+ Kapitel 4: Was hast du da? +

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„Es ist kalt!", maulte Marie und zog sich ihre Jacke enger um den Körper. Ich seufzte nur. Natürlich war es kalt. Das Wetter war nicht das Beste und wir waren hier mittlerweile schon ziemlich weit oben.
„Also kein Eiffelturm mehr?", fragte ich sie aber nur und legte den Kopf schief.
„Mir egal. Es regnet", erwiderte sie und im nächsten Moment zog ein gleißender Blitz über den Himmel. Ein paar Sekunden später folgte auch schon der Donner. „TIM!", kreischte Marie und krallte sich an meinem Arm fest, während sie anfing zu schluchzen. „Ich... ich... Mach was!"
Tief atmete ich durch, löste dann vorsichtig ihre verkrampften Finger von meinem Arm und nahm ihre Hand stattdessen fest in meine.
„Hey, Marie, ganz ruhig!", fing ich an, aber Marie schüttelte nur den Kopf.
„Ganz ruhig? Verdammt nochmal, wir stehen hier auf diesem Metallberg und was ist, wenn gleich... der Blitz...", meinte sie und wieder erhellte ein Blitz den Himmel, wieder zuckte sie zusammen.
„Marie, wir sind hier sicher. Der Eiffelturm hat genug Sicherheitsvorkehrungen, hörst du? ... Wir können ganz normal wieder nach unten gehen, uns wird nichts passieren, ja?", versuchte ich sie irgendwie zu beruhigen, doch das war ein Projekt, das zum Scheitern verurteilt war. Den ganzen Abstieg über murmelte Marie irgendetwas vor sich hin und wischte sich ihre Tränen aus den Augen, während sie meine Hand abquetschte und fürchterlich zitterte. Warum zur Hölle wollte ich nochmal unbedingt zum Eiffelturm? Und wieso zur Hölle war auf einmal dieses Gewitter da, eben war doch nur leichter Nieselregen?
Irgendwann aber hatten wir es doch runter geschafft, Marie zitterte nur noch mehr, wollte sich aber auch nicht von mir wärmen lassen – so viel wie ich sie auch hätte wärmen können, denn mir ging es nicht anders, ich fror bis auf die Knochen. Der regenschirmbrechende Regenschauer eben hatte uns einfach viel zu sehr überrascht. Ach, es war eine ganz hervorragende Idee gewesen, mit ihr den Eiffelturm besuchen zu wollen. Wären wir doch einfach im Louvre geblieben...
„Komm, lass uns zum Hotel gehen", murmelte ich daher vorsichtig und rechnete schon wieder damit, dass Marie sich über irgendwas aufregen würde, aber sie nickte nur und ließ sich von mir durch die Straßen ziehen.


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Schlussendlich kamen wir dann doch irgendwann am Hotel an, tropften die Lobby und den teuren Teppich voll, stolperten ins Zimmer und schälten uns aus unseren Jacken.
„Hey, komm mal her", bat ich Marie und sie ließ sich wirklich zu mir ziehen. Vorsichtig strich ich ihr ein paar der nassen Strähnen aus dem Gesicht. „Du gehst jetzt erst mal heiß duschen, hörst du? Dann ziehst du dir die bequemsten Sachen an, die du hier findest. Egal, ob sie von dir oder von mir sind. Und dann kriegst du von mir alles, was du dir wünscht, okay?", fragte ich sie und Marie sah mich mit großen Augen an, nickte dann aber vorsichtig.
„Da...danke", murmelte sie und ich lächelte nur, bevor ich ihr kurz über die Wange strich und mich zu ihr hinunter beugte, um sie zu küssen. Es sollte nur ein kurzer Kuss werden, einfach nur damit sie wusste, dass ich da war und sie da nicht alleine durchmusste. Und dass es nur dummer Regen war und dass dieses Gewitter ihr gar nichts mehr anhaben konnte.
Seufzend lächelte ich in den Kuss hinein, als ich merkte, dass sie sich nicht wehrte, und zog sie näher zu mir. Ein bisschen Frieden von ihrer Seite aus war gerade genau das, was ich brauchte. Warum konnte es nicht immer...
Im nächsten Moment spürte ich, wie Marie mich energisch zurück schubste. Panisch schaute sie zu meiner Hand, die ich eben unwillkürlich – und ganz sicher nicht absichtlich – auf ihren Bauch gelegt hatte, wie mir jetzt gerade auffiel, und stolperte ein paar Schritte zurück. Und im nächsten Moment hörte ich, wie die Badezimmertür zuknallte und ich einfach gar nicht wirklich kapierte, was gerade geschehen war.
Perplex und ohne mich zu regen legte ich meinen Kopf schief, starrte auf meine Hände und sah dann Marie hinterher.
„Scheiße!", murmelte ich und fuhr mir über mich selbst genervt durch meine Haare. Das war doch jetzt gerade echt nicht passiert, oder?
Seufzend ließ ich mich aufs Bett fallen und betrachtete die Badezimmertür. Das Wasser der Dusche drang prasselnd an mein Ohr und ich starrte viel zu lange einfach diese dumme Tür an. Was hatte ich denn jetzt schon wieder angerichtet? Und wieso war es so schwer, einfach mal alles richtig zu machen? Ich wollte doch eigentlich nur, dass alles gut war, und schaffte jedes Mal genau das Gegenteil...
„Du bist manchmal so ein Idiot", meinte ich zu mir selbst und wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Vielleicht ja auch beides.
Erneut seufzend kramte ich dann die kleine Ringschachtel aus meiner Tasche, die dort seit Tagen ihren Platz gefunden hatte, und öffnete sie, um den Ring darin genau zu betrachten, lange zu betrachten. Unwillkürlich musste ich lächeln. Das tat ich immer, wenn ich ihn sah, den Ring. Er machte mich so unglaublich glücklich, dieses verdammte Stück Metall. Und genau deswegen schaute ich ihn mir auch an. Gerade jetzt, auch wenn es gerade ... nicht so rosig lief. Ich sollte das Projekt ‚Wie stelle ich Marie einen kitschigen Hochzeitsantrag?' wohl vorerst auf Eis legen, denn mit ihren Stimmungsschwankungen würde ich sie nachher nur komplett vergraulen. Und den Zustand wollte ich gerade beim besten Willen nicht erleben, dafür mochte ich mein Leben eigentlich doch ziemlich gerne...
„Was hast du da?", hörte ich Marie irgendwann fragen und schreckte panisch auf. Sofort klappte ich die Schachtel zu, wollte sie verstecken, doch Marie stand genau vor mir – und griff schon danach.
„Nein!", keuchte ich atemlos, doch da hatte sie das kleine Döschen schon geöffnet, den Inhalt wahrgenommen – und erschrocken fallen gelassen. Dieser Tag konnte ja echt nicht mehr besser werden...
„Marie?", murmelte ich leise und betrachtete sie. Sie klammerte sich hilfesuchend an ihrem Handtuch fest, das sie als einziges trug, und einige Wassertropfen fielen von ihrem Haar direkt auf meinen Handrücken. Immerhin hatte sie meiner Anweisung gefolgt, heiß duschen zu gehen...
„Das ist nicht dein Ernst!", hörte ich Marie sagen und seufzte mal wieder.
„Heirate mich?", versuchte ich es schwach. Jetzt war es ja eh schon zu spät.
„Tim, das meinst du...", fing sie wieder an und ich unterbrach sie dreist.
„Man, Marie. Heirate mich. Werde meine Frau. Was auch immer", erwiderte ich und sah sie an.
„Machst du gerade Scherze?"
„Seh ich etwa so aus?!", schüttelte ich den Kopf. Es wurde einfach nicht besser. „Man, ich hab diese ganze Scheiße seit Wochen und Monaten geplant. Du wolltest raus, die Welt sehen. Ich wollte dich nach Paris bringen, mit dir die Stadt erkunden, Spaß haben. Mal kein YouTube, sondern einfach nur wir beide, du und ich, ein Plätzchen ganz für uns zwei allein. Romantischer Spaziergang in der Abendsonne, was auch immer. Ein netter, kleiner Heiratsantrag, du sagst ja, und alles wäre gut gewesen. Aber stattdessen gewittert es, du lässt mich gar nicht mehr an dich heran und das mit dem Antrag hatte ich mittlerweile auch aufgegeben und ich hätte dich irgendwann anders gefragt, wenn es dir wieder besser geht, aber seitdem du gerade den Ring gesehen hast...", versuchte ich alles zu erklären, hatte aber das Gefühl, dass es mir nicht gut gelang, Marie sah immer noch komplett geschockt aus.
„Du willst mich wirklich heiraten?", fragte sie nur wieder und vereinzelte Tränen rannen über ihre Wangen. „Mich?"
„Natürlich? Wen denn sonst?", stellte ich nur die Gegenfrage. Manchmal fragte ich mich echt, was in sie gefahren war...
„Ja keine Ahnung. Aber ich mach doch gerade alles andere als eine richtige Freundin zu sein. Warum willst du denn ... mich heiraten?!"
Ich seufzte – mal wieder.
„Marie, wie lange sind wir jetzt zusammen?", schaute ich sie fragend an.
„7 Jahre..."
„Siehst du... Ich liebe dich, Marie. Wenn ich dich nicht lieben würde, dann ständen wir hier jetzt nicht. Ich versuch doch nur ein verdammtes Mal alles richtig zu machen und selbst das krieg ich nicht hin. Man Marie, ich will dich heiraten. Ich will mein verdammtes Leben mit dir verbringen, für immer. Und am liebsten noch so viel länger. Ich will, dass dieses verdammte Kind, das wir gerade eigentlich ignorieren, meinen verdammten Namen kriegt und ich will verdammt nochmal, dass du so richtig ‚Frau Bergström' wirst. ... Also nein, ich mache keine Scherze, Marie", wurde ich aufbrausender als ich wollte und bereute es auch schon wieder, doch Marie sah mich einfach nur an, aus diesen tottraurigen Augen, mit denen sie mich auch schon die letzten Tage angeschaut hatte.
„Es tut mir leid", war alles, was sie dann sagte, während sie sich zu mir aufs Bett setzte und ihr ersten Tränen über ihre Wangen rollten.
„Was? Nein sagen zu müssen?", murrte ich zynisch und hob die Ringschachtel vom Boden auf. Ich hatte mir so unfassbar viel Mühe beim Aussuchen gegeben. Marie sollte den perfekten Ring kriegen und eigentlich war ich mir sicher gewesen, dass er ihr gefallen würde.
„NEIN! Das mein ich nicht. Ich würde gerne deine Frau werden, Tim. Aber der Rest tut mir leid. Dass ich mich so verhalte, wie ich mich verhalte. Dass ich so darauf bestanden habe, den Ring sehen zu wollen. Es tut mir leid, ich hab die komplette Überraschung versaut. Ich...", erklärte sie und fing noch stärker an zu weinen. „Du ... hast dir so viel ... Mühe gegeben und ich...", versuchte sie weiter zu reden, doch sie weinte zu stark. Sowas hatte ich mit ihr noch nie erlebt. Und so saß ich einfach nur da, zog sie in eine Umarmung und mein Kopf, der war mal wieder ziemlich leer. Bis auf die Tatsache, dass Marie gerade gesagt hatte, dass sie gerne meine Frau werden würde. Und dass eigentlich alles gut werden musste, auch wenn es gerade nicht danach aussah...


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Seufzend und vollkommen übermüdet zog ich Marie näher zu mir heran. Sie war schon fast eingeschlafen, aber bis hierhin war es ein langer Weg gewesen. Eine halbe Stunde hatte es gedauert, sie dazu zu überreden, sich umzuziehen. Mehrere Liter Tränen wurden vergossen und ein paar Mal war sie kurz davor zu hyperventilieren, aber mittlerweile lag sie erschöpft und übermüdet in meinen Armen und ich war unfassbar erleichtert. Wenn das die nächsten Wochen so weiter gehen würde, dann müsste ich mir echt stärkere Nerven zulegen...
Aber irgendwann würde das auch besser werden, hoffentlich ab dem zweiten Drittel – ich hatte mich auf der Zugfahrt ausreichend informiert. Und wenn es nicht besser werden würde, war das auch kein Weltuntergang. Dafür war ich ja da. Und bald würde ich noch viel mehr sein als nur ihr Freund, der in schweren Zeiten für sie da war. Bald würde ich für immer für sie da sein. Hoffentlich.
Heiraten... Wenn Marie sich jetzt nicht noch umentschied, würden wir wirklich irgendwann heiraten. Wir hatten das mit der Reihenfolge, erst die Hochzeit, dann das Kind, zwar nicht ganz so gut hingekriegt, aber hey, beschweren wollte ich mich auch nicht.
Sofort tanzten meine Gedanken in die verschiedensten Richtungen. Ich hatte mir nie darüber Gedanken gemacht, wie ich heiraten wollte. Nur, dass ich es unbedingt wollte. Und mir war ziemlich früh klar geworden, dass Marie die Braut sein würde. Es... es war einfach so, es kam gar nichts anderes in Frage. Marie war mein perfektes Gegenstück, sie war alles, was ich war und was ich nicht war und noch so viel darüber hinaus. Immer, wenn es ihr schlecht ging, ging es mir ebenfalls nicht gut. Wenn sie sauer auf mich war, wollte ich alles dafür tun, dass sie das nicht mehr war. Ich wollte sie beschützen, ich wollte alles für sie tun und ... ich wollte sie irgendwann in einem langen, weißen Brautkleid auf mich zu schweben sehen.
Lächelnd stellte ich mir vor, wie Marie in so einem Kleid aussehen könnte und ob sie dabei noch schwanger sein würde oder nicht. Mir war das vollkommen egal, aber Marie war in einigen Sachen so eigen, dass ich nicht einschätzen konnte, was sie lieber wollte. Hochschwanger heiraten, war das was für sie? Die Planung würde immerhin ein paar Monate verschlingen, denn diese Hochzeit sollte perfekt werden, so perfekt wie das bei uns beiden schon werden konnte.
Lächelnd verstärkte ich die Umarmung.
„Ich werde auf euch aufpassen, wenn du mich nur lässt, Marie", murmelte ich meiner Freundin oder Verlobten, oder was auch immer sie jetzt war, leise ins Haare und strich ihr gedankenverloren über den Rücken, bevor ich mich weiter in mein Kissen vergrub.
„Lass mich nur nicht alleine", hörte ich Marie schlaftrunken murmeln und ich musste unwillkürlich lächeln.
„Man Marie, ich will dich heiraten. Wieso sollte ich dich alleine lassen?", antwortete ich, doch sie reagierte nicht mehr auf mich. Und so driftete auch ich immer weiter in den hoffentlich erholsamen Schlaf ab und freute mich irgendwie unfassbar auf den morgigen Tag, auch wenn ich Angst hatte.
Denn das, was ich hier gerade hatte, war vielleicht nicht perfekt, aber es war im Moment mehr als ich mir je erhofft hatte.

Platz für Zwei (HerrBergmann)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt