Selinsgrove

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Nach dem Frühstück zog ich mir eine Strickjacke und meine Sneakers an, mit dem Ziel, die Stadt näher zu besichtigen. Ich war der Meinung, dass es zu Fuß besser war, als mit dem Auto. So konnte ich viel mehr sehen und musste nicht gleichzeitig auch auf die Straße achten. Die Sonne schien, als ich aus der Tür trat und ich setzte mir noch schnell meine Sonnebrille auf die Nase, bevor ich mich auf den Weg machte.

In meiner Wohngegend befanden sich größtenteils Einfamilienhäuser und kleinere Villen, wie ich nach meiner ersten Erkundungsrunde feststellte.
Ich wagte mich etwas weiter in das, mir unbekannte Terrain von Selinsgrove vor. Es waren inzwischen ein paar Wolken aufgezogen, sodass ich meine Sonnenbrille wieder absetzen konnte.

Nach einer Stunde entdeckte ich eine kleine Einkaufstraße. Hier standen die Häuser dicht an dicht, fast so als hätte ein Riese versucht, so viele wie möglich in einen Straßenzug zu quetschen. Ich schlenderte an den Schaufenstern entlang und betrachtete neugierig die Auslagen.
Da Sonntag war, hatte ich leider nicht die Möglichkeit die Geschäfte zu betreten. Zu meiner Freude entdeckte ich auch einen kleinen Tante-Emma Laden, der in Zukunft vielleicht noch hilfreich sein könnte. Die Straße endete vor einem Schuhgeschäft, dessen Fensterscheibe mit einem Plakat beklebt war. Ich trat näher und las erstaunt, dass es zu einem Ball einlud. Zu einem Schulball meiner Schule, um genauer zu sein.

Homecoming Ball
27. September
Beginn: 21 Uhr
Die Bekanntgabe der Homecoming Queen und des Homecoming King findet um 24 Uhr statt.

Darunter waren Bilder von prunkvollen, bunten Ballkleidern mit vielen Rüschen und allem möglichen Schnick-Schnack abgebildet.
Warum wusste ich nichts von dem Ball? Der fand ja schon in fünf Tagen statt. Wie sollte ich so schnell ein Ballkleid auftreiben?
Ich musste unbedingt mit Tam reden. Musste da überhaupt jeder hin? Und musste man zwangsweise mit einem Partner auftauchen?

Nachdenklich drehte ich mich um und ging in eine kleine Seitenstraße, um meinen Weg fortzusetzen.
Tam hatte hoffentlich schon einen Plan, wie das ganze hier ablief. Denn der letzte Ball auf dem ich war, hatte nicht wirklich viel mit einem richtigen Ball gemeinsam. Er fand in einer alten muffeligen Turnhalle statt, die nicht wirklich liebevoll mit Pappfledermäusen- und Kürbissen dekoriert war. Das damalige Thema des Balls hieß Halloween für Groß und Klein. Wobei ich vermutete, dass meine Eltern mehr Spaß hatten, als ich. Mein Abend bestand darin, zuzuschauen, wie mein Tanzpartner, der wie ich zehn Jahre alt war, andauernd popelnd in einer Ecke stand und vermutlich dachte, dass ich den Finger in seiner Nase nicht sah. Und dann wollte er auch noch mit mir tanzen, ohne sich vorher die Hände zu waschen. Ich hatte ihn natürlich sofort abgewiesen, aber er war nur weinend zu seiner Mutter gelaufen und hatte ihr erzählt, wie gemein ich doch war. Nach diesem desaströsen Abend bestrafte mich die Frau noch Monate später mit bösen oder angewiderten Blicken.

Der Junge hatte auch nie wieder mit mir gesprochen. Natürlich nur bis zu dem Tag, an dem ich nach Mums Tod wieder zur Schule ging. Da waren dann plötzlich alle Leute meine Freunde, bekundeten ihr Beleid und taten so, als würden sie mich und meine Mum schon ewig kennen.
Auch einer der Gründe, warum ich froh war über die Chance, einen Neuanfang zu starten. Keiner tat so, als würde er mich kennen, weil mich hier keiner kennen konnte.

Ein Tropfen platschte auf meine Nase und riss mich überraschend aus meinen Grübeleien. Der Himmel hatte sich, ohne das ich es mitbekommen hatte, in eine dunkle, Unheil verkündende Wand verwandelt. Wie auf Kommando fing es an zu Regnen, als wäre der Weltuntergang nicht mehr weit entfernt.

Ich zog mir im Laufen meine dünne Kapuze über, auch wenn ich wusste, dass meine Strickjacke das Wasser nicht abhalten würde. Innerhalb weniger Momente bildeten sich Pfützen auf dem Asphalt und ich hielt verzweifelt Ausschau nach einer Unterstand.

Kiss Me Badboy #Brilliants2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt