Kapitel 2

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Es war warm. Unter meinem Körper fühlte ich etwas weiches und über mir eine schwere kuschelige Decke. Für einen kurzen Moment glaubte ich in meinem Zimmer zu liegen und das alles nur ein böser Traum war. Nein, ich war nicht zu Hause. Es roch anders. Irgendwie nach Holz und irgendwelchen Kräutern.
Wo um Himmels Willen war ich gelandet? War ich vielleicht doch tot? Wohl eher nicht, das Jenseits hatte ich mir da schon etwas anders vorgestellt.
Es gab eigentlich nur vier Möglichkeiten:
A die Männer hatten uns doch noch geschnappt und verschleppt.
B Die Gestalten, die ich kurz bevor ich Ohnmächtig wurde aus den Bäumen springen gesehen hatte, haben mich mitgenommen.
C Ich war komplett verrückt und in irgendeiner Irrenanstalt für geistig kranke Teenagermädchen gelandet, die mitten im Wald lag und auf Kräutermedizin spezialisiert war.
D Ich war doch tot und hatte einfach keine Ahnung vom Jenseits.
Nach kurzem Überlegen schloss ich A aus da die Männer uns einfach getötet hätten. Womit ich auch gleich bei Möglichkeit D war, die ich allein schon wegen der Angst was dann mit Lucy passiert war sofort verwarf.
Blieben also nur B und C. Beides war gut möglich und ich wollte keine voreilig ausschließen. Ich musste es wohl herausfinden.
Eigentlich hätte ich es schon viel früher tun sollen doch ich hatte einfach zu große Angst vor der Wahrheit gehabt. Die Angst wieder im Wald auf zu wachen oder sogar an einem viel schlimmeren Ort war groß. Aber am größten war die Angst das diesmal Lucy nicht mehr da war um mich davon abzuhalten vor Angst komplett durch zu drehen.
Ein wenig zögerlich versucht ich meine Augen zu öffnen. Es klappte nicht. Erneut kam Panik in mir auf und ich versuchte es nochmal. Diesmal mit Erfolg.
Das erste was ich sah war eine Decken aus Holz. Allerdings nicht so wie in jedem normalen Haus das eine Decke mit Holzverkleidung hat, sondern sie war aus grob abgeschliffenen, nicht immer ganz geraden Brettern die aussahen als hätte jemand ohne besondere Fachkenntnisse zusammengezimmert. Naja, immerhin sah sie dicht und vor allem stabil aus.
Langsam drehte ich meinen Kopf zur Seite und starrte auf einen großen grauen Vorhang. Leider ließ er mich keinen Blick auf die andere Seite erhaschen.
Um mir einen besseren Überblick zu verschaffen versuchte ich mich vorsichtig auf zu richten. Erst jetzt sah ich den Rest meines „Zimmers".
Zu meiner Überraschung bestand der ganze Raum aus Holz und war auf die gleiche Weise wie die Decke zusammengebaut. Doch das wohl komischste war ein großer, dicker Ast der einfach durch die Wand herein kam und durch die Decke wieder verschwand.
Im Raum stand außer meinem Bett, welches wie ich bemerken möchte ziemlich stabil und bequem war wenn man bedachte das es einfach aus ein paar Ästen grob zusammengebaut worden war, ein weiteres genauso spärlich gebautes Exemplar, das aussah als hätte eben noch jemand darin gelegen.
Mir gegenüber war ein Lücke in der wand die vermutlich ein Fenster darstellen sollte.Viel erkennen konnte ich allerdings nicht, denn ein Ast mit vielen Blättern versperrte mir die Sicht.
Jetzt blickte ich auch an mir hinab. Ich hatte nicht mehr meine normale Kleidung an sondern ein einfaches braunes Nachthemd. Um meinen rechten Arm war ein Verband gebunden und um meinen Oberkörper fühlte ich auch etwas festes, das durchaus ein Verband hätte sein können. Erst jetzt bemerkte ich das auch um meinen Kopf ein Verband geschlungen war.
Doch kurioser Weise hatte ich keinerlei Schmerzen. Im Gegenteil auf einmal fühlte ich mich sogar ziemlich zufriedenen.
Verdammt, was war nur los mit mir? Hatten die mich etwa unter Drogen gesetzt? Ich konnte hier doch nicht einfach hier friedlich vor mich hin vegetieren ohne zu wissen was hier eigentlich los war.
Ich wollte gerade versuchen auf zu stehen als ich Schritte hinter dem Vorhang hörte. Mit einem Ruck wurde dieser aufgerissen und zwei Mädchen kamen herein.
Die eine war Lucy die sich sofort auf mich stürzte und mich fest umarmte.
Die Andere schloss währenddessen wieder den Vorhang. Mist jetzt hatte ich meine Chance einen Blick dahinter zu erhaschen verpasst.
Das Mädchen sah mich an und lächelte.
„Schön das du wieder wach bist", sagte sie. Ihre Stimme klang sanft, aber trotzdem ziemlich reif. Sie passte gut zu ihrer äußeren Erscheinung.
Sie hatte langes, kastanienbraunes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden hatte. Sie war etwa einen halben Kopf größer als Lucy und hatte eine eher zierlich Figur. Passend zu ihrem Haar hatte sie eine braune Hose und ein braunes Oberteil an, darüber trug sie einen weißen Kittel weswegen ich vermutete sie war so etwas wie eine Ärztin. Allerdings war das ziemlich komisch, denn sie sah vielleicht ein höchstens zwei Jahre älter als Lucy und ich aus.
„Du hast ja einiges abgekriegt. Eine Gehirnerschütterung, ein paar geprellte Rippen, sowie ein verstauchtes Handgelenk und einen verstauchten Knöchel. Ich hab die extra eine starke Kräutermischung gegen die Schmerzen gegeben ich hoffe es hilft", sagte sie mit einem kleinen Kichern als fände sie das besonders lustig.
Aha, also doch Drogen. Trotzdem nickte ich kurz, nur um der Höflichkeit willen. „Ich bin so froh das es dir gut geht!", sagte Lucy, die schon fast in Tränen ausbrach. Erst jetzt betrachtete ich sie etwas genauer. Genau wie das andere Mädchen trug sie eine braune, lange Hose und ein braunes, ihr aber etwas zu großes T-Shirt.
Endlich stellte ich meine bisher dringlichste Frage.
„Was ist eigentlich passiert und wo sind wir?"
Das Mädchen sah mich etwas verwundert an, zuckt dann aber nur kurz mit den Schultern und fing an zu erzählen:
„Soweit wie deine Freundin mir das erzählt hat seid ihr im Wald auf ein paar einfache Kopfgeldjäger getroffen die es eigentlich auf die Mitglieder des Widerstands abgesehen hatten und euch versehentlich für ein welche gehalten hatte. Die streifen hier oft durch die Wälder wegen des hohen Kopfgelds das Akuma auf die Patronen ausgesetzt hat. Zu eurem Glück habt habt ihr auf eurer Flucht einen unserer Außenposten gekreuzt, der dann Verstärkung gerufen hat.
Die Anderen haben erzählt das du, nachdem ihr in die Enge getrieben worden wart, eine magische Druckwelle zur Verteidigung erzeugt hast, die dich auch erwischt hat und du gegen die Felsen geschleudert worden bist. Zwar war ich nicht dabei, aber sowie deine Verletzungen aussehen hast du echt viel Power."
Stopp, hatte sie gerade gesagt ICH hatte eine MAGISCHE DRUCKWELLE erzeugt? Damit war wohl klar ich war doch verrückt. Ich hatte sie wohl echt nicht mehr alle. Anscheinend musste ich gerade echt blöd gucken denn sie fing einfach an zu lachen. „Ich nehme an du hast gar nicht gewusst was für Kräfte du hast, das kann am Anfang ein ganz schöner Schock sein. Keine Angst wir können dir hier helfen mit ihnen um zu gehen."
Jetzt verstand ich gar nichts mehr. Während ich noch damit beschäftigt war meine Gedanken zu ordnen schlüpfte das Mädchen wieder durch den Vorhang und ich blieb mit Lucy allein.
Eine komische Stille breitete sich zwischen uns aus und keiner von uns Beiden machte irgendwelche Anstalten sie zu durchbrechen. Keiner von uns wusste wie es jetzt weiter gehen sollte und vielleicht hielt es auch deswegen keiner für nötig diese Frage zu stellen.
„Ich bin wirklich froh das es dir gut geht", verwundert schaute ich Lucy an,"du hast bis spät in den Nachmittag geschlafen und ich habe mir solche Vorwürfe gemacht." Ich schüttelte den Kopf. Mit Schwung warf ich die Decke zur Seite und schwang meine Füße über die Bettkante.
Erst etwas zögerlich setze ich meine nackten Füße auf den rauen Boden. Entschlossen stand ich auf und ging zu Lucy, die mich nun völlig entgeistert anstarrte. Man ich sollte nachher echt mal mein Aussehen im Spiegel überprüfen, wenn mich hier alle immer so komisch anstarren!
Dann holte ich aus worauf Lucy zusammenzuckte, wohl in der Erwartung ich würde ihr gleich eine Ohrfeige oder so geben.
Doch stattdessen boxte ich ihr nur freundschaftlich gegen den Arm und lachte. Zuerst schaute sie mich an als wäre sie eine Kriminelle die trotz eindeutiger Schuld gerade von mir freigesprochen wurde, stimmte dann aber in mein Gelächter mit ein.
Sie hatte Verstanden das ich ihr an der ganzen Sache keine Schuld gab und damit war die ganze Frage wer jetzt Schuld hatte vergessen. Ohne das es ausgesprochen hätte werden müssen hatten wir uns auf ein „Dann sind wir eben beide Schuld" geeinigt. Es fühlte sich gut an nach der ganzen Anspannung letzte Nacht wieder ausgelassen lachen zu können.
Es gab so viele Dinge über die ich mit Lucy unbedingt reden musste, dass ich fast platzte vor Aufregung.
Doch genau in dem Moment kam das Mädchen von vorhin wieder durch den Vorhang geschlüpft und funkelte mich auf einmal böse an. Jetzt fiel mein Blick zum ersten Mal genauer auf ihr Gesicht. Sie hatte weiche Gesichtszüge und relativ gut gebräunte Haut. Ihre Augen die wie ihr Haar tief kastanienbraun waren blickten mich wütend an und sorgten dafür das jegliche Freundlichkeit die sie vorher ausgestrahlt hatte verschwunden war.
Stadtessen wirkte sie so respekteinflößend ,dass ich mich automatisch ganz klein fühlte.
„Was glaubst du eigentlich was du hier tust? Nur weil du etwas gegen die Schmerzen bekommen hast und sie deshalb nicht spürst heißt das nicht das deine Verletzungen nicht mehr existieren. Mach bloß das du zurück ins Bett kommst sonst füge ich dir gleich Schmerzen zu gegen die kein Mittel hilft!"
Oh je, nach dieser Standpauke huschte ich sofort zurück unter die Decke und wagte es nicht mich auch nur noch einen Zentimeter zu bewegen.
Lucy ging es allerdings nicht anders, denn sie hatte sich auf das Bett neben meinem gesetzt, was wohl hieß das es ihres war, und schaute eingeschüchtert auf den Boden. Die plötzlich ausgebrochene Stille hatte etwas unangenehm, bedrohliches und die Sekunden kamen mir auf einmal wie Minuten vor.
Doch gerade als ich glaubte das sich die Wut in ihrem Blick wieder etwas legte wurde der Vorhang zur Seite gerissen und beinahe synchron zuckten wir alle drei zusammen.
Vor uns stand ein breit grinsender Junge der die Hände in den Hosentaschen vergrub. Er hatte sich lässig an die Wand gelehnt und schien die Situation absolut zu genießen. Er hatte kurzes, verstrubbeltes, dunkelbraunes Haar. Und mal ganz unter uns genau so hatte ich mir immer Schneewittchens Haarfarbe vorgestellt! Wie anscheinend jeder hier, trug er eine Hose und ein T-Shirt komplett in braun. Das T-Shirt spannte sich über seine breiten Schultern und darunter zeichneten sich Muskeln ab.
Er hatte tief dunkelbraune, ja schon fast schwarze Augen, die aber vor Lebendigkeit nur so strahlten. Seine Gesichtszüge waren weder so sanft wie bei dem Mädchen mit dem weißen Kittel, noch waren sie besonders kantig, sie waren irgendeine perfekte Mischung aus beidem.
Er war vielleicht so alt wie ich oder auch etwas älter, aber trotzdem ein gutes Stück größer als ich.
Und ja, ich fand ihn verdammt sexy.
„Was willst du Liam, ich dachte du würdest mit den anderen heute auf Patrouilliere gehen?"
Sie funkelte ihn genauso böse an wie eben noch uns, allerdings schien es bei ihm keinerlei Wirkung zu zeigen.
„Was freust du dich denn gar nicht mich zu sehen Marlene? Tja, ich bin wegen unseren beiden Neuankömmlingen, die du soeben so erbarmungslos zusammengestaucht hast hier. Ich soll sie zu Amelie bringen."
Bei der Erwähnung dieses Namens zuckte Marlene kurz zusammen, fand aber gleich wieder zu ihrem „Lass-mich-besser-in-Ruhe-du-willst-lieber-nicht-wissen-was-sonst- passiert"-Blick zurück.Ihre Mine verfinsterte sich.
„Wie ich den Beiden hier gerade eben schon zu verstehen gegeben habe. Wird sie",dabei zeigte sie auf mich, „ erst mal nirgendwo hingehen solange sie noch nicht geheilt ist!"
Ich bekam langsam echt Angst.
„Na gut dann heil sie eben! Amelie wartet nämlich nicht gerne."
Hilfe. Das war der Kampf der Giganten. Das Schneewittchen hatte inzwischen ein arrogantes und siegessicheres Lächeln aufgelegt. Auf einmal kam ich mir hier völlig deplatziert vor. Als wäre ich zwischen zwei gegnerische Fronten geraten. Allerdings konnte ich nicht einfach aufstehen und gehen, denn dass hätte die Situation nur noch zugespitzt.
Doch gegen alle meine Erwartungen, die eigentlich auch nur darin bestand das bald Sachen durch die Luft fliegen und sie sich gegenseitig an die Gurgel gehen würden, schüttelte Marlene einfach nur lächelnd den Kopf.
„Na schön, von mir aus, dann aber husch raus ich ruf dich wenn es vorbei ist."
Was war gerade passiert? Ich war irgendwie etwas überfordert, ein Blick zur Seite verriet mir das es aber auch Lucy so ging.
„Warum denn? Ich guck doch niemandem was weg und ich würde deine Heilmagie nur zu gern in Aktion sehen."
Das Schneewittchen versucht es anscheinend mit der Einschleim-Taktik.
„Du Schwein, sofort raus!", rief Marlene energisch.
Lachend machte sich das Schneewittchen auf den Weg zum Ausgang.
Halt stopp. Ausgang? Oh man, vor lauter Aufregung hatte ich ganz vergessen das der Vorhang ja offen stand.
Lucys und mein Bett waren nur die hintersten von insgesamt acht weiteren Betten, welche aber allesamt leer waren, zwischen ihnen stand ab und zu ein Regal mit diversen Kräutern und Einmachgläsern deren Inhalt ich nicht identifizieren konnte. Der Raum war groß und lichtdurchflutet, aber wieder störte ein Faktor das Gesamterscheinungsbild.
Doch diesmal war es nicht nur ein Ast, sondern ein ganzer Baumstamm mit großen dicken Ästen, der einfach wie selbstverständlich in der Mitte dieses Raumes stand. Jap, ich war mir nun ziemlich sicher das war ein Baumhaus. Aber warum?
Bevor ich noch mehr Zeit hatte mir weiter den Kopf darüber zu zerbrechen, zog Marlene den Vorhang wieder zu.
„Ok, leg mal die Decke zur Seite,, ich muss mich um deinen Knöchel kümmern." Etwas irritiert machte ich was von mir verlangt wurde.
„Halt bitte kurz still!"
Marlene entfernte den Verband und legte ihre Hände auf meinen ziemlich angeschwollenen Knöchel. Auf einmal wurde es warm unter ihren Händen. Es war eine angenehme Wärme die bis zum Knochen vordrang.
Als sie fertig war, war mein Knöchel abgeschwollen und sah wieder gesund aus. Das Gleiche machte sie auch mit meinen anderen Verletzungen. Als sie sich um meine Rippen kümmerte war ich wirklich Froh, dass sie das Schneewittchen raus geschickt hatte.
Nachdem sie fertig war sah sie ziemlich erschöpft aus.
„Zieh dich um und dann komm dann raus."
Mit diesen Worten ging sie wieder hinter den Vorhang reichte mir noch schnell ein paar braune Sachen, die mir ein bisschen zu groß wirkten und rief Lucy zu sich raus. Nachdem diese mit einem entschuldigenden Blick Marlenes Befehl folgte, war ich wieder allein. Und jetzt hatte ich noch mehr Fragen als zuvor.

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