Der barmherzige Samariter und die Jungfräulichkeit Marias

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"Was ist denn mit dir los?", begrüßte mich meine beste Freundin Skyla mit einem besorgten Blick, als ich an der Schule ankam. Ich zuckte mit den Schultern.

"Nichts."

Sie schaute nicht so aus, als würde sie mir glauben. Vielleicht sollte ich ihr die Wahrheit sagen, doch sonst machte sie sich wieder Sorgen. Und sie hat schon genug andere Probleme. Skyla war schlau genug nicht weiter auf das Thema einzugehen. Pünktlich zum Klingeln betraten wir das Schulgebäude und liefen zu unseren Spinden. Mitten im Gang blieb sie plötzlich stehen. Überrascht drehte ich mich zu ihr um.

"Was ist los?" Sie starrte stumm an mir vorbei auf irgendetwas, das ich nicht sehen konnte. Bitte lass es nicht das sein was ich denke, betete ich und schickte ein Stoßgebet an unseren lieben Herrn - wenn man meinem Vater und seinen Predigten Glauben schenkt.

"Sieh mal, wer dahinten ist?", raunte sie mir zu. Für einen Moment befürchtete ich, dass sie anfangen würde zu sabbern. Glücklicherweise tat sie es doch nicht.

"Jens Miller?", wollte ich unbeeindruckt wissen und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie nickte nur. Ich verdrehte die Augen. Gerade als ich mich umdrehen wollte, hörte ich vom Ende des Ganges einen lauten Knall. Erschrocken fuhr ich herum. Dort stand niemand anderes als Jens mit seinem besten Freund Jaden und drückte einen wehrlosen Fünftklässler gegen einen Spind. Mit erhobener Faust stand er vor ihm und brüllte durch den ganzen Flur: "Ich will mein Geld wieder!" Es war still geworden und alle schauten auf den kleinen Jungen, der zu weinen angefangen hatte.

"Tu doch was!", flüsterte ich Skyla zu, doch sie schaute wie gebannt auf die Szene, die sich vor ihr abspielte. Ich stieß ihr nachdrücklich meinen Ellenbogen in die Seite, aber auch das schien sie nicht zu bemerken. Alles musste man selber machen. Jedenfalls konnte ich mir das nicht länger ansehen, deshalb ging ich nun auf den Badboy und sein Opfer zu und versuchte selbstbewusster zu wirken, als ich tatsächlich war. Ich blieb kurz vor ihnen stehen und stemmte meine Hände in die Hüfte.

"Lass den armen Jungen sofort runter, Jens!", sagte ich so laut ich konnte. Jens drehte sich langsam um. Seine blauen Augen starrten mich herablassend an und er musterte mich von oben bis unten. Dann fing er an, laut zu lachen. Seine eine Hand drückte den Fünfer immer noch gegen den Spind, doch mit der anderen zeigte er nun auf mich.

"Die Pfarrerstochter spielt den barmherzigen Samariter. Wie klischeehaft", meinte er spöttisch und grinste. "Wäre schon lustig, wenn du irgendwann mal eine Nutte wirst. Ich würde gern den Blick deines Vater sehen. Oder willst du für immer die heilige Jungfrau Maria bleiben?"

Er schaute auf meinen Hosenbund, als er immer noch lachend hinzufügte:

"Ich würde ja gerne mal nachsehen, ob du einen Keuschheitsgürtel trägst."

Als er sich den anderen zuwandte, hätte ich ihm am liebsten eine geknallt. Doch wenn ich das getan hätte, hätte mein Vater sicherlich davon erfahren. Und das wäre ein weiterer Grund für ihn gewesen, mich ins Kloster zu schicken. Also ließ ich es bleiben. Jens klopfte seinem besten Freund Jaden lässig auf die Schulter.

"Wer will der heiligen Jungfrau Maria hier noch ihre wertvolle Jungfräulichkeit stehlen?", rief er den anderen zu und zwinkerte.

In diesem Augenblick riss mein Geduldsfaden entgültig. Was danach passierte, gebe ich nur ungern zu. Die Folgen waren jedenfalls ein schönes blaues Auge in Jens ach so perfektem Gesicht und ein Tadel vom Direktor.

"Bist du jetzt zufrieden?", wollte Skyla wütend wissen, als ich aus dem Büro des Schulleiters kam. Ich schüttelte schuldbewusst den Kopf, obwohl mir Jens verdutztes Gesicht doch gefallen hatte. "Wie konntest du sein hübsches Gesicht so entstellen?" Ich zuckte nur mit den Schultern. Keine Ahnung, was eben in mich gefahren war. Skyla warf mir wütende Blicke zu, als wir an unseren Spinden standen, um die Bücher für die nächste Stunde zu holen. Ich versuchte, das Thema zu wechseln.

"Wann ist eigentlich deine Geburtstagsparty?" Es schien zu wirken. Sofort war ihre schlechte Laune wie weggeblasen. Der wütende Ausdruck in ihren Augen wisch einem Strahlen.

"Diesen Samstag", antwortete sie und lächelte. Als sie ihren Spind schloss, sah sie mich noch einmal bedeutungsvoll an. "Jens kommt auch", fügte sie schließlich hinzu. Das Funkeln in ihren Augen konnte sie nicht verbergen. "Ich hoffe, diesmal kannst du deine Fäuste bei dir behalten."

The Badboy, my best friend & IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt