"Komm, ich helfe dir", sagt Mendalon als ich aufstehen will. Wir waren seit zwei Tagen hier und der Magier hat jeden Tag mehrere Male meinen Knochen zusammenwachsen lassen. Mittlerweile kann ich alleine gehen und aufstehen, aber der Mann ist überfürsorglich... Er behandelt mich irgendwie mütterlich. Ich habe es gestern noch genossen, aber da er ein sehr begabter Heiler ist ist meine Schulter auf dem besten Weg und ich brauche keine Hilfe mehr..!
"Nein, nein, das geht schon, ich komm allein hoch", entgegne ich ihm und stehe mühelos auf. "Wir sollten aufbrechen, ich spüre, dass uns etwas jagt und dass es unsere Spur aufgenommen hat. Wir sollten gehen, heute noch." Ich nicke. Woher er das wohl weiß? Aber ich will mein Leben dafür nicht riskieren, nur um noch eine Weile im Wald rumzufaulenzen. So helfe ich keinem.
Mendalon und ich räumen still unser Lager zusammen und ich bemerke erst jetzt, dass er ein Doppelschwert versteckt hat, sowie einen Bogen, den ich aber schon früher gesehen habe. Gestern gab es nämlich gebratenes Kaninchen, das er geschossen hat. Ich kann mich nicht über das Essen beschweren, der Mann kann ausgezeichnet kochen. Und zum ersten Mal seit drei Wochen bin ich endlich satt.
Ich nehme einen Rucksack und Mendalons Bogen mit Köcher, den er kurzerhand mir überlassen hat. Das Doppelschwert behält er anscheinend lieber für sich. Wir marschieren etwas durch den Kiefernwald bis wir auf einen Fluss treffen, und gehen dann stromaufwärts. Es müsste kurz vor Mittag sein, als mein Begleiter plötzlich innehält und einen etwas größeren Stein begutachtet. "Was ist?", frage ich ihn und sehe mir den runden Stein auch an. Es ist ein ganz normaler Felsen am Fluss... Oder doch nicht. Kleine schwarz-braune Sprenkel schmücken die obere Seite und verteilen sich auf weitere Kiesel. Mendalon streckt die Hand aus und tunkt seinen Finger in die Flüssigkeit. "Blut", spuckt er aus, nachdem er es probiert hat. Mein Begleiter eilt zum Fluss und lässt das Wasser seinen Mund und seine Hände reinigen, ganz von alleine. Ich wundere mich jedes Mal wenn ich ihn beschwören sehe, es ist faszinierend, wie er dem Wasser die verschiedendsten Formen geben kann. Dann wende ich mich wieder den Blutflecken zu. Sie sind noch frisch, das merke ich an den noch kleinen verkruseten Rändern. Es muss einen Kampf gegeben haben, denn ein bisschen weiter vorne entdecke ich eine große Blutlache. Und ein Stück Stoff, anscheinend ein einfaches Leinengewebe, wie es die armen Bauern tragen. Ich schaue mich etwas weiter um und entdecke schließlich einen blutverschmierten Dolch, von dem sich eine tiefrote Spur in den Wald zieht. "Mendalon", zische ich und sofort hört der Magier auf, die kleinen Sprenkel zu begutachten. "Komm, sieh dir das an", werfe ich über die Schulter.
Irgendwie sind wir ein unausgesprochenes Bündnis eingegangen, wir sind jetzt wie...Kollegen, Menschen, die sich ihr Leid und ihre Erfahrungen teilen. Er hat mir geholfen, und ich versuche es irgendwie wieder gut zu machen. Während er näher kommt, schaue ich ihn aus den Augenwinkeln kritisch an; er verbirgt etwas vor mir, verschweigt mir etwas... Aber was? Klar, man kann von einem nicht erwarten, dass er gleich seine dunkelsten Geheimnisse ausspuckt, wenn wir uns erst seit drei Tagen kennen. Ich muss damit zufrieden sein, was ich habe.
Mendalon hat immer seinen... Ich kann es nicht so richtig zuordnen... Es ist wie ein Umhang mit den Falten einer Tunika und den vielen Taschen eines Mantels und reicht ihm bis kurz unter die Knie. Es ist kohlschwarz mit ein paar Staubflecken und Kratzern. Außerdem hat Mendalon fast immer seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, aber ich habe mal sein Gesicht gesehen. Und ich war wirklich fasziniert, denn ich hatte ihn auf ungefähr 40 Jahre geschätzt, dabei sieht er viel jünger aus, vielleicht ein Mann von zwanzig, höchstens 21. Schöne mandelförmige Augen in der Farbe von einem Meer, das in der Sonne badet, ein recht kurzer und zurechtgeschnittener schwarzer Bart umrundet den unteren Teil des Gesichts und nimmt ein Stück Hals mit. Ich hätte aber nie erwartet, dass er eine solch tiefe Narbe hätte, und das im Gesicht. Vielleicht versteckt er es deswegen ständig unter dem Schleier der Kapuze... Denn die Narbe ist wirklich tief und unübersehbar. Sie geht von seiner linken Augenbraue direkt über die Nase und die Lippen und endet schließlich beim Wangenknochen. Plötzlich überkommt mich ein Hauch von Wut; dem, der ihm das angetan hat, wird es leidtun... Außerdem war er ungefähr einen Kopf größer als ich, was nicht allzu schwer war, und einen athletischen, aber nicht muskulösen Körperbau. Eher den eines Diebes, denn genau so sieht er aus...
"Naura! Naura, hallo?" "Mh... Was?" " Ein kleines Lächeln umspielt kurz Mendalons Gesicht. "Träum lieber im Schlaf, oder am besten gar nicht. Komm, ich will dir etwas zeigen" Peinlich berührt gehe ich ihm nach. Er schiebt ein kleines Farngebüsch zur Seite, was mir die Sicht auf eine Lichtung darbietet. Mitten auf der Lichtung steht ein Baum, und in ihm steckt ein blutbekleckertes Schwert. Vorsichtig schleiche ich mich ran, ich mag offene Flächen nicht gerne, und untersuche die Klinge. Sie besteht aus komplett schwarzem Metall, ebenso der abgenutzte Griff. Ein einfaches Schwert, nichts besonderes, ich will schon gehen als mein Blick ein kleines Lichtspiel erhascht... Nein... Das kann nicht sein... Es ist ein Symbol, man kann es nicht einmal richtig erkennen, aber ich habe es bemerkt, und es bedeutet nichts gutes. Es ist das Wappen von Elínusan, des Schwarzen Beschwörers. Und wenn einer seiner Diener hier ist, kann Der Feuerrote Jäger auch nicht weit sein. Er jagt uns schon seit Anfang an. Die Kreatur ist blind, aber sie kann mehr sehen als hundert Mann gemeinsam. Und Elínusan hat ihn auf uns gehetzt...
"Mendalon, sieh nur. Das Wappen Elínusans..." Ich schlucke und mache Platz, damit er es sehen kann. Ein Schauer läuft meinen Rücken hinunter als ich Mendalons Blick auffange. "Naura. Lauf. Sofort." Und ich laufe. Wieso und wohin wir laufen weiß ich nicht, ich folge nur dem schwarzen Mantel meines Gefährten. Ich renne, wie ich noch nie gerannt bin...
Angekommen an einem steilen Hang holt Mendalon das Wasser zur Hilfe und bringt uns hinunter zu einem aderen Fluss - oder war es der gleiche den wir überquert haben? Keine Ahnung, alles sieht so gleich aus obwohl ich meistens überall einen Anhaltspunkt sehe. Ich stolpere über Wurzeln, Sträucher und dünne Äste peitschen mein Gesicht und hinterlassen eine kurze Flammenspur auf der Haut, aber das bemerke ich erst gar nicht, es zählt nur der wehende Mantel vor mir. Heißes Blut sickert meine Wange entlang, als ein Dornenstrauch sie erwischt hat, mein Fuß gelangt in ein kleines Loch und ich verdrehe mir den Knöchel, wodurch ich zu Boden gleite. Aber ich stehe wieder auf, renne weiter, ohne das Wohin, das Warum zu kennen.
Meine Lungen platzen, sind total kratzig und schmerzen bei jedem Atemzug immer mehr, sodass ich schließlich anhalten muss und Mendalon zurufe, er solle stehenbleiben, aber als er sich umdreht und ich in seine Augen sehe, versetzt mich das in Panik. Irgendwas brachte mich dazu, trotz des mittlerweile heftig schmwerzenden Knöchels und der Flamme in meiner Lunge weiterzurennen, irgendwas, als ob es jetzt lebensbedrohlich wäre, aufzuhören. Als ich neben ihm stehe, legt Mendalon seinen Zeigefinger auf seine Lippen und lässt mich horchen.
Vogelgezwitscher. Rauschen des Flusses. Tiere. Rascheln der Blätter im Wind... Moment mal. Es weht kein Wind. Und es ist auch kein Rascheln. Es ist ein Flüstern, ein Zischen aus tausenden Mündern, und sie flüstern etwas durch den Wald. Einen Satz? Ein Wort?
"Ein Name", flüstere ich zurück.
"Nauraa... Nauraaaa... Nauraaa..."
Und es kommt näher.
Er kommt näher.
Der Feuerrote Jäger hat seine Beute gefunden.
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Sooo, das neue Kapitel etwas früher als geplant weil mich vor zwei Stunden die beste Nachricht erreicht hat die ich hier auf Wattpad gekriegt hab und stammte von @Fallonir . Du hast mir so viel Mut gemacht, vielen vielen Dank! :3 Schaut unbedingt bei Fallonir vorbei, seine Zeichnungen sind Abbilder meiner Fantasie und habt einen wundervollen Tag :3
(Wenn ihr mich jetzt sehen würdet, ich drucke gerade die Nachricht von Fallonir aus und grinse dabei wie ein Honigkuchenpferd.... Danke Danke Danke :*)
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Vergeltung
AdventureIch wollte ihm den Gefallen nicht tun, mich sterben zu sehen. Die schwarzen Punkte tanzten noch wilder, wurden immer und immer größer. Ich warf noch einen letzten Blick auf das Monster, in den ich all meine Wut und und all meinen Hass, all meine Ver...