, dass du diese romantische Seite an mir liebst..."

Ich musste grinsen. Ich liebte nicht nur ihre romantische Seite, sondern einfach alles an ihr. Unser Verhältnis war einfach so liebenswert, wir konnten über alles rumalbern.

„...Ich weiß nicht, ob es dir schon aufgefallen ist, aber ich habe dir heimlich zwei geschmierte Brote und eine Flasche Bananensaft in deine Tasche geschmuggelt, weil ich mir sicher bin, dass du dir nichts zu Essen mitgenommen hast..."

Wieder musste ich grinsen. Das war mir noch nicht aufgefallen. Ich hatte tatsächlich nichts zu Essen mitgenommen, aber weil ich einfach nicht daran gedacht hatte. Immerhin habe ich eine Flasche Wasser eingepackt, aber jetzt hatte ich auch noch Bananensaft dabei, was mich nur noch glücklich stimmen konnte.

„...Kaugummis mit Minzgeschmack sind auch noch dabei. Du weißt ja, wie wichtig ein frischer Atem ist. Schokolade für schlechte Zeiten habe ich auch noch reingepackt..."

Oh je. Wie hatte sie das geschafft alles unauffällig einzupacken? Aber warum wunderte mich das überhaupt? Ich hätte eigentlich fest damit rechnen sollen, dass sie das für mich tun würde.

„...und damit du mich nicht vergisst, habe ich auch ein Selfie von uns beiden ausdrucken lassen. Ich hoffe, du hast viel Spaß damit und vergiss nicht, dich in den nächsten vierundzwanzig Stunden zu melden. Ich vermisse jetzt schon deine Stimme..."

Da war sie wieder. Ihre romantische Seite, die mich zum Lachen brachte.

„...Du weißt ja, ich halte die Stellung. Wir telefonieren dann später, ich muss jetzt schlafen. Ich denk an dich. Haha, nein im ernst jetzt. Ich denke wirklich an dich. Denk dran, dass ich immer zu dir stehe, egal was passiert. Love you."

Es tat so verdammt gut diese Worte zu hören. Sie zauberte mir sofort ein Lächeln ins Gesicht, das schaffte sie einfach immer wieder. Ich war wirklich gerührt von dieser Nachricht. Ich war einfach so froh, dass ich sie in meinem Leben hatte. Sie gab mir unglaublich viel Kraft.

Ich nahm das Handy vorsichtig in die Hand und versuchte mich noch gleichzeitig auf den Verkehr zu konzentrieren. Ich wollte ihr lediglich einen Kusssmilie zurückschicken.

Als ich meine Augen wieder auf die Straße richtete, konnte ich es gar nicht richtig realisieren. In unmittelbarer Nähe stand plötzlich eine dunkle Gestalt auf der Straße und schaute in meine Richtung. Sie bewegte sich überhaupt nicht weg, weswegen ich schnell reagieren musste. In letzter Sekunde und vor allem vor Schreck, riss ich das Lenkrad zur Seite und schmiss meinen Fuß auf die Bremse. Es ging alles so furchtbar schnell, dass ich die Kontrolle über das Auto verlor. Völlig benommen nahm ich noch wahr, wie sich das Auto mehrere Male überschlug. Als es endlich zum Stehen kam, erkannte ich nur noch Rauch und Glasscherben. Alles verschwamm plötzlich immer mehr und ich bemerkte, dass ich langsam das Bewusstsein verlor...

ImpossibleWhere stories live. Discover now