Tränen und Apfelkuchen

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1.

tears and apple pie

Claire P.o.V

Emotionslos starrte ich an die Decke. Selbst der Sommer kam mir dunkel vor. Seit fünf Monaten bestand mein Leben aus dieser Dunkelheit. Sie fraß mich von innen heraus auf.
Meine Haare waren verknotet, mein Magen knurrte und ich hätte wirklich mal wieder eine Dusche vertragen können. Doch mir fehlte die Energie, auch nur etwas von dem Tablett zu essen, welches mein Bruder mir jeden Tag aufs neue hinaufbrachte.
Es schien, als hätte meine gesamte Lebensfreude meinen Körper zusammen mit meinen Tränen verlassen.
Und es waren viele Tränen gewesen. So viele, dass ich das Gefühl hatte, meinen Lebensvorrat davon aufgebraucht zu haben.

Und nun lag ich da, auf meiner alten geflickten Decke, und fühlte nichts. Nicht einmal mehr den Schmerz. Den Schmerz darüber, dass ich meine Mutter verloren hatte.
Alles war fort.
Zu lange hatte ich das alles ertragen.

Mein Bruder hatte es schon längst aufgegeben mich zum aufstehen zu bewegen. Das letzte Mal, dass ich außerhalb unseres wiederaufgebauten Hauses gewesen war, war auf der Beerdigung gewesen.
Ich konnte nicht verstehen, wie mein Bruder und mein Vater damit zurechtkommen konnten. Natürlich war es für sie auch schwer, aber sie hatten es geschafft weiter zu leben und nicht als eine nutzlose Hülle ihrer selbst zu enden.

Gerade als ich den Kopf zurück in das zerdrückte Kissen presste, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Es hatte an der Tür geklopft. Mein Bruder klopfte nie. Also musste es mein Vater sein. Wie lange hatte ich ihn nun schon nicht mehr gesehen? Das letzte an das ich mich erinnerte war, dass er mich auf die Stirn geküsst und mir erklärt hatte, dass er für eine Weile weg müsse um die Angelegenheiten der Familie zu klären. Ich hatte jedoch jedes Zeitgefühl verloren.
Zaghaft öffnete er die Tür und trat in mein Zimmer.
Und da stand er, strich sich die dunklen Haare aus dem Gesicht und betrachtete mich mit seinen hellbraunen Augen. Sein Blick streifte meinen abgemagerten Körper und blieb dann an meinen Augen hängen.
Rehaugen.
So hatte er sie genannt, bevor sie vor Trauer dunkel geworden waren.
Er sagte kein Wort. Schaute mich nur an. Doch es war kein unangenehmes Schweigen. Er wusste, dass ich keine Worte brauchte. Wusste, das ich sie nicht wollte. Er setzte sich auf mein Bett und schlang die Arme um mich und hielt mich, als wäre ich noch klein. Lange hatte mich keiner so gehalten. Ich weinte schon wieder. Die Tränen tropften auf die Schultern meines Vaters, während ich meinen Kopf an seinem Hals vergrub. Er fasste behutsam meine Schultern und zwang mich, ihm in die Augen zu sehen. Er sah mich ernst an.
„Es ist keine Lösung, sich zu Tode zu hungern.", sagte er. Ich drehte den Kopf weg. „Sie hätte es nicht gewollt. Du musst doch noch die Welt erobern, Kleines", flüsterte er und fasste mein Kinn, um meinen Kopf zu drehen. Ich nickte langsam und etwas wie ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Sein Mundwinkel zuckte.
„Ich erwarte von dir das du dich zusammenreißt. Du hattest nun wirklich genug Zeit zu trauern. Es ist eine dunkle Wolke über der Familie Winchester aufgezogen. Ich weiß es ist schwer, aber wir müssen jetzt stark sein. Du musst stark sein. Es wird von dir erwartet", er blickte mich ernst an.

„Okay."

„Ich erwarte dich dann in einer Stunde im Salon, mein Schatz."
Er beugte sich vor und drückte seine Lippen auf meine Stirn.
Dann stand er auf und ging.

Es brauchte einiges an Überwindung, meine Beine dann schließlich doch über die Bettkante zu schwingen und aufzustehen. Ich trank einen Schluck aus dem Glas auf meinem Nachttisch und tapste dann zu meinem Fenster. Ich zog die Vorhänge zurück und war für einen kurzen Moment geblendet. Die Sonne strahlte vom Himmel und als ich das Fenster öffnete schlug mir eine Hitzewelle ins Gesicht. Ich atmete tief ein und blieb für einen Moment einfach am Fenster stehen und betrachtete die Idylle unter mir. Sie wirkte so unwirklich. Der Himmel zu blau, das Gras zu grün.

Schließlich wandte ich mich ab und ging zu meinem Kleiderschrank. Die Farbe blätterte langsam ab, doch ich liebte den kleinen Schrank. Ich konnte mich einfach nicht von ihm trennen. Seufzend öffnete ich eine der vielen Schubladen und zog ein einfaches blassgelbes Sommerkleid heraus. Mein Onkel hatte es mir zu meinem zwölften Geburtstag geschenkt und nun würde ich höchstwahrscheinlich wieder hineinpassen. Ich machte mich auf den Weg ins Bad. Dieser Teil des Hauses war nahezu unversehrt von dem Feuer geblieben. Als ich an der Zimmertür meines Bruders vorbeikam hörte ich nichts dahinter. Wahrscheinlich war er unten in der Bibliothek und war in eines seiner vielen Bücher vertieft.

Ich betrat das Badezimmer und stellte fest, das ich schrecklich aussah.
In dem großen Spiegel am anderen Ende des Raumes spiegelte sich ein völlig fremdes Mädchen. Meine Wangen waren eingefallen und meine Hüftknochen standen erschreckend deutlich hervor. Dunkle Schatten hatten sich unter meine Augen gegraben und meine rostroten Haare vielen mir strähnig bis unter die Rippen. Dichte, tränenverklebte Wimpern umrandeten die  dunkelbraunen Augen und meine Lippen wirkten blasser als sonst. Ich wandte schnell den Blick ab. Fröstelnd streifte ich mein Nachthemd ab und stellte mich unter die Dusche. Warmes Wasser ergoss sich über mich und ich schrubbte solange an mir herum, bis ich mich sauberer als je zuvor fühlte. Als ich die angenehm warme Duschkabine verließ fühlte ich mich schon fast wieder wie ein Mensch. Ich stellte das Wasser ab und bemühte mich dann die tiefen Ringe unter meinen Augen  zu verdecken. Ich seufzte und zog mich an. Schuldbewusst schaute ich in den Spiegel.
Das Kleid saß ziemlich locker.
Ich fasste meine Haare schnell zu einem Knoten und bestätigte mir anschließend mit einem Blick in den Spiegel, dass ich nun nicht mehr wie ein Untoter aussah.

Die Stunde war schnell vorübergegangen und ich war schon fast zu spät, als ich letzten Endes in den Salon kam. Mein Vater und mein Bruder saßen bereits am großen Esstisch und starrten mich an, als würde ich von einem anderen Stern stammen. So gepflegt hatte mich lange Zeit niemand mehr gesehen.

Vor ihnen trohnte auf dem Tablett ein Apfelkuchen. Es war mein Lieblingskuchen und der Geruch nach Zimt erinnerte meinen Magen daran, wie großen Hinger ich hatte. Ich setzte mich neben meinen kleinen Bruder, der sofort die Arme um mich schlang.
„Ich hab dich vermisst", wisperte er und Tränen schwammen in seinen bernsteinfarbenden Augen. Ich strich ihm über das dunkelblonde Haar und drückte ihn fest an mich.
„Ich dich auch, Will", flüsterte ich zurück und vergrub mein Gesicht in seinen Haaren.
Unser Vater schmunzelte bei unserem Anblick. „Das Kleid passt dir immer noch?", fragte er und zog belustigt eine Augenbraue hoch. Ich zuckte nur mit den Schultern. Er lachte und beugte sich vor, um den Kuchen anzuschneiden. Er schwieg eine Weile während er mit dem Kuchenheber hantierte, doch dann wand er sich an uns. „Kinder“, fing er an. „Ich weiß wie schwer es für euch ist und wie jung ihr noch seid, doch es gibt Probleme, die ich euch nicht vorenthalten möchte“, verkündete unheilvoll und ich sah, wie sich sein Kiefer verspannte.
Er saß so aufrecht in seinem Stuhl, wie es sich für einen Winchester gehörte, und doch kam er mir eingesunken vor. „Eure Mutter war es, die die Familie zusammengehalten hat und dafür gesorgt hat, dass unsere Beziehungen zu den englischen Reinblüterfamilien nicht dazu führen, dass sich
Ihr-wisst-schon-wer auch in unseren Reihen ausbreitet.“ Selbst mein kleiner Bruder verstand, wie ernst das Thema gerade geworden war. Mein Vater atmete laut aus und legte das Besteck auf den Tisch. „Ich weiß nicht wie lange das ohne sie gutgehen kann. Und ich habe nachgedacht.", sagte er und schaute nun mich an. Ich blickte ihm nicht direkt in die Augen. „Ich weiß, dass William zu jung ist, um meiner Bitte nachzukommen, doch am liebsten würde ich euch beide außer Gefahr wissen. Es schien mir die beste Lösung zu sein, dich auf eine andere Schule zu schicken, bis der Konflikt in unserer Familie sich geklärt hat. Der Schulleiter von Hogwarts wäre mit einem Wechsel einverstanden."

Ich hatte gewusst das so etwas kommen würde. Ich hatte ja sogar schon selbst darüber nachgedacht. Es schien zwar eine fragwürdige Atmosphäre in London zu herrschen, doch Hogwarts galt trotz allem zu der sichersten Schule in ganz Europa. Und von den amerikanischen Reinblütern hatte ich sowieso schon lange genug.
„Ich möchte darüber nachdenken. Es ist schließlich einmal um die halbe Welt.", antwortete ich. Er nickte verständnisvoll und drückte kurz meine Schulter. „Ich möchte auch nichts überstürzt entscheiden. Du kannst es dir durch den Kopf gehen lassen, doch ich halte es nach wie vor für das Beste für dich und die Familie, wenn wir dich aus dem Schlamassel heraushalten. Es ist aber allein deine Entscheidung."

Ich nickte zwar, doch tief in meinem Inneren wusste ich bereits, das ich bald keine Schülerin in Ilvermorny mehr sein würde.

Remember - (Harry Potter FF/Rumtreiberzeit)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt