3. Kapitel

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Rosie

Manchmal glaubte ich Madame Vernet, meine Geigen Lehrerin, war in ihrem früheren Leben eine Giraffe gewesen. Genug Ähnlichkeiten mit einer hatte sie nämlich allemal. Sie war spindeldürr, weil sie Nahrung ablehnte, solange sie eine andere Farbe hatte als grün. Ihre Beine waren unglaublich lang und schlank, genau wie ihre Arme und ihr Hals und Glubschaugen wie eine Giraffe hatte sie auch.

Madame Vernet war streng und diszipliniert. Sogar ihre Falten hatte sie mit aller Strenge glatt gezogen, indem sie ihre vom Alter weißen Haare, zu einem straffen Dutt zurück gekämmt hatte.

Sie trug meistens teure Stoffhosen, teure Blusen, teure Schuhe mit schwindelerregend hohen Absätzen und seidene Schals, natürlich auch teuer. Nichts an ihr war billig und das zeigte sich auch in ihrem Haus, in den ich jede Woche drei mal von ihr im Geigespielen unterrichtet wurde. Ihr Haus war von oben bis unten klassisch und edel eingerichtet. Es gab gemusterte Tapeten, mit grün und gold, puderrosa und terracotta, indigo und hellblau, die an jedem anderen Ort als Madame Vernets Wohnung, wohl schrecklich gewesen wären. Sie hatte gepolsterte Stühle, Sessel und Sofas auf goldenen, krummen Beinen, zierliche Beistelltische, Tiffany Lampen, wuchtige Bücherregale mit kunstvoll geschnitzten Verziehrungen, Samtbezogene Kissen, schwere Vorhänge mit Kordeln und stuckversehene Decken. So unscheinbar diese Unterkunft von außen auch aussehn mochte, von innen war sie ein Kunstwerk, dass einen jeden schamvoll an sein eigenes zu Hause denken ließ.

Und wie gesagt, drei mal die Woche war ich hier, so wie auch an dem Tag an dem ich mein Handy an eine dubiose Gruppe von Jungs verloren hatte, die in einer rostigen Banane durch die Gegend fuhren.

Madame Vernet hatte schon einen Tee aufgesetzt gehabt, als ich ihren Gartenweg hinauf gerannt kam, mit meinem Geigenkasten in der Hand. Sie schätzte Verspätungen nicht sehr und wenn sie einmal ihr Teeservice heraus geholt hatte, war das ein unverkennbares Zeichen dafür, dass man zu spät war.

Technisch gesehen, war ich nicht pünktlich gewesen weil ich versucht hatte Schadensbegrenzung zu betreiben. Die Jungs waren verschwunden, Stunden später war auch der gelbe Bus abgeschleppt worden. Ich hatte den Mann vom Abschleppdienst gefragt, ob er wisse wo die Besitzer dieses Autos hin gegangen waren.
Er hatte es nicht gewusst.

Wegen dieser Verzögerung hatte ich den Schulbus verpasst, den ich an Tagen wie diesen zur Heimfahrt nehmen musste, damit ich früh genug nach Hause kam um meine Geige zu holen und dann zu Madame Vernets Haus zu kommen.

Also war ich nach Hause gerannt, wo ich dann völlig außer Atem angekommen war und herausfinden musste, das Ruthie es lustig gefunden hatte meine Geige zu nehmen und sie ohne Bogen, wie eine Gitarre zu spielen.

So musste ich also erstmal mein Instrument zurück erobern, dann war ich bereits so spät gewesen, dass ich Grandpa fragen musste ob er mich fahren konnte. Er hatte leider seine Brille verlegt und ohne die durfte er nicht Auto fahren. Dazu noch, mochte Grandma es nicht, wenn ich das Auto nahm und ohne einen von ihnen auf dem Beifahrersitz, damit fuhr. 

Das Ergebnis von all dem, war also dass ich fast einandhalb Stunden zu spät gekommen war und eine wütende Madame Vernet antraf, wie sie an ihrem glänzenden Mahagonitisch saß und Tee aus einer zierlichen Tasse mit gold Rand trank.

Okay, wütend war vielleicht nicht das perfekte Wort für eine von Madame Vernets Gefühlsanwandlungen. Wut, war viel zu viel Emotion und Kontrollverlust für ihren Geschmack, außerdem bekam man davon Falten.

Nein. Was sie in dem Moment ausstrahlte, in dem ich zur Tür herein stürzte, war eher eine Mischung aus kühler Enttäuschung und irgendwas was man wohl am Besten als Wie-kannst-du-es-nur-wagen bezeichnen konnte.

PearlyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt