Es reicht nicht aus, dass ich es tun will. Nichts kommt dabei zustande, wenn nur der bloße Wille im Spiel ist.
Keine Bilder entstehen – niemand wird dabei geboren, wenn allein der Wille im Spiel ist.
„Ich will schreiben!"
Das genügt nicht. Die Klinge bleibt stumpf, die Welt verharrt im Standbild, die Figuren bleiben blasse Pappkameraden.
„Ich habe ihr geantwortet, das, was ich vor allem anderen wolle, sei schreiben, nichts anderes als das, nichts."
Die Duras hat das gesagt, nicht ich. Es ist dumm, denn es reicht nicht aus. Der Wille allein vermag nichts.
Er lähmt den Gedanken und verhindert das Schreiben. Der Wille blockiert die Idee. Er lässt die Vision nicht zu.
Der Wille allein führt zum Elend des Schreibens. Er lässt den Schreibenden ausgetrocknet und bis zu den Wurzeln verbrannt zurück.
Das Loslassen erst ermöglicht den Glanz. Das Loslassen packt den Willen – es nimmt ihn bei der Hand und führt ihn in unbekannte, schwer zugängliche Bereiche. Bereiche, in denen das Schreiben von selbst geschieht, jedoch ohne den Willen als untergeordnete Kraft nicht möglich ist.
Wie das geschieht, weiß der Schreibende nicht. Er kann nicht nachvollziehen, wie sich das Loslassen mit dem Willen vereinigt. Er weiß nur, dass diese Vereinigung manchmal möglich wird. Dann muss er sich mitreißen lassen. Dann wird das Schreiben zur Magie.
Das Loslassen ist es, das so schwierig ist. Es ist so schwer, sich im Elend des Alltags treiben zu lassen. Die Ausübung des Willens ist dagegen ein Kinderspiel.
Zum Elend des Schreibens reicht der Wille. Der Wille genügt, um eine Geschichte voranzutreiben.
Doch erst das Loslassen verleiht Flügel: Die Geschichte bekommt eine Eigendynamik, die nur bedingt steuerbar ist.
Die Geschichte findet zu ihrem eigenen Ende, nicht zu dem Ende, das der Schreiber vorgesehen hat. Der Schreiber wird zum Medium – zum Medium von etwas, das sich auf dem Papier ausdrücken will.
Nennen wir es eine Geschichte. Nennen wir es eine Idee.
Nennen wir es eine lebendige Geschichte.
Die Anwendung des Willens genügt, um ein Schriftsteller zu sein. Der Schriftsteller konstruiert Geschichten.
Plastikgeschichten. Geschichten aus PVC.
Wille & Loslassen formen den Schreiber. Der Schreiber wird zum Instrument der Geschichte. Er reitet den Stier...Das Tier kommt zum Vorschein, wenn man sich hemmungslos seiner Lust ergibt, wenn man alles tut, was einem gerade in den Sinn kommt.
Das Tier hat soviel mehr vom wahren Menschen in sich als der Mensch. Der zivilisierte Mensch bewegt sich in unsichtbaren, doch sehr gut spürbaren Ketten. Der zivilisierte Mensch kann nichts Lebendiges bewirken. Er kann nichts Lebendiges begreifen, weil er nichts Lebendiges hat.
Der zivilisierte Mensch lebt in einer Plastikwelt. Er hat soviele Bereiche des Lebendigen aus seinem Leben ausgeklammert, dass er mehr tot als lebendig ist.
Umso lebendiger fühlt er sich, wenn es ihm für Augenblicke gelingt, seine selbstgeschaffenen Fesseln abzustreifen und seine verhängnisvolle Moral hinter sich zu lassen.
Starre und Elend sind zur Norm geworden, Flexibilität und Glanz sind die Ausnahme.
Sie sind die Ausnahme in meinem Denken. Sie sind die Ausnahme in meinem Schreiben. Ich muss mich an sie herantasten, heranpirschen wie an ein scheues Wild. Ich muss meinen analytischen Verstand überlisten, ihn hintergehen und betrügen, um an die Quelle heranzukommen, in der die Worte ihre Bedeutung erlangen. Ich befinde mich hier mitten im Elend des Schreibens: Noch hat mein Verstand die Kontrolle; er schwächt alles ab, was ich sagen will, verfälscht, verdirbt, lässt Mordgedanken aufkommen in mir, zwei widerstreitende Wesen in mir erstehen, die sich die Haare gegenseitig ausreißen und die Augen ausstechen. Ich nähere mich, weil ich schneller schreibe und weniger denke. Das Denken kommt nicht mit, kann nicht folgen. Ich nähere mich dem Glanz. Ich lasse das Elend hinter mir und benutze meine Lust, um die Rakete zu zünden, um die Schranke meines Denkens mit Lichtgeschwindigkeit zu durchstoßen. Sedya. Ich nutze Sedya, um mein Ziel zu erreichen. Lust zu erzeugen, Denken zu töten. Ich schreibe einen Brief an Sedya, eine Botschaft in die Vergangenheit zur Lust und zum Wahnsinn meiner Gegenwart. Ich taste mich heran an die Möglichkeiten des Schreibens:Liebe Sedya,
als wir vorhin telefonierten und ich davon sprach, Dich übers Knie zu legen, da ging meine Fantasie mit mir durch, und ich spürte deutlich, wie sich wie von selbst, mit verblüffender Selbstverständlichkeit, etwas bei mir regte, das bei wirklich platonischen Freunden eigentlich gar nicht existent sein sollte. Ich war total erregt, als ich daran dachte, wie ich Deine wunderschönen Arschbacken mit Küssen verwöhnen, Dich dann langsam ausziehen und in meine Arme nehmen würde, Deinen Mund auf meinem Mund spüren könnte, während unsere Zungen ihr eigenes Spiel miteinander spielen.
Die Vorstellung Deiner tastenden Hände an meinem Gürtel, Deiner suchenden Finger an der deutlichen Wölbung meines Reißverschlusses, das sehnlich schmerzende Pochen in meinem viel zu eng gewordenen Gefängnis – und dann endlich die unendlich sanfte Kühle Deiner Hand, das zärtliche Streicheln Deiner Finger, Dein warmer Atem in meinem Ohr, meine suchende Zunge an Deinem Hals, an Deiner Schulter...grenzenlos schwindelig wird mir bei solchen Gedanken.
Und ich gerate immer tiefer in diesen Taumel der Lust. Tausende Arme ziehen mich hinab in diesen Strudel, immer tiefer und tiefer hinab in diesen Malstrom, der die Reste meines allzu überschätzten Ichs geradezu zerbröselt zwischen den Säulen seiner traumgeborenen Gewalt.
Nichts, das ich dagegen tun will.
Lasse mich ziehen und treiben von einer Kraft, die stärker ist als alles, was ich jemals sein könnte, einer Macht, die mir die Unbedingtheit einer Liebe vor Augen führt, die keinerlei Fragen zulässt und all ihre Antworten mit sich bringt. Das, was geschehen will, schafft sich seine eigenen Gesetze, und ich betrachte staunend, was im unbegrenzten Reich meiner Fantasie möglich wird: Etwas von mir zerschellt am Grund, am tiefen Grund meines Lebens – als ich aufschaue, stelle ich fest, dass Du jede Bedeutung für mich verloren hast.Nein, so funktioniert es noch nicht. Etwas fehlt. Etwas Entscheidendes fehlt. So nähere ich mich von der anderen Seite...
Ich umkreise meine Erinnerung, wie sie gewesen ist, und gestalte sie zu dem, was sie hätte sein können. Ich entlocke ihr die leisen, zarten, wunderbaren Töne, sehe in ihr die berauschenden, warmen Farben, die ich hätte sehen können, wenn ich meine Vergangenheit voll und ganz gelebt hätte.
So funktioniert es, so beginnt es, und so nähere ich mich von allen Seiten, von allen Enden der Welt...
Ich beginne etwas zu begreifen, was so schwer zu begreifen ist (Ich sehe eine Gestalt mit dem unwahrscheinlichen Namen Elmer Damaskus).
Ich erahne ein Geheimnis, das mit Worten nicht zu beschreiben ist (Ich erlebe einen Sturzflug ohnegleichen, einen freien Fall und gelange zu Mariette & Myrielle..).
Die Ideen überschlagen sich, die Gedanken verschmelzen zu einer einzigen Offenbarung. Im Schreiben sehe ich ins Zentrum aller Dinge.
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Taking A Risk / Die Magie des Schreibens
SaggisticaSchreiben ist weit mehr als die geschickte Aneinanderreihung von Buchstaben; es ist oft das Jonglieren mit Bildern, die sich wie von Zauberhand in Worte übersetzen, die bleiben, nachhallen und bestenfalls Ewigkeitswert besitzen. Schreiben ist immer...