4.Kapitel

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Noch nie habe ich Stille so gehasst. Wir aßen Dosenravioli. Sie schmeckte sehr lecker. Vielleicht schmeckte sie lecker, weil wir völlig hungrig waren. Malcom und ich sassen neben dem Feuer während sich Liam sich in das Schlafzimmer verzog.  Vielleicht war es falsch von mir so zu denken. Ich sollte mich entschuldigen. Er würde es bestimmt verstehen, dass ich einfach nur Angst hatte. Wir waren in einem Mordfall verwickelt. Mit einem Seufzen legte ich die Schüssel auf die Seite. Malcom sah mir zu. "Was hast du vor?" Ich stand auf und wischte mir ein wenig Dreck von der Hose. "Ich werde mich bei Liam entschuldigen."
"Ihr seid wirklich gute Freunde." Hörte ich da ein wenig Traurigkeit in seiner Stimme? Ich setzte mich wieder neben ihn hin. "Ja sind wir. Wir kennen uns auch seit eine Ewigkeit."
"Wie habt ihr euch kennen gelernt?", fragte er offensichtlich neugierig. Zum Glück kann ich mich daran sehr gut erinnern. Ein Lächeln zierte in mein Gesicht. "Er war mit seiner Familie neu in die Stadt gezogen. Neben uns. Eines Tages spielte ich meinen zwei älteren Brüder, Romeo und Davide, Fußball. Ich kickte ausversehen in seinen Garten, als er draußen war. Liam war in dieser Zeit noch erträglich und brachte mir den Ball. Dabei fragte er, ob er mitmachen durfte. Als die Schule anfing, kam er in meine Klasse. Somit begann die Freundschaft."
"Das klingt nicht gerade speziell."
"Muss es auch nicht. Die Freundschaft zählt." Und die will ich nicht verlieren. Ich sah zu Malcom, der mir näher kam und mich an sich zog. "Ehrlich gesagt, trau ich ihm nicht. Aber wenn du ihm vertaust, muss ich wohl oder übel auch", flüstert er mir ins Ohr. Als ich mein Gesicht zu ihm umdrehte, legte er seine Lippen auf meine. Ich hatte einen Flashback an unser erstes Date.

 Zusammen gingen wir in einem Dinner und aßen Pizza, später besuchten wir ein Autokino. Malcom war schon 18 Jahre alt und mit seinem Jeep konnten wir dann zusammen auf der Haube "Footlose" anschauen. Die "Oldies sind Goldies" war das Thema des Kinoabends. Den ganzen Abend lang machten wir uns über den Film lustig auch wenn er sehr gut war. Später fuhren wir an einem Parkplatz, der leer stand und er versuchte mir das Autofahren bei zu bringen. Nachdem ich fast in eine Straßenlampe rein fuhr, küsste er mich zum ersten Mal. Am Anfang sehr energisch, wurde aber immer sanfter. Als wir uns lösten, erklärte er mir, er hatte Angst gehabt, dass mir was zustoße. Wir küssten uns dann wieder und es wurde wilder, wodurch auch der Knutschfleck entstand. Wie damals schmeckte er nach Minze, seiner Lieblingskaugummigeschmack. Ich lehnte mich an ihm und er legte die Arme um mich. In genau diesem Moment kam Liam vom Schlafzimmer raus und knallte die Tür zu, sodass wir uns ruckartig voneinander lösten. "Na, habt ihr Spaß?", sagte Liam mit einem sarkastischen Unterton. Malcom seufzte laut und stand auf. "Ich geh mal ins Bad." Schon verschwand er nach draußen, das Bad war eben außerhalb neben der Hütte. Jetzt war wieder diese unangenehme Stille. Liam war in der Küche und wusch stumm aber aggressiv seinen Teller. Langsam erhob ich mich und lief zu ihm. Ich hielt seinen Arm fest, sodass er den Teller nicht zerstört durch das heftige Schrubben. Er stoppte sofort ab und sah meine Hand an. "Es tut mir leid", flüsterte ich leise. Er sah mir ins Gesicht. Seine grauen Augen analysierte genau mein Gesichtsausdruck, das macht er immer, wenn er nicht sicher ist, was die Wahrheit ist. Menschen zu lesen und analysieren konnte er schon immer gut und machte es auch immer. Liam war wohl körperlich auch stark aber wenn es um die Gewandheit der Sprache ging, schien er nahezu unbesiegbar. Seine Gesichtszüge entspannten sich und er legte den Teller weg. "Ich hätte sowas nicht sagen dürfen. Du bist mein bester Freund und hättest nie sowas gesagt oder sogar darüber nachgedacht", fuhr ich fort und spielte nervös mit meinen Fingern rum. "Das stimmt nicht", kam es von ihm. Ich sah ihn fragend an. Was stimmt nicht? "Ich hätte dich auch beschuldigt", fuhr er fort. Autsch. Das versetzt mir einen Stich ins Herzen. Es war schon schlimm genug, dass ich so von ihm dachte aber, er kannte mich. Er kannte mich besser als ich mich selber sogar. Er hob mein Kinn hoch, sodass ich ihn wieder in die Augen sehen musste. "Du bist hinterlistig, das weiß ich", mit diesen Worten zog er seine Hand weg und lief an mir vorbei. Hinterlistig? Ich? Ich setzte mich auf den kalten Küchenboden und legte den Kopf in den Nacken. Erschöpfung überflutete meinen Körper. Anscheinend war ich erschöpfter als ich dachte. Wahrscheinlich hielt mich die ganze überanstrengende Nachdenkerei bis jetzt wach. Mir fielen die Augen zu und das nächste was ich spürte, war mein Kopf an den Schubladengriff.

Helles Licht strahlte aus meinem Fenster. Ich sass im meinem typischen Pyjama auf meinem Bett und hatte ein Foto in der Hand. Ich war in meinem Zimmer. Die Wände waren mintgrün gestrichen außer eine und zwar die an dem mein Bett war. Diese war schwarz und die Sternfiguren und Sterne waren darauf gezeichnet. Die haben mein Bruder Romeo und ich gemalt, sodass ich die Sternfiguren auswendig lernen konnte. Romeo war ein begabter Künstler. Sein Traum war es eine Atelierausstellung in einem Museum durchzuführen. Wenn er gerade nicht als Mediengestalter arbeitet, malt er im Keller, welches er zu seinem Studio umgebaut hat. Ich lächelte leicht. Romeo tat alles um sein Ziel zu erreichen. Ich sah vom Fenster weg und betrachtete genau, dass Bild in meiner Hand. Es war das Familienfoto, welches wir letztes Jahr in Italien gemacht. Meine Mutter und mein Vater hielt sich an den Händen, Maria war auf Davide's Rücken, Romeo lächelte charmant in die Kamera und ich... Mir fiel das Foto aus der Hand und es flog auf den Boden. Ich war nicht dem Foto drauf. Hastig nahm ich das Foto in die Hand und betrachtete es noch genauer. Ich war nicht auf dem Bild. Vielleicht war das ein Fehler. Ich stand auf und lief aus meinem Zimmer, ging direkt zu den Fotos an den Wänden und sah mir jedes Foto genau an. Auf jedem einzelnen Foto fehlte ich. Ich rannte die Treppe runter und ging ins Wohnzimmer. Dort hat es Fotos von mir allein. Fast stolperte ich über den Kaffeetisch. Ich griff an den Bilderrahmen an der auf der Kommode stand und atmete erleichtert auf. Lächelnd sah ich das Foto an. Ich werde nicht verrückt. Doch... auf einmal verschwamm mein Foto und änderte sich zu Davide. Ich riss die Augen auf. Was war hier los? Mein Blick wanderte zu meinen Händen. Sie wurden immer blasser nahezu dursichtig. Ich ließ den Bilderrahmen, der in meiner Hand lag, fallen. Als es auf den Boden aufprallte, zersprang das Glas in Scherben, sowie das ganze Wohnzimmer vor mir.

Leicht verschwitzt und schweratmend richtete ich mich auf. Panisch sah ich mich um. Ich war im Schlafzimmer, der Hütte. Ich lag im Bett und war zugedeckt geworden. Das war alles ein Traum. Ich warf die Decke auf die Seite und sprang aus dem Bett. Aus dem Fenster sah man das es bereits dunkel wird. Ich ging aus dem Zimmer und die Jungs sassen vor den Feuer. "Hey", sagte ich mit trockener Stimme. Sofort drehten sich beide zu mir um. Malcom stand auf und kam auf mich zu. "Hey geht es dir gut? Du siehst blass aus."
"Ich hatte nur schlecht geträumt. Wie gehen wir weiter vor?", versuchte ich das Thema zu wechseln. Liam und Malcom sahen sich einander an. "Eh wir gehen jetzt weiter", sagte Malcom und legte seine Hände auf meine Hüften. Verwirrt sah ich ihn an. "Jetzt? Wohin den?" Er zog mich an sich zu einer Umarmung zögerlich erwiderte ich sie. "Zu meiner Cousine. Während du fast den ganzen Tag geschlafen hast, haben wir Kontakt mit ihr aufgenommen."
"Und dazu gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht", fügte Liam dazu. "Welche willst du als erstes hören?"
"Die gute" Ich will endlich mal, was positives hören.

Liam stand auch auf und sah uns beide ausdruckslos an. "Wir werden nur in der Stadt gesucht. Es wird eine Zeit lang dauern bis die Suche erweitert wird."
"Und die schlechte?"

"Wir können nicht lange bei seiner Cousine bleiben. Sie wird vielleicht in den nächsten Tagen vielleicht befragt und wenn wir dann dort sind, wird es sehr kritisch für uns."
"Also werden wir für den Mord beschuldigt", stellte ich noch dabei fest. Beide nickten synchron. Ich holte tief Luft und löste mich von Malcom. "Danke", flüsterte ich ihm zu und ging zur Tür. "Wohin willst du?", fragte mich Liam. "Ich dachte wir gehen los", sagte ich, drehte mich leicht um und griff an den Türgriff. Wenn ich mich täusche, sah ich ganz kurz ein kleines Lächeln seine Lippen umspielen. Aber ganz kurz. Malcom griff nach einer Tasche. "Dann nichts wie los." ich öffnete die Tür und wir traten alle zusammen raus.

Wir liefen eher abwärts. Die Jungs schienen das Locker zu nehmen, aber meine Knie zitterten extrem. Sie fühlten sich wie Wackelpudding von Zia Monica. Mit eher Zick-zack laufen versuchte ich mir das Laufen zu vereinfachen. Liam lief wieder voran, da er wusste wohin es ging. Ich erfuhr, dass Malcom's Cousine uns mit de Auto abholen würde. Ich mochte diese Frau schon jetzt. Wir liefen nicht dem Wanderweg sondern einfach zwischen den Bäumen. Das erschwerte uns natürlich den Weg. Nach gefühlten drei Stunden kamen wir an einem Straßenrand an. Dort blieben wir stehen. "Öhm... wollen wir nicht weiter?", fragte ich nach fünf Minuten. Es war schon mitten in der Nacht. Kurz darauf ich dies gesagt habe, kamen zwei helle Lichter  von der Strasse und schienen genau auf uns. Panik überkam mich. Die Polizei? Oder ein normales Auto?

UngerechtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt