Trauer&Leiden

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-Effie's Sicht:

Schluchzend umklammere ich die Stoffstücke in meinen Armen. Immer mehr Tränen fließen mir übers Gesicht, bis ich schließlich auf dem Boden zusammen sinke. Die Arme fest um den Körper geschlungen, als können sie mich so davor beschützen in ein tiefes schwarzes Loch aus Kummer und Leid zu fallen. Ich wiege mich langsam hin und her, während ich drohe an dem Schmerz zu ersticken.

All die Opfer die gebracht werden mussten, damit ich zu diesem Punkt komme. Über tausend Kinder in den Spielen, weitere tausend in den Distrikten und weiß Gott wie viele in der Rebellion starben und noch sterben werden. Jahr für Jahr bin ich dort gewesen, habe den Schmerz und das Leid gesehen und habe es jedes mal ignoriert. Ich habe mir immer nur Sorgen gemacht, wie ich wohl im Kapitol rüberkommen werde, wenn ich jährlich den hässlichsten Distrikt betreue. Wie grausam muss ein Mensch sein, um dieses Leid und den Hunger der Menschen, dort zu übersehen. Ich bin nicht besser als Snow, nur nicht so Taten kräftig wie er. Denn ich habe nichts getan und nichts tun ist so viel schlimmer als alles andere, wenn man weiß das man was hätte verändern können.

„Effie?", ich schluchzte auf und wende mich ab, da ich nicht will das er mich in einem so erbärmlichen Zustand sieht. „Effie, steh auf", die Stimme von Haymitch war erstaunlich sanft. Wieso? Er müsste mich doch hassen! Wieso geht er nicht einfach, ich habe es schließlich nicht anders verdient! Verzweifelt versuche ich mein Schluchzen unter Kontrolle zu bringen, doch vergeblich. „Hau ab! Lass mich in Ruhe!", aber Haymitch bleibt. „Effie, es ist okay. Ich...". „Nichts ist in Ordnung, Haymitch! Geh, geh einfach!". Doch er machte genau das Gegenteil. Er geht neben mir in die Hocke und legt mir leicht die Hand auf die Schulter. „Effie, was ist los?", Haymitch Stimme neben mir ist ganz ruhig, ohne jeglichen Vorwurf, schon fast besorgt. „Bitte Effie, sprich mit mir!". „Ich bin ein Monster, Haymitch! Fass mich nicht an!", stoße ich hervor, während eine weiter Flut aus Tränen über mich erbricht. „Nein Effie, das bist du nicht!". Haymitch Stimme klingt plötzlich sehr gereizt. „Wie kommst du darauf?" Er packt mich grob unterm Kinn und wendet meinen Kopf so, dass ich ihn ansehen muss.

„Wenn du ein Monster wärst, wärst du nicht hier." Seine Augen sind so hell und klar, dass es fast so wirkt, als blicke man in den eisblauen Himmel eines Wintermorgens. Doch wie der Wintermorgen hat Haymitch Blick etwas Unübersehbares, was nur die Klarheit und kälte des Winters mit sich bringt. In solchen Momenten erinnert er mich wieder an den Junger der damals in die Spiele geschickt wurde. Dieser Junge kannte den Unterschied zwischen Bösen und Guten, doch er wurde zerstört und von einem Alkoholabhängigen, zerbrochenen Mann ersetzt, der nicht mehr klar denken kann. Das muss es sein Haymitch ist dicht, sonst würde er mir niemals sagen, dass ich kein schlechter Mensch bin, den er hätte allen Grund dazu. „Effie, hör mir zu!" Ich senkte den Blick.

„Hör mir zu!", sagte er wieder nur diesmal lauter. „Glaub mir, ich habe in meinem Leben viele Monster gesehen. Die ganzen Mutationen in den Arenen sind Monster, Snow ist ein Monster, die Spielmacher sind Monster. Aber du bist ein Mensch! Du bist eine von denen die sich für ein Monster halten und genau diejenigen sind das komplette Gegenteil. Das Problem ist bloß, wenn du dir oft genug einredest das du eins bist, dann handelst du auch wie eins und genau das macht uns Menschen aus. Unsere Schwächen und je nachdem welche wir uns eingestehen, machen uns zudem was wir sind. Schwächen gehören zu uns, doch du darfst niemals, niemals zulassen, dass die Schwächen die Überhand gewinnen. Denn dann fressen sie dich innerlich auf und zerstören deine Stärken. Lass nicht zu, dass das passiert, denn du bist viel zu gut dafür." Ohne das ich es bemerkt habe, bin ich ruhiger geworden und die Tränen kommen nur noch vereinzelt. Sogar mein Herzschlag passt sich langsam dem Ruhigen, gleichmäßigen heben und senken von Haymitch Brustkorb an.

Langsam steht er auf und zieht mich mit sich hoch. Er nimmt mir die Kleidungsstücke aus der Hand und legt sie unachtsam in ein Regal hinter sich. „Komm", sagte er leise, halb gehe ich, halb führt er mich aus der halboffenen Nische, die mir als Arbeitsplatz zu geweißt wurde. Keiner von uns sagte ein Wort, erst als wir vor meinem Apartment ankommen, schaue ich Haymitch wieder an. Diesmal habe ich keinen Zweifel, er ist nüchtern und trotzdem hat er mich wie ein Gentleman bis zur Tür gebracht.

Aber ich will ihn noch nicht gehen lassen. Ich will, dass er bleibt, deshalb drehe ich extra lang am Schloss herum, bis Haymitch schließlich die Nase voll hat, sich vorbeugt und den Schlüssel selbst herumdreht. „Danke", sage ich leise. Doch was jetzt, auf einen Kaffee einladen zieht nicht mehr, da in 13 jegliche Art an Lebensmittel außerhalb der Kantine verboten wurden. Aber glücklicherweise nimmt Haymitch es selber in die Hand und holt eine Whiskey Flasche unter seiner Jacke hervor und frägt mit einem schrägen Grinsen auf dem Gesicht: „Lust auf einen Drink?". Ohne eine Antwort abzuwarten tritt er ein, schließt die Tür mit einem Tritt und lässt sich aufs Bett plumpsen. Ich zögere, mit Haymitch einen zu trinken ist vermutlich das dümmste, was man machen kann. Doch erstens habe ich doch gerade eben noch darauf gehofft und zweitens steckt so viel Wahrheit in den Worten die Haymitch jetzt sagt: „Komm schon Effie, zwei depressive Mentoren, die verzweifelt versuchen ihren Kummer in irgendwas zu ertränken. Was soll da noch schlimmer werden?" Also lasse ich mich neben ihn fallen und ziehe die Falsche an mich.

Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen ist, aber die Flasche ist schon lange leer und Haymitch und ich sitzen viel enger beieinander als zuvor. „Weißt du was Effie, ich frag mich immer wieder, 'hicks' wie du die ganzen Spiele ohne Alkohol überlebt hast", murmelt Haymitch und greift nach meiner Hand. Ich ziehe sie aber nicht weg was ich sonst eigentlich gemacht hätte. Ich lasse zu das er unsere Finger verschränkt und beobachte interessiert, wie sein Daumen über meinen Handrücken fährt. „Effie?". „Mhm". „Weißt du wie beschissen das Leben ist...", lallt Haymitch weiter: „...vor allem wenn du allein bist. Du wirst jetzt vermutlich wollen das ich gehe, wenn du nüchtern wärst. Aber ich kapiere nicht wie du das immer schaffst! All die Nächte wo du so allein liegst. Ich denke dann immer an die Tribute bei denen ich versagt habe. Sie sind alle allein gestorben." Er wendet den Kopf zu mir und schaut mich plötzlich sehr traurig an: „In den Momenten wünsche ich mir immer, dass ich den Schmerz mit irgendwem teilen könnte. Du etwa nicht?" Ohne ein weiteres Wort beginnt er mühsam sich aus dem Bett zu hieven. Es dauert eine Weile bis die Worte von ihm in meinem Kopf Sinn ergeben, doch dann packte ich ihn plötzlich am Arm und ziehe ihn zurück. „Was hast du?", Haymitch ist sichtlich verwirrt. „Ich will nicht mehr allein leiden", flüstere ich. Da schlingt Haymitch plötzlich die Arme um mich und murmelt zurück: „Ich auch nicht"

HayffieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt