Kapitel 10

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Ich hörte den Schlüssel im Schloss und augenblicklich spannte ich mich an.
Außer Melina besaß niemand einen Schlüssel zu dieser Wohnung.
Und darauf, Melina jetzt zu treffen, war ich nicht vorbereitet.
Ich gehörte zu diesen Menschen, die Gespräche gerne in ihrem Kopf durchdachten und sich Sätze zurechtlegten, aber dafür war dieses Mal keine Zeit.
Ich musste das jetzt irgendwie unvorbereitet schaffen.

Melina stand durchnässt im Türrahmen und auch ihr sah man an, dass jegliche Vorbereitung auf das folgende Gespräch gescheitert war.
"Ich zieh mir nur kurz etwas trockenes an und dann ähm....sehen wir weiter" erreichte Melinas raue und angespannte Stimme mein Ohr.
Zaghaft nickte ich und sobald sie in ihrem Zimmer verschwand, legte ich den Kopf in meine Hände und begann meine Schläfen zu massieren.
In den letzten Minuten hatte ich furchtbare Kopfschmerzen bekommen und jeder einzelne Muskel von mir war angespannt.
Ich war aufgeregt.

Ich hatte Angst.

Was war, wenn Melina so gar nichts für mich empfand?
Was war, wenn sich die Ereignisse von vor ein paar Tagen wiederholen würden?
War ich schon bereit mir selbst einzugestehen, dass ich Frauen mindestens genauso anziehend fand wie Männer?
Konnte ich die nächsten Ereignisse irgendwie planen?
Hatte ich irgendeine Sicherheit, an der ich mich festhalten konnte?
"Shirin?" Melinas Stimme klang noch angespannter als vorhin und als ich meinen Blick auf sie richtete, spürte ich diese Anspannung förmlich.

Sie hatte Angst.

"Ja?" Kam es brüchig aus meinem Mund und fast hätte ich mich vor meiner eigenen Stimme erschreckt.

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Die Braunhaarige lehnte leicht zitternd am Türrahmen und ihr Blick suchte hastig den Raum ab, als würde sie einen Halt suchen.
Die andere der beiden, mit leicht rosanen Haaren, die unordentlich zu einem Dutt gebunden waren, saß ganz still da und fixierte mit ihrem Blick einen undefinierbaren Punkt an der Wand.
Es schien, als hätte sich eine Mauer zwischen den beiden gebildet.
Zwei komplett unterschiedliche Gemüter trafen aufeinander.

Gegensätze ziehen sich an.

Und als wäre dies der am Tisch sitzenden in diesem Moment bewusst geworden, stand diese auf und ging langsam in Richtung der anderen Frau.
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Melinas Sicht

Shirin erhob sich und es war unschwer zu erkennen, wie viel Überwindung diese wenigen Meter sie gekostet hatten.
"Es tut mir leid" flüsterte sie, als sie vor mir stand und die Tränen, die sich langsam aber sicher in ihre Augen kämpften, waren nur unschwer zu erkennen.
Zu gerne hätte ich sie in meine Arme geschlossen und ihr den Halt gegeben, nachdem sie sich so sehnte aber ich war nicht in der Lage, ihr näher zu kommen.
Sie zog mich so stark an, dass ich mich zu der Distanz zwischen uns zwingen musste.
Aber mit jedem Atemzug wurden die cm zwischen uns unerträglicher.

Ich liebte diese Frau.

Wie sie da ungeschminkt, mit zerzausten Haaren und Jogginghose stand.
Sie war perfekt in meinen Augen.
Egal, wie oft sie an sich zweifelte.
Es gab nichts, was ich hätte ändern wollen.
Es war alles perfekt. Nur die Situation war so unglaublich kompliziert.

Der richtige Mensch zur falschen Zeit.

Ich spürte die Tränen, die sich den Weg aus meinen Augen bahnten und still auf mein Oberteil tropften.

Da standen wir nun, die, die eigentlich als so aufgeweckt und fröhlich galten.
Die immer alle zum Lachen brachten und von Stärke geprägt waren.

Da standen wir nun und weinten still vor uns hin.
Unfähig, uns in die Arme zu fallen, obwohl das wohl das war, was wir uns beide sehnlichst wünschten

#shirinaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt