Wie ein gefallener Engel

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Der Himmel draußen erstrahlte in einem hoffnungslosen Grau. Die dunklen Bäuche der Wolken wirkten unheilverkündend und waren so ausgebeult, dass ich befürchete sie würden bald platzen. Dazu wehte ein kräftiger Wind, der die Tannen und die alte Eiche am Ende unserer Straße gewaltig schwanken ließ. Ihre Spitzen neigten sich gefährlich nahe dem Boden zu als würden sie sich dem Orkan, der tobte, freiwillig beugen wollen und in der Luft lag eine elektrisierende Spannung, die kaum greifbar war.
Und ich lief. Ich lief einfach geradeaus, mitten durch diese Spannung hindurch. Mitten durch das Gestrüpp, durch Büche und hohes Gras. Mein Atem ging stoßweise und viel schneller als sonst. Meine Füße schmerzten. Meine Beine waren plötzlich schwer wie Blei. Sie hielten mich auf diesem dreckigen Stück Erde, dabei wollte ich nichts lieber als mich von ihm zu lösen - zu fliegen über all die Katastrophen und Probleme hinweg...nur weiter, immer weiter bis ich irgendwo ankäme, wo alles besser war als hier. Und wenn es das Paradies sein sollte, von dem mein Vater immer sprach, dann wäre es mir gleich.
Der Wind peitschte mir entgegen als wolle er mich von dem hier abbringen. Doch er schaffte es nicht. Während mein Kopf im gleichen Takt wie mein Herz pochte, rannte ich weiter, ohne ein wirkliches Ziel vor Augen zu haben. Die Landschaft flog an mir vorbei. Sie wirkte fern wie ein primitives, langweiliges Gemälde, das in mir nichts Weiter als Trostlosigkeit hervorrief. Eines an dem man im Museum einfach vorbeiging, ohne sich groß Gedanken darüber zu machen, warum der Künstler es genau so hatte gestalten wollen.
Irgendwann jedenfalls schwanden die kleinen Häuschen und Gassen dahin. Die Wolken über mir öffneten ihre Schläusen und ein Schwall eiskalten Regens fiel auf mich herab, der mich innerhalb weniger Sekunden völlig durchnässte. Vor Kälte schlotterte ich. Doch ich lief weiter-mit der bunten Schultasche an die Brust gepresst und dem Wunsch, endlich den Kopf frei zu bekommen.
Und dann plötzlich hörte der Regen wieder auf und es roch merkwürdig intensiv nach Harz. Als ich mich umblickte, wusste ich, dass ich in einen Wald gelangt war. Die riesigen Bäume schützten mich vor dem stürmigen Wetter. Ob ich darüber nun erfreut oder eher wütend sein sollte, wusste ich nicht. Fürs Erste jedenfalls. Das einzige Geräusch in diesem Kokon war das der Wassertropfen, die hart gegen die Blätterwand um mich herum peitschten und es doch nicht schafften einzudringen. Erschöpft schleppte ich mich weiter. Mit brennenden Augen überwandt ich Stock und Steine, dicke Wurzeln und Unebenheiten. Und weiter. Vielleicht waren Stunden vergangen, Tage? Oder eher wenige Minuten? Meine Kehle sehnte sich nach Wasser, mein restlicher Körper schrie praktisch nach einer Pause, doch ich gewährte sie ihm nicht. Einfach, weil ich keinen klaren Gedanken fassen wollte. Weil es mir einfacher fiel, zu laufen, zu leiden, um nicht nachdenken zu müssen. Deshalb hieß ich es mit Freude Willkommen, als das Bild vor meinen Augen verschwamm und meine Beine den Geist aufgaben. Bis alles nur noch schwarz wurde und ich endlich in der Lage war zusammenzubrechen. Mein Kopf krachte auf einen dicken, am Boden liegenden, Ast und ich verlor das Bewusstsein
. . .

Das nächste Mal, als ich die Augen aufschlug, begann es bereits zu dämmern. Ich lag in einer Pfütze aus warmen Wasser. Der Regen hat es also doch geschafft, das Blätterdach zu durchdringen. Irgendetwas war seltsam daran, hier zu sein. Mein Kopf fühlte sich an, als habe man ihn in Watte gepackt und mein restlicher Körper schien zu leicht um wirklich zu sein. Vielleicht habe ich es wirklich geschafft, mich umzubringen. Womöglich bin ich im Himmel? Ich, der gefallener Engel- wie Dad immer sagte. Und nun ist der verlorene Engel heimgekehrt.
Über mir donnerte es. Ganz schön schlechtes Wetter fürs Paradies.
Stöhnend rappelte ich mich auf. Meine Hand schnellte zu meiner Schläfe, als mich dort ein stechender Schmerz durchzuckte. Etwas Warmes sickerte aus einer schmalen Öffnung in der Haut. Verwirrt öffnete ich die Augen...und schrie erschrocken auf.

"Was zur Hölle...?"

Meine Finger waren beschmiert mit Blut. Meinem Blut. Es war überall: in meinen Haaren, auf dem Boden verteilt und in meinem weißen T-Shirt, das nass an meinem Körper klebte.

The Badboy, my best friend & IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt