Kapitel 5

128 11 8
                                    

Zur Erinnerung: der letzte Satz in Kapitel 4.2 lautete: "Du bist jetzt ein Werwolf!"

__________________________

„Oder zumindest zu einem Teil", fügte er hinzu.

„Ein was?", fragte ich und blinzelte nachdrücklich, als könnte ich den eben gefallenen Satz, der mit einer immensen Gewalt bildliche Formen in meinem Geist annahm, ausschalten. Doch dann mischte sich die Erinnerung der gestrigen Nacht dazu.

„Du hast mich gebissen", brachte ich perplex hervor. „Du hast mir das angetan."

„Ja, das war auch schon lange überfällig. Deine Transformationsphase hätte schon viel eher einsetzen sollen".

Nun begriff ich wirklich nichts mehr. Nicht, dass ich mich sonderlich darum bemüht hätte. Nicht, dass ich unbedingt begreifen wollte, dass mit Krallen und Reißzähne wuchsen und ich fast ein unschuldiges Reh getötet hätte. Und das obwohl Lily und ich einen Schwur geleistet hatten, kein Fisch und kein Fleisch mehr zu essen.

„Lass uns erst mal zum Quartier zurückgehen." Ich wusste nicht, was er meinte und sah ihn einfach nur weiter an. Kapitulierend hob er die Hände als er mit besänftigender Stimme, die bei ihm irgendwie fehlschlug, sagte: „Ich werde dir nichts tun, Maya!"

„Nee klar", meldete sich mein Verstand und sprach mit meinem Mund. „Du bist ein Arsch!"

„Nein, ich habe bloß einen. Aber er ist unter uns gesagt schon ziemlich bemerkenswert. Jetzt komm schon, ich erklär' dir alles. Ich bring dich danach auch zu deiner Mutter." Da klingelte es wieder und ich begann mich bruchstückhaft an das Gespräch zu erinnern, das meine Mutter mit einer anderen Frau geführt hatte, als ich in Flammen stand. Stopp! Hatte ich den Satz wirklich gerade gedacht? Ich blieb abrupt stehen.

„Ich habe gebrannt!", brachte ich hervor.

„Verbrannt hast du dich auf jeden Fall nicht, Schätzchen", antwortete Elian und ging einfach weiter, ohne zu schauen, ob ich ihm folgte.

„Was hat das zu bedeuten? Das Feuer?", fragte ich, in dem Versuch, den Wirbelsturm aus Gedankenfetzen in meinem Kopf zu stoppen.

„Komm jetzt, verdammt nochmal, ich erkläre dir alles, wenn wir im Quartier sind."

„Was für ein Quartier?" Ich setzte mich langsam in Bewegung, damit ich seine Antwort hören konnte.

„Das Haus, in dem du aufgewacht bist", sagte Elian und es klang wie eine Frage, als zweifelte er an meinem Verstand. Was er wahrscheinlich auch tat. „Du weißt schon. So eine Gebäude mit Fenster und Türen, in denen Menschen für gewöhnlich wohnen."

„Danke, ich weiß, was ein Haus ist." Ich hasste diesen Kerl. Aber wenn ich ihn loswerden wollte, musste ich mir erst anhören, was er zu sagen hatte. Also folgte ich ihm.

Die Haare auf meinen Armen stellten sich auf, als mir wieder einfiel, dass Cassandra, mit wem auch immer sie gesprochen hatte, mich zu Elian gebracht hatte.

„Was hat meine Mutter mit all dem zu tun?", fragte ich.

Elian blieb kurz stehen, wandte sich aber immer noch nicht um.

„Das wird sie dir selbst sagen müssen". Dann ging er weiter. Und da ich meinerseits nicht das Bedürfnis verspürte, allein, klatschnass in nur einem Sommerkleid bekleidet, völlig geistesverwirrt und noch immer hungrig im Wald zurückzubleiben, blieb ich nicht nochmal stehen.

Elian bahnte sich einen Weg durch die eng stehenden Bäume und das dichte Unterholz und obgleich mich das Gefühl beschlich, dass er mich absichtlich durch das Gestrüpp und die hohen Wurzelranken führte, anstatt einen begehbaren Pfad zu suchen, sagte ich nichts mehr. Wir gingen in scheinbar stillem Einvernehmen hintereinander, nur dass es kein Einvernehmen war, sondern eine gewisse Spannung. Obwohl Elian betont lässig aussah, sah ich, wie sich sein Bizeps ständig in Anspannung wölbte.

Die Chroniken der Feuerwölfe - Die Verstoßenen (#Wattys2016)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt