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"So, if you are too tired to speak, sit next to me, because I, too, am fluent in silence." -R.Arnold

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Wach lag ich zwischen den schlafenden Körpern meiner Freunde und Familie. Dunkelheit herrschte im Wohnzimmer, bis auf ein paar wenige Lichtstrahlen, die sich durch die Jalousien und Vorhänge kämpften. Still lag ich hier und lies die letzten Stunden Revue passieren.

Nachdem Liza mich zum Aufstehen motivierte waren wir gemeinsam in die Wohnung zurückgekehrt. Dort wurde ich, leider Gottes, von der ganzen Truppe in Empfang genommen und einmal stark durchgeknuddelt, wobei ich in der Umarmung meines Bruders fast erstickt wäre. Mila warf mir vorerst nur verurteilende und wütende Blicke zu bis sie sich dazu entschloss mich einmal fest in ihre schlanken Arme zu ziehen und mir ins Ohr zu flüstern, dass sie mich liebt, aber auch hasst, weil ich meinen Sturkopf immer durchsetzen musste. Aber so war meine Freundschaft mit Mila schon immer gestrickt. Wir konnten nicht mit, aber auch nicht ohne einander. Sie mochte viele meiner Eigenschaften nicht, doch schätze sie die wenigen Guten, die ich hatte und baute mich immer wieder auf. Lucy war ein starker Kontrast zu Mila, was der Umgang mit meinem Verhalten anging. Die Blondhaarige warf sich in meine Arme und weinte wie ein Schlosshund, erklärte, dass ich dumm war zu glauben, sie würden mir abkaufen, dass Alles okay wäre. Dass ich dumm war zu glauben, dass ich keine Hilfe bräuchte. 

So wie ich meine beiden Freundinnen einschätzte würden die nächsten Wochen aus vielen Gesprächen und vielen Umarmungen bestehen, hatten sie mir vorhin doch klar gemacht, dass sie ab sofort härtere Geschütze auffahren würden, sollte ich einmal mehr Zuflucht in meinen Gedanken suchen und nicht mit ihnen sprechen. Die Vorstellung auf einer Therapeutencouch zu liegen, umgeben von einem penetranten Geruch nach Desinfektionsmittel und über meine Gefühle zu sprechen widerstrebte mir jetzt schon. Wie könnte ich einem Wildfremden mein Innerstes offenbaren, wenn ich nicht einmal selbst wusste, was in mir vorging? 

Allerdings störte das meine zwei Kindheitsfreundinnen nicht im Geringsten. Mein Bruder würde die beiden wahrscheinlich mit Freuden dabei unterstützen mich, auch gegen meinen Willen, zu einem Seelenklempner zu schleppen. Auch wenn ich sie dafür hassen würde, wären sie bereit dazu mich jederzeit für eine Therapie oder eine Selbsthilfegruppe anzumelden, ganz egal wie wütend ich auch wäre. Ich verstand sie auf eine Art, machten sie sich doch nur Sorgen und wollten mein Bestes, wollten ihre Freundin und Schwester zurück. 

Doch wieso verstanden sie nicht, dass ich nicht bereit dazu war einfach weiter zu machen? Wieso versuchten sie nicht zu verstehen, dass ich mir selbst nicht im Klaren darüber war, was in mir vorging? Wieso konnten sie mir nicht die Zeit geben, die ich brauche, um mir darüber klar zu werden, wer ich nun war und wie ich mit dem Vergangenen umgehen soll? Wieso konnten sie nicht verstehen, dass ich nie wieder die Gleiche werde? 

Leicht zuckte ich zusammen, herausgerissen aus meinen einnehmenden Gedanken und versuchte rauszufinden, was mich erschreckte. Kurz schüttelte ich meinen Kopf um im Hier und Jetzt anzukommen und festzustellen, dass Mace aufgestanden war und mich direkt anblickte. Ohne etwas zu sagen hielt er mir seine große Hand entgegen und nickte auffordernd zur Küchentür. Vorsichtig richtete ich mich auf und ergriff noch vorsichtiger seine Hand. Sanft zog er mich nach oben und lief, meine Hand festhaltend in seiner, mit mir in die Küche. Leise zog er einen der Barhocker, die am Tresen standen, zurück und schob mich sanft auf diesen. Mich loslassend drehte er sich zur Küchenzeile, nahm den silbernen Wasserkocher zur Hand und füllte ihn mit Wasser. Während das Wasser sich erhitzte zog er zwei Tassen aus dem weißen Hängeschrank, entnahm dem Apothekerschrank eine Teesorte und füllte die darin befindlichen Teeblätter in zwei Teesiebe. 

Überraschend war es nicht für mich, dass er nach ein paar Besuchen augenscheinlich schon wusste, wo sich welcher Gegenstand befand. Ich hatte bereits die Erfahrung gemacht, dass Mace zwar oft sehr ruhig war, doch hieß dies nicht, dass er seine Umgebung nicht genaustens beobachtete. Oder, dass er nicht auch seine Stimme erheben konnte. 

Erschrocken blickte ich auf als sich die weiße Tasse, gestaltet mit einem kleinen Pinguin mit blauem Schal und gelber Mütze, in mein Blickfeld schob. Dankend nahm ich die warme Tasse in meine Hände und inhalierte den angenehmen Geruch von Salbei. Genießend schloss ich meine Augen und atmete tief durch bevor ich einen vorsichtigen Schluck des herrlich beruhigenden Tees trank, wissend, dass Mace einen kleinen Schluck kaltes Wasser hinzugefügt hatte. Die Wärme durchfloss angenehm meinen ausgekühlten Körper und langsam öffnete ich meine müden Seelenspiegel, um in die dunklen Augen des Braunhaarigen zu blicken. Dankend lächelte ich ihm zu und trank einen weiteren Schluck. Anders als bei den Anderen konnte ich in Mace Augen kein Mitleid erkennen, strahlten sie einzig und allein pure Ruhe aus, die sich langsam auf mich übertrug. Meine Atmung wurde ruhiger und meine angespannte Haltung sank in sich zusammen. Überraschenderweise war das, was wir hier taten, anscheinend genau das, was mein überforderter Kopf jetzt brauchte. Woher Mace das wusste, war mir nicht klar, doch hoffte ich, dass ihm klar war wie dankbar ich ihm hierfür war. Mit Mila und Lucy waren solche Momente selten möglich, da sie es bevorzugten zu sprechen und verbal zu trösten. Doch war dieses stille Beieinandersitzen genau das Richtige gegen die lauten Gedanken in meinem Innersten. Langsam bewegte sich Mace auf mich zu und ließ sich vorsichtig auf den Hocker neben mir gleiten. 

Leicht drehte ich meinen Kopf in seine Richtung, um festzustellen, dass sein Blick nach vorn gerichtet war. Mein Blick folgte seinem und genießerisch schloss ich wieder meine Augen, um die Ruhe, die Mace ausstrahlte auf mich übergehen zu lassen. Der Braunhaarige war ein wahrer Ruhepol und verursachte ein Gefühl von Sicherheit in meinem Körper. Er war wie ein Fels in der Brandung, wirkte er doch so unerschütterlich und standhaft. Ein Fels, den mein schwacher und zerrütteter Körper gerade brauchte, um sich kurzzeitig aus dem Hier und Jetzt zu entziehen und Frieden zu finden. Wenigstens für diesen kurzen Moment wollte mein Kopf aufhören mich mit Bildern aus vergangenen Zeiten zu quälen. 



KaitlynWo Geschichten leben. Entdecke jetzt