Fragen unter Freunden

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"Seit ich Em das erste Mal gesehen habe."

Meine Freundin grinst mich an, schüchtern und rot werdend blicke ich zu Boden. Das Blut schießt mir in den Kopf, weil ihre Antwort so süß gewesen ist.

"In der neunten Klasse ist sie ja eine Woche bei uns gewesen und dann hab' ich schon gemerkt, dass da was ist. Sie ist mir nicht aus dem Kopf gegangen, ich habe alles in Frage gestellt. Als ich dann auf der Klassenfahrt gehört habe, dass sie lesbisch ist, habe ich versucht mich ihr anzunähern, aber ich bin einfach zu schüchtern gewesen. In der Elften ist es ihr dann so schlecht gegangen, ich habe mich überwunden und versucht ihr beizustehen. Ich habe gemerkt, dass sie mich gut leiden kann, sie aber niemanden mehr an sich heran lässt. Aber diese Woche ist einfach alles offen gesagt worden und ich bin so froh, dass ich für sie da gewesen bin."

"Wie ist es dazu gekommen, dass ihr euch geöffnet habt?", fragt Sabrina etwas kritisch nach, sie denkt vermutlich immer noch, dass wir nur einen Kaffee trinken gewesen sind. Annalena und ich tauschen einige Blicke aus, ich nicke und gebe ihr die Erlaubnis über die Ereignisse zu sprechen.

"Es hat damit angefangen, dass ich ihr aufgeholfen habe, als ein Kind sie umgerannt hat. Dann habe ich ihr angeboten, weil Lena und Oliver manchmal schon blöd zu ihr sind, dass sie sich neben mich setzen kann und sie hat mir dann einen Kaugummi angeboten. Sie ist dann an meiner Schulter eingeschlafen und das ist irgendwie süß gewesen. Ich wollte dann noch mit ihr reden, ich habe gemerkt, dass irgendwas mit ihr nicht stimmt, dass sie kämpft. Es ist tatsächlich so gewesen, sie hat angefangen zu weinen. Ich bin zu ihr durchgedrungen, aber ehe ich mich versehen habe, hat sie wieder dicht gemacht. Sie hat mich zurückgestoßen, ich wollte sie nicht gehen lassen, aber sie ist davon gerannt. Sie hat mich zu Boden geworfen und ich habe in ihren Augen gesehen, wie weh es ihr getan hat. Aus Angst bin ich hinterher gerannt, Gott sei Dank. Sie... Sie... Ist zum Bahnhof gelaufen..."

Sie schluchzt leicht, aber erzählt weiter.

"Sie... Wollte sich vor einem Zug werfen, ich bin grade noch rechtzeitig gekommen und konnte sie, während sie gesprungen ist, festhalten. Es war so ein Schock für mich, es konnte so nicht weitergehen, beinahe hätte ich sie verloren und das hätte ich nicht verkraftet. Minutenlang haben wir nichts gesagt, sind einfach nur da gestanden, Arm in Arm. Dann sind wir einen Kaffee trinken gegangen. Em hat mir alles erzählt, ich habe überhaupt keine Ahnung gehabt. Ich habe ihr Vertrauen gewonnen, ich habe das Gefühl gehabt, dass sie mir Sachen erzählt, die sie noch niemanden erzählt hat. Dann hat uns die Kellnerin für ein Paar gehalten, Em war richtig unwohl und meine Theorie, dass sie mich auch liebt, hat sich dann fast schon bestätigt. Es hat schon mehrere Anzeichen dafür gegeben. Die Blicke, die Sache nach dem Schulfest, dass sie alle meine Bilder auf Insta liket und..."

"Warte! Was ist nach'm Schulfest gewesen?", fragt Anna verwirrt und neugierig zugleich und unterbricht sie somit. Ich seufze nur, während Annalena kichert.

"Em ist leicht betrunken gewesen und hat mir, als sie vermutlich daheim gewesen ist, geschrieben, dass ich ein schönes Dirndl getragen habe und ich mich geknuddelt fühlen soll."

"Aw, wie süß!", meint Ramona, ich verschränke nur die Arme und blicke zur Seite aus dem Fenster hinaus, bis meine Freundin die Geschichte weitererzählt.

"Ja, ich habe dann abgestritten, dass wir zusammen sind, nur um zu schauen wie sie reagiert. Ihr war so unwohl dabei. Dann sind wir gegangen, ich wollte sie nicht alleine Bus fahren lassen, weil ich besorgt gewesen bin und da bist du ins Spiel gekommen, Sabrina. Wir sind dann heim und haben sie nach Hause gebracht. Alles ist toll zwischen uns gewesen, sie vertraut mir und ich habe das Gefühl gehabt, dass ich es ihr langsam sagen sollte. Der nächste Tag ist dann... Ich sag' mal komisch gewesen. Em hat mich wieder abgeblockt, ich habe nicht gewusst, was los war, also habe ich sie nach Musik zur Rede gestellt. Felix ist zufällig vorbei gelaufen und ich habe gespürt, dass irgendwas zwischen den Beiden nicht stimmt. Er hat Em erpresst, sie sollte sich von mir fernhalten, weil ich sonst erfahren würde, dass sie mich liebt. Ich habe es durch Raten erfahren, ich habe ihr gesagt, dass das von Felix nicht okay ist und langsam darauf hingearbeitet ihr es zu gestehen. Dann hat eins zum anderen geführt und Felix' Versuche uns auseinander zu bringen schlugen fehl."

