Kapitel 1: мємσяιєѕ тнαт ι нανє ℓσѕт

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Als die Hitze verschwand, folgte ihr die Kälte sogleich. Der Sommer war vorbei und der Winter brach ein. Die Nacht wurde zum Tag.

Die Zeit? 

Ein einzigartiges System aus Sein und Vergehen.  Mittendrin. Bin ich gefangen. Allein!  Kopflos.  Körperlos. Gedankenverloren.  Alles ist leer. Zerfressen von der Stille. Der Einsamkeit. 

Ich bin so allein.

Wo bist du? 

Wieso hast du mich zurück gelassen? 

Was geht nur in mir vor? 

Wo ist mein Herz hin? 

Meine Seele… Wo ist sie? 

Wo ist er? 

Wo ist mein Liebster? 

Liebster?

Nein! Es gibt da niemanden. Nur mich. Ich bin allein! 

Langsam und behutsam öffnete ich die Augen. Alles war weiß. In einem weißen Licht getaucht. Kahl. Leer. Verlassen. 

Vögel zwitscherten…

Vorsichtig drehte ich den Kopf.

Sehe lauter goldene Käfige, in denen die kleinen Sänger saßen. Ihre traurigen Augen schrien nach Hilfe. Traurig. Das waren sie. Gefangene. Sie sitzen im selben Boot wie ich. Aber warum hält man sie gefangen?

Ich lief zu ihnen und öffnete alle Türen.

"Nun seid ihr frei!", hörte ich meine zarte Stimme flüstern.  Glücklich flatterten sie aus ihrem ewigen Gefängnis, prallten jedoch gegen eine unsichtbare Mauer. Sie waren tot!

Erschrocken eilte ich zu ihnen, hob einen auf, wog ihn in meiner Hand. Doch es war bereits zu spät.

Was habe ich nur getan? 

Nur wegen mir sind sie ins Reich der Vergänglichkeit gelangt, dort, wo es kein Entrinnen und kein Glück gibt. Dorthin wo ich niemals Zutritt haben würde. Egal wie sehr ich mich danach sehnte. Sie würden mir keinen Zutritt gewähren.

Ich drehte meinen Kopf in die andere Richtung. Blickte weg.

In einer Ecke des Zimmers entdeckte ich ein Himmelbett, in dem ich wohl geschlafen hatte.

Doch für wie lange war ich weg? Tage? Wochen? Monate, oder vielleicht sogar Jahre. Ich konnte mich daran nicht mehr erinnern.

Nun erst erkannte ich, dass ich ein dünnes, weißes Nachthemd trug. Die Schamröte stieg mir bei dieser Erkenntnis ins Gesicht. Hatte ich das schon immer an? 

Eine Kette mit einem Anhänger in Form von zwei ungleichen Flügeln baumelte an meinem Hals. Meine Finger tasteten zum Amulett. Ich wollte es abnehmen, damit ich es genauer betrachten konnte, aber es ließ sich nicht öffnen, egal wie fest ich daran zog.  Daher beließ ich es lieber dabei. Es war wahrscheinlich sowieso sinnlos. So wie meine Lage. Ich würde es tragen müssen, so wie ich wohl hier mein restliches Leben verbringen müsste.

Mit kalten Fingern fuhr ich über die liebevoll handgeschnitzte Verzierung am Fußbrett meines Bettes. Meine dünnen knochigen Finger zitterten. Die wundersame Geschichte eines kleinen Mädchens war eingeritzt. Das außerhalb von Zeit und Raum lebte. Von einem atemberaubenden Abenteuer.  Von den Gefahren der Welt und der Liebe. Eine süße Legende, die Mütter gerne ihren Kindern erzählten. Diese Legende handelte von einer Prinzessin, ein uneheliches Kind, was damals unverzeihlich war. Die Eltern des Mädchens hatten keine andere Wahl, als ihre kleine Tochter in die Obhut eines alten Vertrauten zu geben, welcher das Mädchen groß zog und ihr alles lehrte, was sie wissen musste, um zu überleben. Die Schnitzereien erzählen von einen Tag, an dem sowohl die Sonne, als auch der Mond miteinander vereint waren. Der Tag, an dem sich alles ändern sollte, denn am 18. Lebensjahr der Prinzessin sollte man die Klingen erheben und sich gegen den schwarzen Mann stellen. Sie sollte ihre Klinge führen und ihn umbringen, so wie es ihr all die Jahre gelehrt wurde. Doch sie konnte es nicht, denn ein Blick hatte genügt, um ihr naives Herz zu erobern. Stattdessen täuschte sie nur seinen Tod vor. Sie flüchteten zusammen. Verbrachten Tage und Nächte zusammen. Aßen gemeinsam, schliefen gemeinsam und liebten gemeinsam. Jeder kannte diese Legende. Es war eine der beliebtesten Gutenachtgeschichten die man kannte. Es handelte um Liebe und Verrat.

Blood of the Lilies (2013 | Abgebrochen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt