Sündenfall

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Menschen irren sich. Es liegt in ihrer Natur. Das wussten schon die alten Griechen und die alten Römer und es hatte sich nicht verändert. Auch ich hatte mich schon oft geirrt. Zum Beispiel als ich als kleines Mädche neben meiner Mutter durch die Stadt gelaufen war, nach ihrer Hand greifen wollte und fälschlicherweise die eines alten Mannes erwischte. Das war gefühlt der peinlichste Moment meiner Kindheit. Oder als ich damals in der Sushi Bar fast an einer riesigen Portion Wasabi gestorben wäre (zumindest hatte es sich so angefühlt), im Glauben es sei Guacamole. Ich hatte mich auch schon oft genug in Menschen geirrt. Aber noch nie hatte ich mich in irgendwem so sehr geirrt wie in Jaden. Seit ich ihn kannte, und das waren nun immerhin schon zehn Jahre, vom Kindergarten bis zur High School, hatte ich immer gedacht er sei ein mittelmäßig intelligentes Proleten-Arschloch, das sich seinem Anführer Jens unterordnete, da dies für ihn die einzige Möglichkeit war, um an Macht zu kommen. Wenn ich daran zurückdachte, wie oft er mich gemobbt hatte, wie viele unterirdisch schlechte Sprüche er gebracht und wie oft ich wegen ihm und Jens geweint hatte, konnte ich es immer noch nicht glauben, dass dies alles nur eine Fassade gewesen sein sollte.

Die kleine Runde, die ich so spontan mit ihm laufen musste, war von seiner Seite anscheinend gar nicht so spontan gewesen. Offenbar hatte er sich die letzten Wochen bis ins kleinste Detail darauf vorbereitet und hatte geschickt herausgefunden, wann ich das Haus verließ und wann ich in der Schule sein würde. Etwas befremdlich war die Vorstellung schon, dass Jaden jeden einzelnen Morgen der letzten drei Monate vor meinem Haus auf mich gewartet hatte, nur um mir heute dieses krasse Geständnis zu machen. Aber ich fange von vorne an.

Ich war von der Bank aufgestanden und hatte meine Bio Sachen achtlos liegen gelassen. Wir waren erst wenige Meter gegangen und hatten noch kein einziges Wort geredet, als Jaden plötzlich stehen blieb und völlig unerwartet nach meiner Hand griff. So wie ich damals nach der des alten Mannes. Und es war mindestens genauso peinlich.
"Oh, das war aber wirklich eine sehr kleine Runde",sagte ich halb verunsichert, halb spaßend, um dich unangenehme Situation herunterzuspielen. Ein kleines Lächeln stahl sich auf Jadens Gesicht, das im frühmorgendlichen Licht und der plötzlichen Nähe so anders aussah als sonst. Dann legte er geheimnisvoll seine Finger auf meine Lippen. Ich konnte mich nicht mal auf das kleine Kribbeln wehren, das diese Berührung in meinem Magen hervorrief, als ich daran dachte, was Jens damit schon getan hatte. Was genau sollte das werden? Doch bevor ich weiter über diese Frage und ihre millionen möglichen Antworten nachdenken konnte, küsste er mich. Ja. Jaden küsste mich. Und zwar mit einer solchen Wucht und Leidenschaft, dass sich sämtliche Organe in mir umdrehten. Scheiße, was sollte das? Doch ich konnte mich nicht lösen. Und nicht nur, dass ich nicht konnte. Ich wollte auch nicht. Es wäre das letzte gewesen, was mein Körper gewollt hätte. Und doch sagte mir mein Gewissen, dass es falsch war. Vielleicht brauchte ich die Nähe einfach, nachdem ich so oft verstoßen worden war. Aber dennoch. Jaden hatte doch so viel mit Skyla zu tun. Und sie wollte doch was von ihm. Oder? Nachdem das mit Jens so schief gelaufen war. Mein Kopf war bis zum Rand mit Gedanken gefüllt und mein Gedankenfass lief gerade über. Oder jemand lief dagegen und kippte es um. Mein Gewissen versuchte noch einen letzten verzweifelten Versuch mich davon abzuhalten, Jadens Kuss zu erwidern, schaffte es aber nicht. Es ergab sich und ich ergab mich völlig Jadens Nähe. Nach einiger Zeit löste er sich atemlos von mir. Doch mein Körper gierte nach all dem Kummer um mehr. Egal was es kostete. Jaden wollte einen Schritt zurückmachen, hatte gerade den Mund geöffnet um etwas zu sagen. Doch ich wollte es nicht hören. Wollte nicht hören, wie falsch das alles war und erst recht nicht wollte ich mich meinem Gewissen stellen. Ich näherte mich wieder. Unsere Lippen krachten aufeinander. Ich tastete mich weiter vor, legte meine Arme um seinen Hals und verschränkte sie dort. Auch er wurde fordernder. Seine Hände fuhren über meinen Rücken. Auf und ab. Auf und ab. Mein Verstand protestierte. Doch seine Zunge, die in meinem Mund regelrechte Akrobatik vollbrachte, übertönte ihn. Mir entfuhr ein Stöhnen. Es spornte ihn nur noch weiter an. Er hob mich hoch, jedoch ohne unseren Kuss zu unterbrechen, lief mit mir einige Schritte und ließ mich dann wieder runter. Dann drückte er mich gegen eine Wand. Ich fuhr mit meinen Händen durch seine Haare, zerstörte dabei wahrscheinlich gerade seine perfekt gestylte Frisur, doch es war mir egal. Seine Hände bewegten sich von meinem Rücken zu meinen Brüsten. Jens, dachte ich, Jens, mehr. Er fing an sie zu massieren. Ich drücke mich enger an ihn heran, wollte mich gänzlich in ihm vergessen, alle meine Gedanken in diesem Kuss ertränken und mich einfach nur treiben lassen. Und dann kam eine verrückte Idee in mir auf. Ich könnte es tun. Wir könnten es tun. Jetzt. Hier. Ich öffnete seine Gürtelschnalle. Jens unterbrach den Kuss. "Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist", flüsterte er zögerlich. "Ich hatte noch nie eine bessere." antwortete ich nur und machte weiter. Das schien ihn zu überzeugen, denn er schob seine Hände unter mein T-Shirt und zog es mir über den Kopf. Ich konnte es nicht erwarten, es zu tun. Trotzdem kamen Zweifel auf. Doch die wurden ganz schnell von seinen nächstem Kuss weggeschwemmt. Auch er war mittlerweile oberkörperfrei und unsere nackte Haut schmiegte sich aneinander. Wir sanken an der Wand nach unten. Ich legte meinen Kopf ab und schob mein Becken nach oben. Jens legte sich auf mich. Wir rollten uns über den harten Boden, von der Wand weg, so dass ich oben lag. Er zog mir meinen Rock aus. Und obwohl ich nun fast komplett nackt da lag, machte mir die sommerliche Wärme nichts aus. Ich drückte ihn nach unten, presste seine Hände auf den Boden, sodass er nichts tun konnte außer da zu liegen. Plötzlich wusste ich alle Handgriffe. Als wäre es bereits in meiner DNA gespeichert gewesen. Ein jahrtausende alter Instinkt. Und gerade als ich ihn auch noch von seiner Hose befreien wollte, hörte ich einen entsetzten Schrei. Er holte mich jäh in die Realität zurück.

"Jaden! Bärbel!" Ich sah von dem halbnackten Jungen auf und erblickte Skyla, die um Fassung rang. "Ich......was zum Teufel......ihr beide......könnt ihr....ich meine.....was?" stotterte sie hilflos. Sie sah noch einmal geschockt zwischen uns beiden hin und her, drehte sich dann um und rannte davon. Erst dann klärte sich mein Blick. Ich setzte an, um zu widersprechen und ihr hinterherzurufen. Doch es war zu spät. Ich schaute zurück zum halbnackten Jens neben mir. Nur dass es nicht Jens war.
"Jaden", wisperte ich fassungslos und rutschte von ihm weg, "du bist Jaden und nicht Jens!"
Rot vor Scham und Wut und tausend anderen Gefühlen schnappte ich meine restlichen Klamotten und floh.

The Badboy, my best friend & IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt