Kapitel 1: Gefangen

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Langsam öffne ich meine Augen. Mein ganzer Körper schmerzt von den vielen Kratzern und Hieben, die mir die Wachen verpasst haben. Wieder einmal könnte ich mir selbst eine Ohrfeige verpassen; und ich glaubte wirklich, dass ich seelenruhig hier reinspazieren, mir die Karte schnappen und wieder unbemerkt entkommen könnte... Dumm, dümmer, ich!

Ich balle meine Hände zu Fäusten, dann löse ich sie kraftlos und mir entfährt ein Schluchzer. Wie soll ich hier rauskommen?...

Hör auf! Du kannst dich später in Selbstmitleid suhlen! Reiß dich sofort zusammen und mach irgendwas!

Ich unterdrücke einen weiteren Schluchzer und wische mir die unerwünschten Tränen von meinen verstaubtem Gesicht. Nach einer kurzer Wartezeit haben sich auch schon meine Augen an das Zwielicht gewöhnt und ich kann endlich meine Umgebung betrachten.

Toll. Aber ich hätte es nicht anders erwartet. Ich sitze auf einem lächerlichen faulem Haufen Stroh in einer alten Gefängniszelle. Ich habe sogar ein kleines Gitterfenster, durch das ein verlorener Sonnenstrahl vorsichtig hindurchsickert. Ich wollte schon aufstehen, um nach draußen zu gucken, als mir auffällt, dass das Loch zu weit oben für meinen etwas kleinen Körperbau ist. Ich seufze. So komme ich schon mal nicht raus.

Mit meinem Blick erforsche ich weiter meine Zelle; ich hoffe auf irgendeinen lockeren Stein, einen Schlitz, irgendwas... Gebe die Hoffnung auf. Wie denn auch nicht? Mein Aufenthaltsort ist eine kleine, modrige und alte Zelle, die als vierte Wand ein Stahlgitter mit verrosteter Tür besitzt, vor der ein seufzender Wache steht. Ich werfe einen vernichtenden Blick auf dessen Eisenpanzer und glänzendes Schwert. So gerne hätte ich es ihm in den Rücken geworfen.

So als hätte er meinen Blick gespürt dreht sich der Wachmann gelangweilt um. "Ist es dir auch bequem genug, eure Lächerlichkeit? Soll ich vielleicht noch etwas Stroh herbeischaffen, um Ihren Aufenthalt in unserem schlichten Zimmerchen etwas angenehmer zu machen?", fragt er in gespielt besorgten Ton. Innerlich koche ich sofort, doch ich will ihm den Gefallen nicht tun, mich aufbrausen zu sehen, denn genau das will er ja auch erreichen. So leicht lasse ich mich doch nicht provozieren. Wahrscheinlich redet er ja nur deswegen, weil ihm langweilig ist.

Ich spiele mit.

"Das ist ja wirklich zuvorkommend von dir. Und ja, etwas frisches Stroh wäre dezent angenehm. Ach, und noch etwas, bitte! Seit meiner Abreise in Ihr wundervolles Schloss hatte ich nichts im Magen. Es wäre wirklich sehr aufmerksam, mir etwas Essen zu bringen.", meine ich in einer etwas erhöhten Tonlage sodass ich wie eine eingebildete Prinzessin klinge. Der Wachmann lächelt gekünstelt und verbeugt sich, sodass seine Rüstung klirrt: "Aber natürlich, die Dame! Ich gehe sofort bei meinem Schichtwechsel los. Nicht, dass ihnen ohne einen Beschützer etwas passiert! Hahaha!" , lacht er und dreht sich wieder um. "Übrigens...", wirft der Mann noch über die Schulter. "Bald sollte ich tatsächlich Schichtwechsel haben. Dann kann jemand anderer für dich den Kellner spielen. Sei aber vorsichtig, die anderen Jungs verstehen Spaß nicht so gut wie ich, Hahaha!", meint er und lacht über seinen eigenen Witz.

Er ist einfach so widerlich, dass ich mein karges Frühstück wieder erbrechen könnte. Nein, sage ich mir. Das muss drinbleiben. Wer weiß, wann ich das nächste Mal etwas in den Magen bekomme. Ich lehne mich enttäuscht zurück. "Gute Bedienung scheinen sie hier nicht zu haben.", denke ich und lache insgeheim über die Ironie auf. Auf ein bisschen Essen hatte ich trotzdem gehofft.

Ich denke zurück. Nachdem wir eine Nacht um Sord getrauert haben, sind wir weitergezogen und... Sord... Bei dem Gedanken an ihn steigt mir schon wieder dieser Kloß hoch, den ich jedes Mal nur schwer davon abhalten kann, sich in Tränen zu verwandeln. Aber er wusste, auf was er sich einließ.

VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt