„Bist du zum ersten Mal hier?"
„Ist das so offensichtlich?" Er zog die Augenbrauen hoch, wirkte aber nicht ernsthaft verwundert oder interessiert.
„Eigentlich nicht, aber als Barkeeperin kenne ich meine Gäste - die meisten jedenfalls. Und wir bekommen eher selten Zuwachs", erklärte sie schulterzuckend.
Schweigend nippte er an seinem Bierglas. Wenn er ehrlich war, wunderte es ihn nicht, dass so wenige Leute kamen, denn dieser Pub war nicht gerade das, was man als besonders nett oder heimelig bezeichnen würde. Recht klein, düster und modrig, sogar mit ein paar Spinnenweben an der Zimmerdecke, die man am besten ignorierte. Ihr waren diese Umstände offensichtlich bewusst, doch sie machte nicht den Eindruck als würde sie all das stören. Eher im Gegenteil: Das hier war ihre kleine perfekte Welt. Ihr Revier, in dem sie so gut wie jeden kannte und sowohl Respekt, als auch Beliebtheit genoss.
„Und was führt dich her? So ganz alleine? Und auch noch zwei Tage vor Heilig Abend..."
Mittlerweile verfluchte er sich selbst dafür, dass er sich direkt an die Bar gesetzt hatte, anstatt an einem der schäbigen Tischchen Platz zu nehmen. Okay, sie wirkte nett. Allerdings zählte er nicht zu den Menschen, die Fremden sofort ihr gesamtes Leben haarklein erklärten. Und wenn er gerne ein Gespräch wie dieses geführt hätte, würde er jetzt in der Bar sitzen, die nur ein paar Schritte von seiner Wohnungstür entfernt lag - dort hätte er bestimmt ein paar Freunde oder zumindest jemand Bekanntes getroffen.
Aber er war extra mit der U-Bahn gefahren, um irgendwo etwas zu trinken, wo ihn niemand kannte und mit lästigen Fragen durchlöcherte.
„Das ist eine lange Geschichte." Er räusperte sich und hoffte, dass sie endlich verstand, dass er an keiner Unterhaltung interessiert war. Vergeblich.
„Wie du siehst, ist heute noch weniger los als sonst. Ich hab also Zeit", erwiderte sie lächelnd.
Etwas in ihm sträubte sich dagegen, unhöflich zu dieser Frau zu sein. Vielleicht waren es die paar Manieren, die ihm seine Mutter beigebracht hatte. Vielleicht lag es an seiner eigenen Verletzlichkeit. Oder er war einfach schon ein wenig betrunken.
„Willst du dir das wirklich antun? Dir die jämmerlichen Probleme eines Typen anhören, dessen Namen du nicht einmal kennst?", fragte er nun deutlich milder nach.
„Das gehört mehr oder weniger zu meinem Job - du hast ja keine Ahnung, für wie viele Leute ich hier schon Möchtegern-Psychiater spielen durfte. Einige der Männer kenne ich mittlerweile wahrscheinlich besser als ihre Ehefrauen." Sie lachte. Eigentlich hatte sie ein wirklich schönes Lachen - laut, ungezwungen und ehrlich. Es war das Lachen eines glücklichen Menschen. Das Geräusch alleine entlockte ihm ein kleines Schmunzeln.
„Bist du denn eine gute Möchtegern-Psychiaterin?"
„Ansichtssache. Meistens verschreibe ich den Kerlen nur noch ein weiteres Bier. Ist leider manchmal nicht so hilfreich und sorgt dafür, dass sie sich auf die Straße übergeben." Erneut zuckte sie mit den Achseln. „Ich bin jedenfalls eine gute Zuhörerin - wenn die Geschichte gut ist. Worum geht's denn? Ist ein Mädchen mit im Spiel?"
„Möglich." Mehr wollte er nicht preisgeben. Vorerst zumindest. In Gedanken war er bereits kurz davor, seine Grundsätze zu verwerfen und ihr sein Herz auszuschütten.
„Aha." Sie grinste und sah dabei fast so aus, als wisse sie, um wen es ging. „Also... Willst du der alten Tante Nicky nicht erzählen, was dich so bedrückt? Oder soll ich jetzt weiterraten, wieso du so begeistert aussiehst wie ein Veganer auf einem Schlachthof?"
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Pistazieneis zum Frühstück
Romance„Wieso isst du jeden Tag Pistazieneis?", fragte ich (...). „Ich mag keine andere Sorte", sagte sie, als wäre es die einzig logische Antwort. „Keine einzige?" „Keine einzige." --------------------------- Jeden Tag kommt Ally auf dem Weg zu...