Der Geschmack des Lebens

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"Emma, kommst du? Ich habe dir einen Kaffee gemacht!"

Das Geschrei meiner Mutter dringt bis nach unten durch meine geschlossene Zimmertür. Ich wohne im Keller. Jedes Mal, wenn ich das jemanden erzähle, entnehme ich seinem Gesicht immer denselben negativen Blick. Aber als er dann hört, dass mein Zimmer größer ist, als das Wohnzimmer und die Küche der Wohnung, weiten sich die Augen dessen, der mich zuerst bemitleidete.

Es ist ausgestattet mit Laminatboden und hat eine Lampe an der Decke, wie ein normaler Raum. Sogar zwei Fenster sind vorhanden, aber es dringt kaum Licht durch diese in den Raum, da sie tiefer gelegt sind. Sie werden je durch ein Gitter abgeschirmt, manchmal komme ich mir dort unten vor, als wäre ich in einem Gefängnis.

Mein Handy vibriert, es liegt neben meinen warmen Kopfkissen, da das Ladekabel zu kurz ist um es auf den Nachttisch zu legen. Ich drehe mich zur Wand, sie ist bedeckt mit Postern. Ich blicke direkt in das Gesicht von Shay Mitchell, einer Schauspielerin, die ich für ihre Rolle als Emily Fields in Pretty Little Liars sehr bewundere. Ich bin regelrecht süchtig nach dieser Serie, ich finde sie außergewöhnlich gut.

Langsam und träge greife ich nach meinem Smartphone, als ich über den Bildschirm wische, sperre ich es erneut, weil ich enttäuscht festgestellt habe, dass es nur eine Spielebenachrichtigung ist. Ich nehme mir immer vor sie auszuschalten, aber dann springen meine Gedanken bereits wieder zu einem anderen, beliebigen Thema.

Dann nehme ich mir meine rote Nerdbrille von meinem Nachttisch, setze sie auf und stecke mir meinen einfachen, silbernen Ring an meinen rechten Daumen. An meinen anderen Fingern rutscht er hinunter, weil diese so dünn sind.

Müde steige ich aus meinem breiten Doppelbett, verschlafen reibe ich mir meine braunen Augen, verschmiert mit der Wimperntusche und dem Eyeliner von gestern. Ich wüsste nicht, wieso ich mich abschminken sollte, dafür ist mir meine Zeit zu kostbar.

Ich trotte zu meinem Kleiderschrank, der am anderen Ende meines Zimmers steht und öffne die weiße Doppeltür. Wenn ich meine Klamotten so anschaue, bemerke ich, dass ich eigentlich immer nur die selben fünf T-Shirts trage und daran wird sich heute auch nichts ändern. Neues Schuljahr? Na und.

Das erstbeste T-Shirt greife ich mir, es ist schwarz mit einen weißen Aufdruck der Band twenty one pilots. Ihre Musik hilft mir, wenn es mir schlecht geht und das ist in letzter Zeit oft der Fall gewesen. Meine Familie kommt finanziell kaum über die Runden, mein Ex-Stiefvater bedroht uns und ich bin mit meiner Seminararbeit noch nicht fertig.

Ich quäle mich in das etwas zu enge T-Shirt, ich hätte es eine Größe größer bestellen sollen, aber es ist mir zu umständlich gewesen es zurückzuschicken und dann auf ein Neues zu warten. Ich hasse es mich zu beschweren, ich nehme lieber alles so hin.

Dazu ziehe ich mir eine meiner geliebten Skinnyjeans an, ich kann nichts Anderes tragen, weil ich einen schwach ausgeprägten Körperbau habe. Wie oft wurde ich schon beschuldigt an Magersucht oder Bulimie zu leider? Sie haben doch alle gar keine Ahnung, wie es ist täglich Tabletten schlucken zu müssen, nur damit nicht wie ein Skelett aussieht, sondern nur annähernd.

Als ich dann auch meine grünen Sneakersocken anhabe, fange ich an mich meinen Make Up zu widmen. Neben meinem weißen, hohen Schrank steht ein Karton mit meinen Schminksachen, wovon ich nicht einmal ein Viertel benutze. Ich beschränkte mich lediglich auf meinen schwarzen Eyeliner, meine Wimperntusche, Puder und einen Abdeckstift.

Als alles aufgetragen ist, kämme ich mir meine braunen, langen, blondgesträhnten Haare. Ich kämme sie zu meinen üblichen Seitenscheitel, verräume meine Sachen und blicke mich dann im Spiegel an. Wer ist dieses Mädchen, das ich vor mir sehe? Habe ich mir wirklich einen Nasenring in meinem rechten Flügel stechen lassen? Habe ich wirklich kaum Farbe angenommen, obwohl es dieses Jahr ein sehr heißer Sommer gewesen ist? Habe ich wirklich Puder auf mein schwarzer Shirt geschmiert?

Genervt reiße ich meine Zimmertür auf und stapfe die Wendeltreppe, die mich mit der Wohnung verbindet, nach oben. Die große, weiße Uhr zeigt mir bereits 6:40 Uhr an, in zehn Minuten muss ich zur Bushaltestelle laufen, die weitere zehn Minuten entfernt liegt.

Mein Hund bellt und wedelt mit seinem Schwanz. Er freut sich mich zu sehen. Naja, wenigstens einer. Ich streichle ihn und er setzt sich unter den Esszimmertisch, der im Flur steht, da in der Küche kein Platz mehr ist.

Am Tisch sitzt meine Mutter, trinkt einen Kaffee und liest eine Zeitschrift, an meinem Platz steht eine große USA Tasse, welche nach Cappuccino duftet. Ich greife mir diese und nehme einen Schluck.

Er schmeckt bitter und ist kalt. Ich sage meiner Mutter immer, sie soll mir einen machen so etwa eine Stunde bevor ich aufstehe. Ich mag kalten Kaffee. Er schmeckt wie mein Leben und gibt diese Bitterkeit und Kälte an mich weiter, damit ich abgehärtet bin. Denn das Leben hat mir sooft Schlechtes gebracht, Mobbing, Scheidungen meiner Eltern, Therapie, Depressionen. Ich habe es hinter mir gelassen, aber ich weiß nicht, was in diesem letzten Schuljahr noch auf mich zukommt.

Mein Leben ist warm gewesen, es war nicht immer kalt. Genau wie mein Kaffee. Ich habe einmal versucht mir kalten Cappuccino anzurühren, aber es funktionierte nicht. Das Pulver ist an der Oberfläche getriebn, es ist immer noch Wasser gewesen. Unschuldiges, harmloses Wasser. Aber wir alle wissen, dass das Leben nicht wie Wasser ist.

Der Kaffee wird immer bitterer je näher ich dem Ende komme, wird mein Leben genauso aussehen? Wird es bitter enden? Wieso vergleiche ich es überhaupt mit Kaffee? Es wird bestimmt noch gut werden. Oder?

Ich habe den letzten Schluck getrunken, das Pulver, das sich am Boden absetzt, schlucke ich nur mit einem angewiderten Blick hinunter. Als ich sehe, dass mein Bruder bereits seine Schuhe anzieht, wird mir klar, dass ich in zwei Minuten loslaufen sollte. Hastig stürme ich nach unten, falle dabei fast die Treppe hinunter und schnappe mir meine bereits gepackte Umhängetasche aus meinem Zimmer.

Dann ziehe ich mir schnell meine schwarzen adidas Schuhe an, welche zwei verschieden farbige Schnürsenkel haben, ich konnte mich damals nicht zwischen Neonpink und Lila entscheiden.

Ich stürme nach oben, ich habe vergessen mir die Zähne zu putzen und krame mir einen Kaugummi mit Minzgeschmack aus meiner Tasche heraus. Ich öffne ihn und stecke mir den Helfer in den Mund, das Papier landet in meiner Hosentasche.

"Ah! Mein Schlüssel!"

Ich renne noch einmal hinunter, hole meinen Schlüsselbund vom Schreibtisch und renne wieder nach oben. Meine Mutter drückt mir einen Fünf-Euro-Schein in die Hand, ich blicke sie nur verwirrt an.

"Für deine Fahrkarte?"

Erleuchtet nehme ich das Geld und stecke es in meine andere Hosentasche. Ich habe ganz vergessen, dass ich dieses Schuljahr für meine Fahrkarten zahlen muss und nicht einfach eine Jahreskarte bekomme. Ich folge dann meinem kleinen, braunhaarigen Bruder nach draußen und schließe hinter mir die Tür.

So beginnt bei mir eigentlich jeder Schultag.

Fühlt euch frei meine Story zu kommentieren, ich sehe Kritik gerne, da ich weiß, dass es nicht perfekt ist. Ich hoffe aber, dass ein paar Gefallen an der Geschichte finden werde, dass ich sie nicht nur für mich schreibe, sondern auch anderen damit helfen oder zumindest unterhalten oder fesseln kann.

Kalter Kaffee - GirlxGirl #LightAward17Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt