Kapitel 25

1.8K 205 17
                                    

"Ah, da bist du ja!", meinte Ines, als Liv direkt auf sie zukam. Dabei müsste die Blonde eigentlich die sein, die dies sagte, denn ihre Freundin hatte sie mit Vincent einfach allein gelassen.
Aber irgendwann hatte Liv die unangenehme Stille nicht mehr ausgehalten und hatte sich auf die Suche nach der Schweizerin begeben.

"Ja. Wie läuft's bei Margot?", gab Liv ein wenig resigniert zurück. Ines musterte sie mit einem eindringlichen Blick. Sie kannte sie mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass etwas nicht stimmte.
"Habt ihr euch gestritten?" Nachdenklich zog die Brünette die Augenbrauen zusammen, doch Liv schüttelte den Kopf.
"Ich war bloß ein wenig blöd, denke ich", antwortete Liv etwas unbehaglich. Ines sagte darauf nichts mehr, sondern zog sie einfach weiter zum LKW, vor dem sie bereits Margot und ihren Vater erkennen konnte.

Sie diskutierten gerade wohl über den Parcours, aber Liv bekam nur ein paar Bruchstücke wie "ich denke da solltest du mit fünf reiten" oder "nimm sie da liebe zurück" mit. Margot war, soweit sie mitbekommen hatte, eine herausragende Reiterin und kam beinahe mit jedem Pferd zurecht. Wahrscheinlich war das auch der Grund, weshalb sie die jungen Pferde auf Turnieren vorstellen durfte.

Vincent konnte Liv nirgens entdecken, worüber sie ein wenig enttäuscht war, als sie sich auf den Weg zum Abreiteplatz machten. Sie hatte sich vorhin nicht korrekt verhalten und das war ihr durchaus bewusst. Bei jedem anderen wäre ihr das egal gewesen, aber bei Vincent nagte an ihr der Gedanke sich immer makellos und perfekt zu präsentieren, was ihr überhaupt nicht gelungen war. Aber wer war schon perfekt? Ohne Fehler und Makel? Wie wären die Menschen ohne Ecken und Kanten. Wie definiert man überhaupt perfekt? Konnte man dergleichen auf Wikipedia genauestens nachlesen? Oder hatte jeder seine eigene Definition von Perfektion? Von Vollkommenheit?

"Liv?", riss Ines Liv wild mit den Armen fuchtelnd aus ihren Gedanken. "Komm mit, wir sichern uns einen guten Platz auf der Tribüne. Oder willst du wie Vincent ebenfalls über die Konkurrenz ablästern?" Sie grinste und ließ Liv gar keine Entscheidung, sondern packte nach ihrem Handgelenk und zog sie mit sich.

Die Prüfung verlief, wie jede Springpferdeprüfung, die Liv bisher mitbekommen hatte. Am Schluss siegte das Paar mit der höchsten Wertung. Hier ließ das auf eine zierliche Frau mit einem muskulösen Fuchs hinaus. Margot wurde mit dem Braunen, von dem Liv den Namen vergessen hatte, platziert, mit den anderen beiden Pferden jedoch nicht. "Das lag an der mangelnden Erfahrung", hatte ihr Vater das ohne Weiteres abgespeist und jedem der Vierbeiner eine Karotte ins Maul gestopft. Liv hatte bei diesem Anblick lächeln müssen. Mit jeder Tat schloss sie die Familie mehr ins Herz.

Nach einer weiteren Prüfung begannen sie schließlich die Pferde zu verladen und die restlichen Sachen einzupacken. Liv war glücklich, aber auch ein wenig traurig, dass der heutige Tag sich nun dem Ende zuneigte. Einerseits freute sie sich morgen auf das Training mit ihren Pferden und die stundenlangen Ausritte mit Ines, andererseits würden Vincent und François heute wieder abreisen. Allen voran Vincent würde sie natürlich ziemlich vermissen. Auch wenn sie ihn spätestens am Dienstag in zwei Wochen wiedersehen würde.

*

Die Luft kühlte langsam ab. Liv hatte ihre Beine an ihren Oberkörper gezogen und den Kopf auf die Knie gelegt. Sie fröstelte ein wenig. In einer Woche würde sie in Hagen starten. In einer würde sich entscheiden, ob sie eine potenzielle Kandidatin war, bei den Europameisterschaften mitzureiten. In einer Woche würde es um alles gehen. Und sie; sie war nicht bereit dazu. Sie konnte mit ihren Pferden nicht einmal einen Trainingsparcours fehlerfrei durchreiten. Wie sollte es dann gegen internationale Konkurrenz funktionieren?

Vincent hatte sich so leise neben sie gesetzt, dass Liv es gar nicht bemerkt hatte. Jumper brummte leise. Ein paar Minuten schwieg er, dann ergriff er das Wort. "Ich weiß zwar nicht, was in deiner Familie so alles schiefgegangen ist, aber du solltest für das, was du noch hast kämpfen"
"Warum bist du noch hier?" war das Einzige, was Liv zögernd herausbrachte. Ihr Mund war staubtrocken. Vincents Nähe bereitete ihr Unbehagen.

"Wir fahren erst in einer Stunde", meinte er und lächelte ein wenig. Er schien etwas enttäuscht zu sein, dass Liv so schnell vom Thema abgelenkt hatte. Sie traute sich nicht ihn anzusehen. Obwohl sie nicht sehr nett zu ihm gewesen war, schien er sich um sie zu sorgen. Bedeutete sie ihm vielleicht doch etwas?

"Glaub mir, es ist so einiges schiefgegangen", brach Liv die Stille, nachdem sie sich einige Minuten angeschwiegen hatten. Der Franzose nickte, fragte aber nicht weiter nach, was Liv etwas Sicherheit gab. Sie wollte es ihm irgendwie nicht erzählen. Sie wollte ihm nicht erzählen, dass sie sich nach ihrem kleinen weißen Pony sehnte, nach Familie, nach Geborgenheit. Sie wollte nicht, dass er erfuhr, dass sie Angst hatte, ihren Vater zu kontaktieren; mit ihm zu reden. Sie wollte nicht, dass er sie für ein kleines, zerbrechliches Mädchen hielt. Sie wollte stark sein. Sie musste stark sein. In den nächsten Minuten, Stunden, Tagen - für immer.

Wieder war die Stallgasse in bedrückendes Schweigen gehüllt. Vincent starrte auf die gegenüberliegende Box und Liv warf ihm hin und wieder einen kurzen Blick zu, um sicherzugehen, ob er noch da war. Denn von seiner Anwesenheit bekam sie fast nichts mit. Das Einzige, was sie davon überzeugte, waren seine ruhigen, gleichmäßigen Atemzüge.
Sag doch was! drängte sie ihr Unterbewusstsein, doch Livs Lippen waren, wie zugewachsen. Sie brachte nun nichts heraus. Vincent schien es ähnlich zu gehen, denn er nestelte etwas nervös an dem Saum seines Jackenärmels herum.

Plötzlich klingelte sein Handy und Liv zuckte im ersten Moment kurz zusammen. Vincent wechselte ein paar Worte auf Französisch, von dem sie nichts verstand, dann steckte er das Smartphone zurück in seine Hosentasche und sprang auf. "Ich muss jetzt los. Pass auf dich auf Liv", sagte er und drückte Liv einen Kuss auf die Stirn. Dann verschwand er im fahlen Licht nach draußen.

-----------------------

Endlich ist es da ^^ Ein neues Kapitel. Und schon wieder so kurz, ich könnte mich rügen. Tut mir leid, dass es so endlange gedauert hat. Ich versuche in nächster Zeit öfter zum updaten zu kommen, weiß aber nicht, wie es klappt.
Liebe Grüße MarieFlojd ;)

Jump itWo Geschichten leben. Entdecke jetzt