Gerüchte

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Haymitch Sicht:

Ich zögere. Mein Blick schweift noch einmal über Effie, die leise schnarchend an meiner Schulter lehnt. Ich will meine Hand nicht aus ihrer lösen, denn ich habe das Gefühl, das dieser Griff, mein Anker zur Realität ist. Das Stück, was mich über Wasser hält und verhindert das ich ganz abtreibe in diesen dunklen Schatten aus Hass und Schuld der so sehr an mir zieht.

Aber das ist doch Unsinn, Effies Hand kann das alles auch nicht aufhalten, ich würde sie höchstens mitziehen, was nur ein vergeudetes Leben auf meinem Gewissen bedeuten würde. Ärgerlich schiebe ich mich aus dem Bett, doch als ich die leere Whisky Flasche unter dem Kissen hervorziehen will, fällt mir etwas auf.

Es ist nur eine Kleinigkeit, doch sie bringt mich zum lächeln. Effies Kopftuch ist an der Seite leicht nach oben gerutscht und ein paar volle blonden Haarsträhnen lugen darunter hervor. Das habe ich nie an den Kapitol Bewohnern verstanden. Wieso tragen sie alle diese hässlichen Perücken, als wären sie zu dumm ihre Haare zu waschen.

Aber hier in 13 ist mir so langsam ein Licht aufgegangen, nachdem ich merkte, dass Effie mit Kopftüchern rumläuft. Die Leute aus dem Kapitol schämen sich für jegliche Art von Körperbehaarung, ob es nun am Kopf ist oder anderswo. Aber die Vorstellung das Effie solch volles und schönes Haar hat und trotzdem immer diese lächerlichen Perücken trug, amüsiert mich sehr.
Ich weiß nicht, wie viel Uhr es ist.

Ziellos irre ich durch die mit Neonröhren beleuchteten Flure. Vielleicht ist das ständige unter der Erde sein, einer der Gründe wieso ich in 13 noch viel schlechter schlafe, als in 12. Vielleicht ist das der Grund für dieses ungute Gefühl des eingesperrt seins und des kontrolliert werdens, das sich in letzter Zeit immer mehr verstärkt. Ich weiß nicht, warum es da ist, es müsste doch jetzt eigentlich endlich weg sein, jetzt wo der Sieg nur noch einen Fingerbreit von uns entfernt ist. Ich schiebe es darauf, dass ich mir Sorgen um Katniss mache, aber das ist doch Schwachsinn.
Erstens Katniss kann sehr gut auf sich selber aufpassen. Zweitens ist sie so oder so nur für eine Gruppe vorgesehen, die ganz am Rande des Geschehens gute Kameraaufnahmen machen soll und drittens bin ich Haymitch. Ich bin es gewöhnt Menschen, die mir etwas bedeuten zu verlieren und ich kenn das Gefühl von Angst, Schmerz und Schuld.

Es ist schrecklich und allgegenwertig, aber das hier ist es nicht, das hier ist etwas anders. Es fühlt sich beinahe so an, als wäre ich wieder in den Spielen.
Als wäre ich mal wieder nur formbares Wachs in den Händen einer Person. Weich nützlich und so leicht zu zerquetschen. Ich muss hier raus, das Summen der Neonröhren loswerden, das hallen meiner Schritte auf dem Boden. Endlich wieder frische Luft einatmen!

Ich krabbelte durch die Lüftungsschächte. Dieselben, aus denen ich Katniss nach ihrem Anfall holte. Ich kann verstehen, warum sie sich diesen Ort als Versteck suchte. Die Dunkelheit umgibt einen vollkommen, du siehst nichts und dich sieht auch nichts. Der perfekte Ort zu vergessen.

Ich komme mir vor, wie ein Kind, das beim Versteckspielen etwas entdeckt und wegläuft, oder wie ein Tribut, der verzweifelt versucht einen Fluchtweg aus einem endlosen tödlichem Spiel zu finden. Ich krabbel schneller.

Dann spüre ich den ersten Lufthauch und ein schmaler fader Lichtstrahl fällt durch ein Schachtgitter wenige Zentimeter über mir. Endlich! Ich stemme das Gitter hoch und es fällt mit einem verräterischem lautem klirren zu Boden, doch das ist mir egal. Endlich frische Luft! Das rascheln der Laubbäume im frischen Novemberwind der die Wolken verspielt über den Himmel schiebt. Ich ertappe mich dabei, wie ich lächeln muss. Wohlgemerkt zum zweiten mal in dieser Nacht, ein Rekord. „Na, auch hier".

Ich fahre herum und versuche in der Drehung den Sprecher zuschlagen, doch meine Faust prallt in den eisernen Griff knochiger, langer Finger, die meinen Arm mit überraschender Kraft nach unten drücken, ab. Johanna Mason lacht spöttisch auf: „Das Leben hat dich schwach gemacht, Haymitch Abernathy."
Ich hebe den Kopf und reibe mir wütend das schmerzende Handgelenk. „Und dich hat es krankgemacht." „Nein, nicht krank", antwortet sie gehässig „es hat mich wohl eher in Stücke gerissen und an den falschen stellen wieder zusammengeklebt."

Ich schaue in den Himmel; der jetzt langsam heller wird und murmele: „Wen nicht?" Johanna lacht verbittert und fragt: „Wieso bist du so dreckig?" „Weil ich durch die Lüftungsschächte hier rauf bin." „Wieso denn das?" Genervt schaue ich sie an. "Wie bist du denn hierhergekommen?" „Durch den Hinterausgang." Sie ist sichtlich amüsiert. Es ist schrecklich anstrengend mit Johanna Mason eine Unterhaltung zu führen, doch ich kann nicht wütend auf die sein. (Nicht wütender, als ich sowieso durchgehend bin).

Johanna hat so viel leid wie Katniss, Finnick und ich zusammen in ihrem Leben erfahren, da ist es okay, wenn man irgendwann daran zerbricht.
Sie lässt sich neben einem Baumstamm fallen und blickt mich an. Diesmal liegt in ihrem Blick keine Spur von Verbitterung, Spott oder Trotz. „Haymitch, wie schätzt du Peetas Zustand ein?" Ich bin überrascht. Das letzte mal sah ich Peeta vor 2 Tagen; als Katniss ins Kapitol fuhr. Er war hysterisch und nicht zurechnungsfähig. Wieso will Johanna das wissen?

„Ich glaube den Peeta den wir kennen gibt es nicht mehr", antwortet sie sich selber. Aber das glaube ich nicht, ich sehe es in den klaren Momenten in seinen Augen. Peeta Mellark lebt und er kämpft jeden Tag gegen die Bestie an, die ihn droht zu ersticken. Aber das sage ich nicht. Johanna würde mir nicht glauben, sie würde mich für ein verzweifeltes Weichei halten, also frage ich nur: „Wieso willst du das wissen?"

Ihr Blick verdüstert sich. „Ich habe Gerüchte gehört, Gerüchte das Coin der Meinung sei Peeta sei stark genug um ins Kapitol zu gehen, in die Einheit von Katniss." Sie schaut mich bedeutungsschwer an: „Wir wissen beide was das bedeuten würde."

Den Rest des Tages streife ich orientierungslos durch die Korridore des unterirdischen Distrikts. Ich weiß nicht, ob ich hoffte auf Effie zu treffen oder nicht. So gerne würde ich mit ihr über Johannas Worte sprechen, aber sie könnte ja sowieso nichts machen, also wieso sollte ich sie beunruhigen?
Und dennoch kriege ich das gehörte von heute morgen nicht mehr aus dem Sinn. „Wie schätzt du Peetas Zustand ein? - Ich glaube den Peeta den wir kennen gibt es nicht mehr."
Unwillkürlich bekomme ich Angst. Was wenn sie recht hat? Was wenn das Kapitol wirklich den alten Peeta ausgelöscht hat.

Dann wäre Johannas folgender Satz, der nicht aufhören will in meinem Kopf auf und ab zuhüpfen, noch schlimmer „Ich habe Gerüchte gehört, Gerüchte das Coin der Meinung sei Peeta sei stark genug um ins Kapitol zu gehen, in die Einheit von Katniss." Aber es sind nur Gerüchte, oder?! So dumm kann nicht mal Coin sein.
Mir läuft ein Schauer über den Rücken, als ich an Johannas letzten Satz denken: „Wir wissen beide was das bedeuten würde." Oh ja das wissen wir und mir wäre es fast lieber wenn nicht, denn wenn es das ist, steuern wir nur wieder in die selbe Katastrophe hinein aus der wir uns gerade mühsam heraus geboxt haben. Und ich hoffe, ja ich bete inständig für Coin und das wohl Panems, dass es wirklich nur Gerüchte sind.

HayffieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt