Masken der Wahrheit

Kapitel 9

Der Pausengong erlöste Ro von ihren Gedanken.
Ihr nächstes Fach war Kunst.
Endlich.
Es tat ihr gut, ihre wirren Gedanken mithilfe von Farbe darzustellen.
Sie loszuwerden.
Zu ordnen.
Vielleicht war sie nicht die Art von Künstler,
bei dem alles _schön_ aussah.
Vielleicht eher die Art, bei der man das Kunstwerk betrachtet, auf sich wirken lässt und es nicht sofort vergisst.
Ro betrat den Kunstsaal und steuerte zielstrebig auf ihren Tisch zu.
Vorbei an Gruppen von Menschen mit perfekten, lachenden Masken.
Vorbei an denen, die dachten, perfekt sein wäre alles.

Doch an ihrem Tisch saß sie nicht allein.
Sue.
Sie war bereits da und breitete Papier und Farben auf dem Tisch aus.
Als sie Ro bemerkte, schenkte sie ihr ein entschuldigendes Lächeln und sagte "Sorry, dass ich in der Pause und so nicht da war. Hatte was zu klären. Gehen wir Mittag zusammen essen?"
"Klar", meinte Ro kurz angebunden und holte sich ebenfalls ihr Arbeitsmaterial.

War es die Wahrheit, was Sue gesagt hatte?
Ein wahres Lächeln?

Ro schüttelte den Kopf.
Sie machte sich zu viele Gedanken.

Ro setzte ein Lächeln auf und ging mit Farbkasten und Pinseln beladen zurück zu ihrem und Sues Tisch.

Die Aufgabe war darzustellen, wie man den Menschen wahrnimmt und sieht.
Eine leichte Aufgabe für Ro.
Sie wusste genau was sie malen würde.
Die Masken.
Die Masken, die alles perfekt und schön aussehen ließen.
Sie wagte einen kurzen Blick zu Sue.
Sie saß zusammengekrümmt auf ihrem Stuhl, dass Gesicht nachdenklich und eine Spur traurig verzogen.
Das war nicht die Sue, die Ro kannte.
Die Sue, die sonst immer gerade und selbstbewusst dasaß und immer was zu lachen hatte.
Was war los mit ihr?
Klar, sie hatte ihre Maske abgelegt, nicht stark genug sie zu halten.
Aber warum?
Ro wollte sie ansprechen, sie fragen was los war, sie trösten.
Doch natürlich traute sie sich nicht.
Was wenn Sue nicht angesprochen werden wollte?
Ro wusste, dass sie schon wieder zu viel dachte und zu wenig handelte.
Doch sie konnte nicht anders.
Das war etwas, was sie noch lernen musste.
Handeln.
Sie wusste es, aber wie sollte sie es lernen?
Niemand konnte ihr dabei helfen.
Das war einzig und allein ihr Problem, welches sie lösen musste.