Chapter 10

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Es klingelte. Ich wollte langsam raus schlurfen, doch einer von den Kicher-Mädchens Freunden, hielt mich auf.

"Kannst du das mal kurz halten?", fragte er und hielt mir seine Wasserflasche hin. Ich verdrehte die Augen und nahm sie ihm aus der Hand.
Jetzt musste ich schon Wasserflaschen halten. Wie tief war ich gesunken?

Der Koreaner bückte sich um seinen Schuh zu binden. Immer wieder pustete er sich seine Haare aus der Stirn.
Ich wusste nicht wie er hieß, ich beachtete niemanden so genau.
Er hatte stinknormale braune Haare, aber ein schönes Lächeln. Und er war mit den Kicher-Mädchen befreundet.
Aufgedreht war er manchmal auch, ein Witzereißer eben.
Mit einem Ruck band er sich den Schuh fest und stand auf.
"Danke", sagte er und nahm mir die Flasche aus der Hand.

"Sag mal, du triffst dich doch immer mit Yoongi, oder?", fragte er und stellte den Kopf schief.
Ich sah in genervt an. "Ich treffe mich mit niemandem. Und es geht dich einen Scheiss an", sagte ich. Seine Symphatiepunkte bei mir hatte er sich mit der Frage jedenfalls verspielt.

Er lachte. "Ganz ruhig. Ich will dir nur einen Rat geben". Ich schnaubte. "Darauf kann ich gerne verzichten", sagte ich. "Nein, ehrlich. Ich will dich nur warnen", sprach er ernst.
Ich zog eine Augenbraue hoch. "Vor was? Was ist mit Yoongi?", fragte ich ihn. Was wollte er mir sagen?

"Yoongi? Der ist komisch. Er redet mit niemandem. Wenn du dich mit ihm abgibst, wirst du wie er enden", sagte der Koreaner. Ich machte das Kidding-me Gesicht. Das er komisch ist wusste ich. Schließlich war Yoongi wie ich, dann musste ich auch komisch sein.

"Und jetzt? Soll ich heulend wegrennen?", fragte ich ihn.
"Nein. Es kommt mir nur merkwürdig vor, dass er mit dir redet. Dich überhaupt in seine Nähe lässt. Bei uns ist das nicht der Fall, glaub mir. Und bei Mädchen ist es noch schlimmer. Er meidet sie. Wird gleich agressiv, wenn ihn ein Mädchen auch nur anspricht.", erzählte er.

Ich sah ihn an. War das wahr?
"Ich weiss es interessiert dich nicht, was ich dir zu sagen habe. Aber ich finde es einfach merkwürdig. Seit dem Vorfall hat er sich nicht geändert. Und jetzt plötzlich tauchst du auf und Yoongi ist...nun ja. Anders, eben. Zu dir anders. Ich weiss nicht ob irgend etwas los ist. Oder du einfach nur verdammtes Glück hast. Du musst ihn irgendwie rumgekriegt haben", erzählte mir er.

Ich sah auf den Boden. Rumgekriegt? Meinte er etwa Yoongi mag mich?

Und was meinte er mit dem Vorfall?

"Welchen Vorfall?", fragte ich ihn.
Der Koreaner riss die Augen auf.
"Du weisst nichts?", fragte er mich ungläubig. Ich schüttelte den Kopf. Was sollte ich wissen? Yoongi schweigte wie ein Grab und ich bin mit niemandem befreundet auf der Schule, sodass ich wüsste was los wäre.

Der Koreaner sah sich um. "Okay, ich erzähle es dir. Aber dafür müssen wir irgendwo hin wo es ruhig ist. Ist eine lange Geschichte", sagte er. Ich nickte.
Der Junge führte mich zur Bibliothek.
Dort angekommen, saßen wir in einem Eck.

"Normalerweiße haben wir alle Schweigepflicht. Aber da ich Yoongi seit der Grundschule kenne, kann ich dir sagen was passiert ist."
Ich nickte wieder. Erzähl schon. Ich habe keine Zeit.

Und er fing an.

"Weisst du, Yoongi war nicht immer so. In der Grundschule waren wir befreundet gewesen. Er war immer sehr nett und fröhlich. Ein totales Gegenteil zu heute. Du würdest ihn nicht wieder erkennen. Auch hatte er viele Freunde. Aber eine war seine ganz spezielle Freundin. Und zwar seine beste Freundin. Sie war eine Austauschschülerin aus England. In der ersten Klasse ist sie zu uns gekommen und weil sie so gut war, durfte sie die ganze Grundschule über bleiben. Yoongi hatte sich direkt mit ihr angefreundet und ein halbes Jahr später waren sie unzertrennlich. Sie waren die beste Freunde die man sich nur vorstellen konnte. Doch wie wir wissen, kann aus Freundschaft ganz schnell Liebe werden. Jedenfalls für Yoongi war es so. Er hatte sich in sie verliebt. Ganz klar, bei den langen dunklen Haaren und den blauen Augen. Jeden Koreaner faszinieren helle Augen, weil sie ja in Asien nicht vorhanden sind. Aber naja. Sie wusste nichts davon. Das Yoongi sie geliebt hatte. Er war sehr schüchtern, unser Yoongi. Immer hat er sich bei mir sein Herz ausgeschüttet, wie wunderschön die doch war und wie sie ihn mit ihren schönen Augen hypnotisiert hatte. Jahrelang ging das so weiter. Bis die beiden auf die Mittelschule gekommen sind. Immer noch waren sie unzertrennlich. Doch Yoongi konnte die Freundschaft nur müde belächeln. Es tat ihm weh zu zu sehen, das er sie liebte. Und das sie ihn aber nicht liebte. Das wusste er. Er wusste es so klar, wie kein anderer. Eines Tages hatten sie sich zerstritten. Sie hatte ihm offenbahrt das in jemandem verliebt wäre und ihn fragen wollte ob er mit ihr ausgehen wollte. Es war ein Junge, eine Klasse über ihr. Das hatte Yoongi natürlich nicht gepasst. Er hatte ihr abgeraten sich mit demjenigen zu treffen. Er wollte sie nur beschützen und natürlich war er auch eifersüchtig. Sie hatten sich heftig gestritten. Noch nie hatte ich ihn so aufgebracht gesehen. Beide gingen nach Hause. Am selben Tag passierte was schreckliches. Yoongi bekam mitten in der Nacht einen Anruf von den Eltern seiner besten Freundin. Und was die ihm erzählten, war für ihn der Genickbruch. Sein innerer Tod. Er eilte zum Krankenhaus und sah, was er nie sehen wollte", erzählte er.

Ich sah ihn fragend an. Was hatte er gesehen? Oh, war es das was ich dachte?

"Sie lag dort. Blutbeschmiert. Im weißen Krankenhausbett. Die Wunden konnte man gar nicht zählen. Schreckliche Bilder. Sie war überfahren worden in der Nacht. 2 Mal vom selben Lieferwagen. Glasklar, das sie tot war. Noch am Unfallsort verstorben. Ich war nicht selbst dabei gewesen im Krankenhaus. Aber ich habe gehört, dass Yoongi sie erst einmal 10 Minuten lang angestarrt haben soll. Dann hätte er sich auf den Boden geschmissen und sich die Fäuste am Boden blutig aufgeschlagen haben. Er hat wie ein geisteskranker ihren Namen geschrien. Komm zurück, komm zurück, soll er immer wieder gesagt haben. Die Ärzte haben ihn aus dem Zimmer gezerrt. Und irgendwann ist er umgekippt", sagte er jetzt mit einer leisen Stimme und einem mitleidigen Ausdruck im Gesicht.

Mein Mund stand offen. Oh Gott. Das war ja schrecklich.

"Soll ich weiter erzählen?", fragte er mich vorsichtig. Er musste meinen schokierten Gesichtsausdruck bemerkt haben. Ich nickte langsam.

"Die Tage danach waren die schlimmsten. Er ist 2 Monate nicht zur Schule gekommen. Von seiner Mutter habe ich gehört, er soll Nächtelang wach gewesen sein und bitter geweint haben. Geschlafen hat er nur am Tag, ein paar Stunden. Essen hatte er verweigert.
Seine Mutter musste ihn manchmal wie ein Kleinkind füttern, so schlimm war es. Irgendwann ist Yoongi verstummt. Endgültig. Mich hatte er ignoriert. So wie alle anderen auch. Seine komplette Umgebung hat er ausgeblendet. Anfangs habe ich noch versucht ihm näher zu kommen. Irgendwann habe ich es aufgegeben. Bis heute redet er nichts mit mir. Oder mit jemandem anderem. Bis heute. Außer mit dir", endete der Koreaner.

Ich starrte auf den Tisch. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Mein kompletter Kopf war leer. Was sollte man dazu sagen?

"Ich glaube er sieht sie in dir. Du siehst ihr verdammt ähnlich. Gleiches Aussehen, gleiches Lächeln. Er glaubt sie wäre du. Ich weiss nicht ob es so ist. Du erinnerst ihn an sie. Das ist dein Glück, warum Yoongi dich beachtet."

Ich nahm den Koreaner gar nicht mehr wahr. Ich sah ihn auch nicht mehr. Ich stand einfach auf und ging. Langsam lief ich aus der Bibliothek.
Wie im Trance fuhr ich nach Hause.
Mein Chauffeur sah mit dem Blick in den Rückspiegel immer wieder besorgt zu mir. Sah ich so schlecht aus? Wahrscheinlich.

Zuhause legte ich mich in mein Bett. Mein Mund war trocken. Langsam strich ich über meine Bettdecke.

Armer Yoongi.

Armer armer Yoongi.

Doch das bittere an der Sache war...

...ich konnte ihm nicht helfen. Ich konnte ihm nicht die Wärme zurück geben, die er brauchte um lebendig zu werden.

Ich war wie er. Kalt. Und tot.

Und Kälte mit Kälte konnte nur noch zu schmerzendem Eis werden. Mehr nicht.


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