"Was für eine originelle Story, würde ich mal sagen", lacht Chiara, der Rest nickt nur bestätigend und ich versuche mich unbeteiligt zu verhalten.

"Und Emma, wie hast du gemerkt, dass du Annalena liebst?", hakt nun Sabrina nach, ich seufze nur, erzähle es dann aber.

"In der Neunten ist sie mir schon aufgefallen, aber ich habe nur gedacht, dass sie nett und hübsch ist. In der Elften ist es mir so mies gegangen und nach der Musikschulaufgabe im ersten Halbjahr bin ich alleine in der Mensa gewesen."

"Meinst du den Tag, an dem ich dich gefragt habe, ob du dich zu uns setzen willst und Annalena sich dann nur noch für dich interessiert hat?", fragt Sofia nach, ich nicke und setze die Geschichte fort.

"Ich habe gemerkt, wie nett Annalena ist und als ich ihr dann in die Augen geblickt habe, ist es passiert. Auf einmal ist mir komisch geworden, in meinen Bauch hat es gekribbelt und mein Herz hat schneller geschlagen. Ich habe gedacht, dass es nur eine Art Kurzschlussreaktion gewesen ist, weil ich sie ein wenig an mich herangelassen habe, aber die nächsten Tage und Wochen hat sie öfter mit mir geredet und das Gefühl ist nicht mehr verschwunden. Es hat mich so sehr beflügelt, dass ich mein Leben wieder in den Griff kriegen wollte, alles nur für sie. Ich bin schon öfter verliebt gewesen, aber noch nie so. Annalena, du weißt nicht wie oft ich an dich gedacht habe, du hast mir ein Lächeln auf's Gesicht gezaubert und du hast mich gerettet. Bevor du so in mein Leben getreten bist, wollte ich mich umbringen..."

"Was? Du wolltest dich damals schon mal umbringen? Hätte ich das gewusst, hätte ich früher mit dir geredet. Ich weiß genau, dass ich dich wieder auf den richtigen Weg gebracht habe, während unseres Gespräches hast du so viel gelacht, zwar nicht echt, aber du hast dich bemüht. Ich habe gemerkt, dass du mir in die Augen geblickt hast und du mich danach immer anders angeschaut hast, aber ich habe nicht gewusst, ob es Liebe war oder nur unendlicher Dank."

"Also hast du Emma zweimal vor dem Selbstmord bewahrt? Wow", meint Ramona nur dazu und alle anderen sind ebenso erstaunt, weil sie nicht gewusst haben, wie schlecht es mir gegangen ist.

"Ja, ich hoffe, dass sie kein drittes Mal daran denkt!"

Die direkt neben mir sitzende Annalena drückt mich ganz fest, ich erwidere ihre Umarmung und danach küsst sie mich noch flüchtig auf die Wange, bevor sie wortlos aufsteht und aus dem Raum verschwindet.

Alle rücken blitzartig näher zu mir und löchern mich mit ihren neugierigen Blicken, eine Flut an Fragen wird über mich hereinbrechen.

"Was liebst du an ihr am Meisten?", fragt mich Anna und alle sind gespannt auf meine Antwort.

"Ihren Charakter. Sie war immer genau dann da für mich, als sie gebraucht habe."

"Hättest du es ihr irgendwann gesagt, wenn es nicht so gelaufen wäre?"

Die nächste Frage ist von Chiara, ich nicke zuerst und sage dann noch etwas dazu.

"Ja, ich habe vorgehabt, es ihr am Abiball zu gestehen, weil ihr uns da das letzte Mal gesehen hätten."

"Wart ihr schon zusammen auf einem Date ?"

"Nein, aber ich habe hier übernachtet."

"Uh, das geht ja schnell!", meint Anna scherzhaft und lacht.

"Nein. Meine Mutter hat mich rausgeworfen, weil ich ihr das mit Annalena erzählt habe."

In den Mienen aller liegt nun Schock und Mitleid. Sie können sich vermutlich ausmalen, wie es sich anfühlt, wenn ich von der eigenen Mutter verstoßen und nicht akzeptiert wird.

"Heftig. Bestimmt beruhigt sie sich aber wieder", meint Ramona aufmunternd, ich nicke nur halbherzig, weil es mich schon sehr verletzt hat.

Dann kommt Annalena zurück ins Wohnzimmer, in ihrer Hand hält sie eine leere Wasserflasche. Ich kann mir schon denken, was das heißt.

"Leute, es ist Zeit für Wahrheit oder Pflicht!"

Kalter Kaffee - GirlxGirl #LightAward17Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt