Kapitel 2: Erinnerungen

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Ich schwebte am Abgrund zwischen Leben und Tod, hell und dunkel. Ich wehrte mich nicht mehr, ich konnte nicht, meine Gedanken waren viel zu schnell..

Doch als ich schon völlig den Verstand verloren zu haben schien, hörte ich ein Flüstern. Ich konnte es so deutlich wahrnehmen als wäre es direkt neben meinem Ohr, doch es schien gleichzeitig unendlich weit weg und doch gleich neben mir zu erscheinen. "Gib nicht auf. Ich bin bei dir. Immer..." Immer. Immer. Was war?... Ich bin fast Tod!, realisiere ich auf einmal. Ich will noch leben!! "Gib nicht auf. Ich bin bei dir. Immer. ", hallte es in der Leere herum, wie in einer Halle, in der das Echo unendlich mal hin und her geworfen wird. Nicht aufgeben! Ich setze den Kampf fort. Nicht aufgeben, du schaffst es!, schärfte ich mir ein und tatsächlich! Als ich überraschend die Ranken von meinen Armen wegzerrte, schienen sie für einen Moment gelähmt zu sein. Doch dieser eine Moment reichte mir schon, um mein Messer aus dem Gürtel zu holen und die mir widerlichen Fänge bei meinen Beinen zu durchtrennen. Zwar konnte ich nichts sehen, jedoch kannte ich die genaue Position jeder einzelnen Faser, die mich umklammerte. Immer neue und neue Schlingen versuchten mich zu schnappen doch mit einem gezielten Schnitt hielt ich jede davon ab. Schon war ich befreit und rannte wie auf Flügeln davon. Die Stimme gab mir Kraft und Mut, und langsam sah ich auch, wohin ich sprintete. Irgendwo weit vorne war ein weißer Fleck, der Ausgang, und er wurde immer und immer größer. Als ich ihn erreicht habe, war ich nicht einmal erschöpft, ungewohnte Kräfte strömten durch mein Blut, eine riesige Menge an Energie ließ nicht zu, dass ich außer Atem kam. Und dann wich die schwarze, bedrückende Leere der Realität und endlich hörte ich wieder etwas, ich wurde geblendet vom Licht. Ich war gezwungen, die Augen zuzukneifen, doch als ich sie weider öffnete, lag ich zusammengekauert auf  hartem Stein und Cannon rüttelte mich mit vor Schreck geweiteten Augen an der Schulter. Noch etwas benommen, stand ich auf und sah mich um. Ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht aufzuschreien. Alle anderen außer mir und Cannon kämpften gegen das wildgewordene Anasku, das um sich biss, kreischte und Hiebe verpasste. Keiner schien zu treffen, doch dann duckte sich Della nur eine Millisekunde zu spät und flog mit einem heftig blutenden Arm gegen einen Stein, wo sie bewusstlos liegen blieb. Ohne ein Wort ließ mich Cannon stehen und pirschte zu Della. Ich schrie wütend auf, zückte mein Schwert und startete einen Angriff auf das Monster, das höchstwahscheinlich meine Freundin umgebracht hat. Schnell wie der Blitz schnitt ich dem Biest seine rechte Vorderpfote bis zum Knochen auf und, während es vor Schmerz heulend abgelenkt war, rammte ich meine Klinge gegen seine Hinterpfote, sodass es unbeholfen zur Seite kippte. Ich wurde unter einem Berg von stinkendem und blutgetränktem Fell und Fleisch begraben und das gewaltige Gewicht presste die Luft augenblicklich aus meiner Lunge. Es fühlte sich so an, als ob sie auf die Größe einer Erdbeere zusammengeschrumpft ist und ich nie wieder atmen könnte. Ich war regungslos unter dem Körper gefangen und ich wusste, dass ich das nicht überleben könnte. Doch überraschender Weise rettete mich das Anasku, indem es sich wieder erhebte und ich giereig nach Luft schnappte. Trotz dem Sauerstoffmangel stand ich mühevoll auf und sprang gerade noch rechtzeitig nach hinten, denn das wahnsinnige Geschöpf wollte mich mit seinen gewaltigen Klauen aufspießen, sodass ich nur um eine Haaresbreite von der fliegenden Tatze auf dem Boden landete. Der Aufschlag tat ziemlich weh, denn ich landete mit dem Kopf gegen den Stein und verlor das Bewusstsein, bevor ich noch riesige Schmerzenswellen meinen Körper entlangfließen spürte.

Nachdem das Schwarz wieder zurückgewichen ist, bemerkte ich, dass Faitar sich schützend vor mich gestellt hat und gezielt die Angriffe des Biestet abwehrte. Noch etwas benommen sprang ich auf und schnitt sogleich eine tiefe Wunde in die Pfote des Gegners, was einen ohrenbetäubenden Schrei auslöste. Doch das nutzte ich aus und stach gezielt auf die Fratze, in der Hoffnung, das Auge getroffen zu haben. Doch leider ging der Schlag daneben und mein Schwert kam nur bis zum Knochen, wo es dann abprallte und ich nach hinten geworfen wurde. Doch währenddessen sah ich, dass Faitar den Angriff fortsetzte und  mit kräftigen Hieben das Biest davon abhielt, ihm dem Kopf abzureißen und währenddessen noch dessen rechte Seite dunkelrot färbte. Sofort erhob ich mich wieder und rannte geradewegs auf das Anasku zu. Ich war schnell, und, wie erwartet, überraschte ich es, als ich mich mit einer geschmeidigen Bewegung auf den Rücken warf, durch die Geschwindigkeit unter dem Bauch hindurchgleiten konnte und, während ich ein paar Momente die ungeschützten Eingeweide sozusagen auf dem Präsentiertablett hatte, mein Schwert tief in den Körper rammte. Doch das Anasku zeigte keine Reaktion, es kämpfte weiter, ohne umzufallen oder aufzujaulen. Man hatte das Gefühl, dass es keinen Schmerz spürte oder zumindestens die Wunden, die für jedes andere Lebewesen tödlich gewesen wären, für dieses Geschöpf keine Bedeutung hatten. Verdutzt hielt ich einen Moment inne, doch dann fasste ich mich wieder und versuchte, meinen Gefährten diese erschreckende Kenntnis zu vermitteln :"Faitar! Zwecklos! Es stirbt einfach nicht! Es kann nicht! Rückzug!!", brüllte ich in die Richtung, wo ich meinen Freund vermutete. Als ich seinen Blick auffing, war er voller Schmerzen, Wut und Verständnis. "RÜCKZUG! Alle auf die Brücke!!", schrie er und das Echo bahnte sich seinen Weg durch den Nebel und verschwand in einem traurigen Geheule in der Ferne. Alle schauten für einen Moment zu Faitar, dann hob Cannon die immer noch bewusstlose Della hoch, Adu nahm unser Gepäck und ich mit Faitar gaben den anderen Rückendeckung. So gut wir konnten lockten wir das Biest von den Flüchtlingen weg und versuchten gleichzeitig, noch mehr Wunden und Verletzungen einzugravieren. Ich war vollkommen angespannt, bewegte mich eher aus Reflex und griff nicht so sehr auf mein Wissen zurück. Es galt ducken, schlagen, springen, schneiden, Schritt zurück, ducken, blocken, springen...Ich weiß nicht wie lange es gedauert hat, es konnten paar Minuten gewesen sein, es hätten auch nur Sekunden vergehen können, doch wir kamen an der Brücke an. Völlig berauscht vom Kampf bemerkte ich nichts außer das Pochen des Herzens und dem Kratzen auf dem alten Stein. Panisch drehte ich mich um und zählte durch: Faitar, eins...Cannon und Della, zwei, drei... Adu, vier... Ich, fünf und Sord... Moment. Wo war Sord?!  Ich konnte ihn nirgendwo entdecken!...,war mein letzter Gedanke, bevor ich einen stechenden Schmerz an meiner rechten Gesichtshälfte, einen dumpfen Schlag und ein siegessicheres Geheul des Anaskus verspürte. Danach sah ich für einen kurzen Moment schwarz und als ich meine Augen wieder öffnete bemerkte ich wie so oft dass ich den Staub der Berge begutachten durfte. Doch wäre da nicht diese Wunde auf meinem Gesicht... Sie brannte wie die Hölle und mein Auge musste ich ebenfalls zukneifen, weil das Sehen mit dem rechten zu viel Schmerzen durch meinen Körper schoss. Mühsam rappelte ich mich wieder auf und suchte panisch nach Sord. Wo ist er?... "NAURA!!! PASS AUF...", hörte ich wie durch einen Wall aus Wasser, und duckte mich instinktiv. Alles schien sich langsamer zu bewegen, ich hörte nur noch mein röchelndes Atmen und das zu laute Ruaschen des Blutes in meinen Ohren, mein Blick wurde unscharf und ausdruckslos. Ich spürte die nächste Attacke eher, als dass ich sie sehen oder hören konnte, und genau im richtigen Moment warf ich mich auf den Boden. Ein riesiger Klumpen von verfilztem Fell sprang gerade so eine Fingerbreite von meinem Kopf entfernt über mich hindrüber und ich verfiel kurzzeitig in eine Schockstarre. Doch genau das nutze das Anasku aus und drehte sich blitzschnell nach seiner nicht ganz eleganten Landung nach mir um. Plötzlich fing ich wieder an, klar zu sehen und vernahm das bekannte Kratzen auf Stein. Ich rollte mich auf die Seite und umklammerte mein Schwert, als ob daran mein Leben hinge - und so war es ja auch. Ich kroch nach hinten, soweit es ging, und dem nächsten Angriff konnte ich ausweichen. Dann stand ich wieder wackelig auf den Beinen, doch ich war erschöpft vom Kampf, benebelt von den vielen Aufschlägen und auch der an mehreren Stellen meines Körpers pulsierende Schmerz trug seinen Anteil dazu bei, dass ich kaum stehen konnte. Das Anasku jedoch schien vor Energie nur so überzuquillen, man merkte nicht, dass es schon mehrmals tödlich verletzt wurde. Panisch suchte ich nach dem letzten Mitglied unserer kleinen Truppe: Sord. Der Name hämmerte durch meinen Kopf und ich konnte an nichts mehr anderes denken. Er war schon immer ein Meister des Verstecks gewesen aber... Nicht jetzt!! "Sord! Wo bist du?! KOMM ENDLICH!! Wir müssen uns zurückziehen!...", kreischte ich und -Hallelujah!- sah ihn endlich. Aber statt sofort zu mir zu laufen blieb er stehen und warf mir einen Blick zu. Ich erschauderte, denn ich kannte meinen Bruder zu gut um diesen Gesichtsausdruck nicht zu kennen und deuten zu können. Ich wollte schon wieder schreien, aber eine unnatürliche Kraft schnürte mir die Kraft zu und nur ein Keuchen kam aus meinem Mund. Und dann war es zu spät, für alle. Für mich, um Sord aufzuhalten, für uns, um wegzutreten. Und das Anasku sah es und trieb uns -einen elenden Haufen erschöpfter Menschen- weg von der Brücke.

"Lass sie gehen!", schallte es auf einmal durch die Schlucht. Es klang furchtbar kalt, kälter als Eis, und ich konnte die Stimme im ersten Moment nicht wiedererkennen.

Doch dann erinnerte ich mich.

Und das erschreckendste war, dass ich diese Stimme  schmerzvoll gut kannte.


VergeltungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt