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Schweren Herzens stand ich vor dem Schlafzimmer meiner Eltern und schloss die Tür, endgültig. Einen Monat war es her, seit meine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. So viele unausgesprochene Gefühle lasteten auf meinen Schultern und geisterten in meinem Kopf umher, seit der Beerdigung. Sie warteten darauf endlich gefühlt zu werden, doch ich ließ es nicht zu. Ich unterdrückte sie und das Verlangen danach, mit jemanden darüber sprechen zu wollen. Zwar wurde mir diese Hilfe angeboten, jedoch wollte ich es alleine schaffen, wieder auf die Beine zu kommen, das war jedoch ein langwieriger Prozess. Da meine Eltern nun fort waren, lebte ich alleine weiterhin in meinem Elternhaus, versuchte alles irgendwie auf die Reihe zu bekommen. Ich kellnerte in einem Café und in einer Bar, um jeden Monat gerade so über die Runden zu kommen, ich versuchte in der Schule nicht durchzufallen, was sich als richtige Herausforderung entpuppte. Früher war ich immer recht gut in der Schule, aber jetzt? Dadurch machte ich natürlich die Lehrer auf mich aufmerksam. Immer wieder sorgten sie sich um mein Befinden, fragte wie es bei meiner Tante war, wie es sich dort lebte. Ich log ihnen allen Etwas vor. Es gab keine Tante, ich wollte dieses Haus nicht verlassen und wollte der Schule nicht verwiesen werden. Also log ich, was meinen jetzigen Vormund anging, damit ich wenigstens meinen Abschluss noch machen konnte. Doch irgendwann konnte ich es nicht mehr leugnen, wenn heraus kam, dass ich keinen Vormund mehr hatte, jedoch konnte ich nur hoffen, dass das nach meinem Abschluss der Fall sein würde. Irgendwann würde jemand davon Wind bekommen und dann würde sich die Nachricht wie ein Buschfeuer verbreiten. So war das in einer irischen Kleinstadt wie Bruff nun mal.

Dadurch, dass ich neben der Schule noch arbeiten musste, entfremdete ich mich von meinen Freunden, doch das war ein Opfer welches ich gerne brachte. Nachdem ich mit behandelten Wunden aus dem Krankenhaus kam und jeder von der Neuigkeit gehört hatte, hatte sich keiner meiner Freunde auch nur einen Dreck um mich geschert. Wenn ich ihnen egal war, konnten sie nichts mehr von mir erwarten. Während ich in Dads Sekretär nach Büroklammern für mein Geschichtsessay suchte, lief ein leises ruhiges Lied im Radio, welches ich leise mitsummte. Da mein Dad es noch nie mit Ordnung hatte, fiel ein Teil des Inhalts der Schublade auf den Boden. Stöhnend bückte ich mich, um alles wieder aufzuheben. Als ich alles wieder verstaut und eine Büroklammer ergattert hatte, wollte ich mich wieder aufrichten, als ich mit meiner Jackentasche an dem Schubladengriff hängen blieb und mein Gleichgewicht verlor. Unsanft plumpste ich auf den Boden und riss die Schublade mit mir. Der Inhalt der Schublade verteilte sich dabei überall auf dem Boden. „Mist." Murmelte ich und versuchte, mich wieder aufzurichten, darauf bedacht mich nicht auf einer Pin-Nadel abzustützen. Kniend sammelte ich Dads Notizen und Dokumente, sowie die Pin-Nadeln und Büroklammern wieder ein. Mit den zusammengesammelten Sachen in der Hand wollte ich alles wieder in der Schublade verwahren, als mein Blick auf einen weißen Briefumschlag fiel, welcher auf dem Boden der Schublade befestigt wurde. Interessiert entfernte ich den Brief von der Schublade und betrachtete ihn eingehend. Auf dem Umschlag stand, in der Schrift meines Vaters geschrieben, mein Name. Wieso hatte mein Vater den Brief vor mir versteckt, wo er doch an mich adressiert war? Wieso hatte er mir überhaupt geschrieben? Alles, was dort drin stand, hätte er mir auch persönlich sagen können. Neugier machte sich in mir breit, als ich den Umschlag eilig aufriss. Ich hatte nur Augen für den Brief als ich mich auf den Schreibtischstuhl meines Vaters setzte und den Inhalt auf dem Sekretär ausbreitete. Es war nicht viel und einen Zusammenhang hatte es auch nicht.

Das Erste, was mir ins Auge fiel, war ein zusammengefalteter Zettel auf dem wieder mein Name geschrieben stand. Auf dem Zettel stand nichts weiter als zwei Worte: Krähen und Eulen. Was sollte das bedeuten? Wieso sollte mein Vater sich die Mühe machen, mir einen „Brief" zu schreiben, wenn er dort nur Vogelarten notierte? Das Nächste war eine Visitenkarte von einer gewissen Brenda McFitz, welche Direktorin der sogenannten ‚Killarney Akademie' war. Als ich jene googlete, kam ich zu dem Entschluss, dass es sich um eine Schule ausschließlich für reiche Schnösel und Snobs handeln müsste. Wieso wollte Dad, dass ich ihre Visitenkarte bekam? Auf der Rückseite der Visitenkarte stand in einer kleinen, krakeligen Schrift „Hilfe.". Das war definitiv Dads Schrift, wenn er in Eile war.Als ich die Visitenkarte wieder beiseitelegte, richtete sich mein Blick auf den letzten Gegenstand, eine Kette mit einem edlen Anhänger. Es handelte sich um einen silbernen, runden Anhänger, dessen hauchfeine Silberfäden einen Baum darstellten. An dessen Ästen waren noch drei kleine rote Steine eingearbeitet, welche wohl Früchte darstellen sollten. An der Kette war ein kleiner Zettel befestigt, welchen ich entfernte und las. „Trag sie, Tag und Nacht." Stand, in der Schrift meiner Mum geschrieben, auf dem Zettel. Mum hatte auch etwas mit diesem Brief zu tun? Fasziniert betrachtete ich den Anhänger. Er war zu schön, um wahr zu sein. Vorsichtig legte ich ihn in meine Handfläche und fuhr mit meinen Fingern über den wunderschönen Baum und die drei roten Edelsteine, die wirklich nur so groß waren wie ein Nadelkopf. Ehrfürchtig öffnete ich den Verschluss und legte sie mir um, ließ sie aber bedeckt von meinem T-Shirt, auf meinem Dekolleté liegen. Zuvor, als ich sie berührt hatte, war das Silber eisigkalt gewesen aber nun, da sie um meinem Hals lag, breitete sich eine wohlige Wärme im meinem Körper aus. Die Wärme schenkte mir einen Moment ohne Sorgen, ohne Trauer und ohne Leid. Bis ich wieder in die Realität gerissen wurde und mein Blick sich wieder klärte. Meine Eltern waren immer noch tot und ich lebte immer noch alleine. Seufzend unterdrückte ich eine einzelne Träne und nahm die Sachen mit, die mir meine Eltern hinterlassen hatte, ehe ich das Arbeitszimmer meines Dads verließ. Ich musste jetzt zur Arbeit, wenn ich mich nicht verspäten wollte.

Der Ruf der EulenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt