+ Kapitel 3: Was willst du? +

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„Hast du meinen einen Rock gesehen?", rief Marie mir aufgebracht entgegen und rauschte an mir vorbei. Perplex schaute ich ihr hinterher und seufzte.
„Welchen denn?", wollte ich wissen und folgte ihr ins Schlafzimmer. Sie war gerade dabei, den ganzen Kleiderschrankinhalt auf dem Boden zu verteilen.
„Meinen einen."
Ich seufzte. Was für eine Aussage. „Den schwarzen Längeren oder den roten Kürzeren?", wollte ich dann wissen und Marie warf mir einen kurzen Blick zu.
„Beide?"
Kopfschüttelnd kam ich näher auf sie zu und betrachtete das Chaos, was sie angerichtet hatte, richtete meinen Blick dann auf den restlichen Inhalt des Kleiderschranks und griff an ihr vorbei. Nach zwei kurzen Handgriffen hatte ich die beiden gesuchten Kleidungsstücke gefunden und drückte sie Marie in der Hand.
Gerade wollte ich mich wieder wegdrehen und das Zimmer verlassen, da ich selbst noch genug zu packen hatte, doch stoppte sofort, als ich Maries Augen sah. Was war denn jetzt los? Ihre Lippen fingen an zu zittern, ihre Augen füllten sich so langsam mit Tränen. Das war ganz und gar nicht gut.
„Ich bin... so unfähig", schluchzte sie im nächsten Moment und ohne zu wissen, was ich da tat, hatte ich sie fest in meine Arme geschlossen. „Ich bin so... dumm."
Überfordert stand ich dann da, Marie aufgelöst in meinen Armen und ich hatte absolut keine Ahnung, wie ich darauf reagieren sollte.
„Marie?", hauchte ich nach einigen Minuten verwirrt, während ihre Tränen mein T-Shirt durchnässten und sie sich an mich krallte.
„WAS?!", keifte sie im nächsten Moment und hatte mich von sich geschubst. „Steh hier nicht so rum, wir müssen gleich los!", meinte sie noch und war im nächsten Moment – mit ihren Röcken – aus dem Raum gestürmt.
War das normal? Zwei entgegengesetzte Emotionen, die innerhalb weniger Minuten auftraten und sich änderten? Seufzend ließ ich mich aufs Bett nieder und starrte Marie mit schief gelegtem Kopf hinterher. Ich sollte echt nochmal danach googlen. Am besten generell, wie sich die Stimmung einer Schwangeren im Laufe der Zeit so änderte und mir vielleicht Tipps holen, was ich auf keinen Fall tun sollte, um nicht geköpft zu werden.
Seufzend schaute ich dann auf mein Shirt und hatte es im nächsten Moment ausgezogen, um es im hohen Bogen in die Wäschetruhe zu werfen. Schwarze Mascarareste würden in nächster Zeit wohl öfter auf meinen Klamotten landen.
Schulterzuckend rupfte ich mir eines meiner Shirts vom Boden und folgte Marie in den Wohnbereich, wo unsere zwei Taschen schon halbfertig gepackt waren. Ich wollte es nicht riskieren, von Marie in Gedanken rumstehend entdeckt zu werden.
So verlief der restliche Packvorgang so ruhig, wie es mit Marie verlaufen konnte. Sie riss auch in normalem Zustand das Kommando an sich und nun war es nicht gerade besser. Aber ich ließ sie erstmal machen und hoffte einfach, sie würde sich vielleicht während der Zugfahrt beruhigen und am Ende des Tages besser drauf sein...
Kurzfassung: War sie nicht. Kein Stück. Während der Zugfahrt hatte sie meinen kompletten Reiseproviant alleine verdrückte, 80 Prozent der Zeit an meiner Schulter geschlafen und die restliche Zeit deprimiert die regnerische Landschaft angestarrt. Jegliche Versuche meinerseits, sie aufzumuntern, hatte sie abgeblockt und sich stattdessen einen weiteren Schokoriegel genommen. Das einzig Positive: Sie war kein weiteres Mal in Tränen ausgebrochen. Immerhin.
Und nun waren wir schlussendlich in Paris angekommen, es war viel zu dunkel, um irgendetwas von der Stadt zu erkennen, und das Wetter machte auch nicht wirklich mit. Der Regen, der uns schon in Köln begleitet hatte, war geblieben – wenn nicht sogar noch stärker geworden.
Seufzend nahm ich unsere Taschen aus dem Taxi und folgte Marie ins Hotel. Die Wetterumstände würden sich nicht gerade förderlich aufs Maries Gemütszustand auswirken, sie zog vielmehr ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter – und das bedeutete glaube ich nichts Gutes.
„Ich habe hunger", grummelte Marie, als sie sich aufs Bett fallen ließ und ich die Taschen in eine freie Ecke des Zimmers warf. Es war ein schönes Hotelzimmer, großes Bett, alles sehr schlicht gehalten, gefiel mir auf jeden Fall, hatte ich wirklich gut ausgesucht.
„Worauf hast du hunger? Wollen wir im Hotelrestaurant was essen gehen?", fragte ich meine Freundin dann und kam auf sie zu. „Waren die ganzen Schokoriegel nicht genug."
„WAS?!", fing sie sofort an zu keifen und ich schluckte. Keine Bemerkungen, was ihr Essverhalten anging. Grandios, konnte ich mir merken. „Ich hab einfach nur hunger", meinte sie dann etwas ruhiger und ich seufzte.
„Französisch?", fragte ich und Marie schüttelte den Kopf. „Italienisch?", auch ein Kopfschütteln. „Thailändisch? Sushi?", versuchte ich es weiter, doch nichts schien sie zufrieden zu stellen.
„Hunger", wurde sie immer wehleidiger und ich versuchte ruhig zu bleiben, zählte noch weitere Essensmöglichkeiten auf und als ich das Wort Fastfood auch nur in den Mund nahm, leuchteten ihre Augen auf und sie fing regelrecht an zu strahlen.
Alles klar, dann würden wir in Frankreich in irgendeine beliebige Fastfoodkette gehen und uns mit Fastfood den Bauch vollschlagen. Warum auch nicht...
Und so endeten wir bei Mäcces, aßen diesen ungesunden Fraß, auch wenn ich eigentlich was frisch gekochtes Französisches hätte haben können, doch Marie sah einigermaßen zufrieden aus und das war doch eigentlich die Hauptsache. Oder? Ich wusste es nicht.
Marie sprach nicht mehr viel mit mir, war viel mehr in ihren Gedanken versunken und ich machte mir auch keine Mühe mehr, eine aufregende Unterhaltung mit ihr führen zu wollen. Sie brauchte ihre Ruhe, sie brauchte fettiges Essen und sie brauchte Schlaf. Und das alles würde sie kriegen.

Platz für Zwei (HerrBergmann)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt