Kapitel 38

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„Und er hat wirklich nicht begriffen, dass du kein Spanisch kannst?", fragte Mason lachend nach, als hätte ich das nicht gerade genau so erzählt.

„Nein. Der Mann hat einfach weiter herumgeschrien und mich sehr wahrscheinlich schon beschimpft, weil ich ihm nicht erklären konnte, dass er mit Euro zahlen muss und ich die Pesos nicht annehmen kann, mit denen er vor meinem Gesicht herumgewedelt hat. Zumindest wollte er es nicht akzeptieren. Nach gut zehn Minuten haben sich die Leute hinter ihm beschwert und er ist mit knallrotem Gesicht davon gestapft." Die Geschichte von dem kleinen, wütenden Mexikaner, der sogar mit einem Sombrero zum Nice Ice gekommen war, war auch schon das Spannendste an meinem Job. Es hatte zwar noch weitere etwas merkwürdige Gestalten gegeben, die ich bedienen durfte, aber dieser hier war wirklich das Klischee schlechthin.

„Das erinnert mich an eine Verhandlung, bei der ich zuhören durfte, als ich im zweiten Semester war." Lächelnd rückte er seine Brille zurecht. Es war bestimmt schon das fünfzigste Mal in einer dreiviertel Stunde, dass er das tat. Ich versuchte es zu ignorieren, aber je mehr ich mich bemühte, desto mehr achtete ich darauf. Und. Es. Nervte. „Jetzt wo ich so drüber nachdenke, gibt es auch Parallelen zu Wer die Nachtigall stört."

Ally war ungewohnt leise, aber dafür hörte sie wahrscheinlich umso genauer zu. Jetzt war ich mehr als froh, dass sie mich überredet hatte, dieses Buch zu lesen, denn so fühlte ich mich nicht ausgeschlossen, als Mason von dem Vergewaltiger mit mexikanischer Herkunft erzählte, der schließlich freigesprochen wurde, weil sie nicht genug Beweise hatten. Der Zusammenhang zu meiner Geschichte war, dass es sprachliche Differenzen gab, die zu skurrilen Missverständnissen zwischen dem Klienten und seinem eigenen Verteidiger führten.

Ich konnte nicht anders, als mich mit dem jungen Anwalt gegenüber von mir zu vergleichen.

Seine Geschichten waren spannend und hatten etwas, das man in einen Film verpacken könnte... während ich hauptsächlich von Leuten berichten konnte, die gern Eis aßen. Ich fühlte mich mit einem Mal wie ein kleines Kind.

Wenn ich bisher nur den Verdacht gehabt hatte, dass Mason in Ally verliebt war, dann war ich mir heute Abend so gut wie sicher. Seine Blicke, seine Körperhaltung, sein Lächeln, sein Tonfall, die Brillen-Geste und sein verdammtes, lockiges, braunes Haar... Alles deutete darauf hin. Ich wusste, dass ich längst eifersüchtig war und der Plan, nicht zu carinisieren, hatte absolut nicht geklappt. Dennoch war da auf der anderen Seite, gegenüber von vielen Zweifeln, diese kleine Stimme in mir, die sich Stolz nannte und sagte, dass es keinen Grund dazu gab. Allison Dyer war meine Freundin. Was hatte dieser Mason schon zu bieten?

Abgesehen davon, dass er wahrscheinlich ein erfolgreicher Anwalt werden würde, gut aussah, auf gewisse Weise charmant war und dass Allys Eltern ihn mochten.

Wir verbrachten drei Stunden in dieser schicken Bar, in die Mason uns gelotst hatte, und probierten ein paar französische Weine durch, während im Hintergrund ein Mann am Klavier Jazz-Stücke spielte. Das hier war auf jeden Fall nicht meine Welt. Wäre es nach mir gegangen, säßen wir im Silver's Grade. Es sah vielleicht schon ein klein wenig heruntergekommener aus, die meisten Songs aus der alten Jukebox waren irische Folk-Punk-Klänge und man bekam keine sauteueren Weine, sondern eher Bier und Whiskey serviert, aber es war gemütlich. Heimelig. Tröstend.

Nach diesem scheinbar endlosen Abend ging Mason endlich zu Fuß zu seiner Wohnung, die meinen Erwartungen nach mindestens viermal so groß war, wie die von Mike und mir. Im Gegensatz zu ihm stiegen Ally und ich in die Straßenbahn, um zu mir zu fahren.

Sobald wir darin saßen, konnte ich nicht mehr schweigen, obwohl ich wusste, dass ich Ally damit quälen würde. Sie sprach nicht gern über die unangenehmen Dinge. Ihre Art, damit umzugehen, war eher, sie totzuschweigen und vielleicht hatte ich auch gerade deshalb in den letzten Monaten dazugelernt, dass man manche Dinge sehr wohl ansprechen musste. Über die Angelegenheit mit ihren Eltern hatten wir nachher kein Wort mehr verloren und damit konnte ich inzwischen eigentlich leben, aber was Mason anging, wollte ich nicht zulassen, dass mich meine Gedanken von innen nach außen auffraßen.

Pistazieneis zum FrühstückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt