Nervös mit den Fuß zappelnd saß ich auf unserer Couch und wartete auf Fiona. Als es endlich an der Tür klingelte, sprang ich auf und lief so schnell zum Eingang, dass ich beinahe gestolpert wäre. Den Grund, wieso meine Schwester vorbeikam und was sie mir unbedingt persönlich mitteilen musste, kannte ich immer noch nicht. Also öffnete ich neugierig und irgendwie aufgeregt die Tür.
„Hey, Ben", murmelte Fiona mit einem schüchternen Lächeln, das ich verdammt selten an ihr sah.
„Hey", erwiderte ich. Die Sorgen in meinem Kopf wuchsen wieder, aber ich versuchte nicht, ihnen allzu viel Beachtung zu schenken. Was hatte ich denn erwartet? Dass diese Situation nicht seltsam werden würde? „Komm rein."
„Danke." Sie räusperte sich kurz verlegen und folgte mir dann in die Wohnung.
Zögernd ließ sie sich an dem Küchentisch nieder, während ich für uns beide Kaffee kochte. Sie war zwar nicht oft hier, aber dennoch hatte es sich irgendwie zu einem Ritual entwickelt, dass wir – egal zu welcher Uhrzeit – Kaffee tranken, wenn sie mal bei uns vorbeischaute. Während das Wasser begann zu brodeln und Dampf zur Decke des Raumes hochschwebte, sprach keiner von uns ein Wort. Das war auch seltsam. Normalerweise war Fionas Vorrat an Worten so endlos, dass sie ohne Pause stundenlang reden konnte. Doch jetzt schien es, als wäre sie zu Eis erstarrt. Jede Zelle ihres Körpers wie festgefroren.
„Also...", begann ich, im Versuch, sie zum Reden zu bringen.
„Also", wiederholte sie, leicht lächelnd. Dann schloss sie ihre Augen, atmete einmal laut hörbar ein und ließ die Bombe platzen. „Ich bin lesbisch."
Nun sah sie mich an und ich starrte zurück. Unfähig, irgendetwas ansatzweise Sinnvolles von mir zu geben, stand ich einfach nur da.
„Du... du musst nichts dazu sagen. Ich versteh, dass das wohl jetzt ziemlich plötzlich für dich kommt. Aber es ist nichts, das ich von gestern auf heute beschlossen habe. Wirklich. Das ist keine Phase. Ich hab mich insgeheim immer enorm unwohl in meinen Beziehungen gefühlt. Und jetzt...", sie machte eine Pause, ihr Lächeln verwandelte sich in ein großes Grinsen, das von einem Ohr zum andern reichte. „Jetzt hab ich endlich das Gefühl, ich kann ich selbst sein."
Mein Kopf fühlte sich an wie Pudding, war wie leergefegt, aber ich konnte die Erinnerung an einen Jungen aus meiner alten Schule nicht verdrängen. Reece Norman. In meinem Hals bildete sich ein Kloß, den ich unmöglich runterschlucken konnte. Er war gerade mal fünfzehn, als er sich als schwul outete. Davor galt er hauptsächlich als Außenseiter, aber dieses „Geständnis" schob ihn ins Zentrum der Aufmerksamkeit und er wurde zum Opfer aller pubertierenden Idioten. Mike und ich beteiligten uns eher selten an all den – mal mehr, mal weniger harmlosen – Streichen. Trotzdem schämte ich mich augenblicklich dafür, dass wir zugelassen hatten, dass im Schwimmbad seine Klamotten geklaut wurden und er nur in Badehose zurück in die Schule musste. Oder, dass sie manche Seiten in seinen Schulheften zusammenklebten. Oder ihn unzählige Male eine „Schwuchtel" nannten. Oder einen Fake-Account auf Facebook anlegten, unter dessen Namen sie mit ihm schrieben, als wären sie bis über beide Ohren in ihn verknallt.
Ein Jahr später wechselte Reece die Schule. Zwei Jahre später hieß es, er habe sich in seinem Garten an einem Eichenbaum erhängt.
Beim Gedanken daran, dass dasselbe meiner Schwester passieren hätte können, wurde mir schlecht. Ehe ich mich versah, stand ich neben Fiona, zog sie von ihrem Stuhl hoch und schloss sie in eine feste Umarmung. Sie atmete schwer, aber ich konnte nicht sagen, ob sie oder ich es war, der uns leicht zum Zittern brachte.
„Das ist toll... Also... Wenn du jetzt glücklicher bist", sagte ich schließlich recht unbeholfen. Trotz meiner eigenen Unsicherheit vergaß ich beinahe, dass sie drei Jahre älter als ich war, und mein Beschützerinstinkt schrie, was das Zeug hielt, dass ich sie vor den Gemeinheiten dieser Welt abschirmen musste. „Und ich werde dich unterstützen, wo ich kann. Wenn du mir sagst, wie."
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Pistazieneis zum Frühstück
Romance„Wieso isst du jeden Tag Pistazieneis?", fragte ich (...). „Ich mag keine andere Sorte", sagte sie, als wäre es die einzig logische Antwort. „Keine einzige?" „Keine einzige." --------------------------- Jeden Tag kommt Ally auf dem Weg zu...