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„Kain und wie weiter?", fragte die dauernd lächelnde Krankenschwester, als sie mir, meine Akte in der Hand haltend, die Tür zu einem steril riechenden Behandlungszimmer auf hielt.

„Nichts weiter", entgegnete ich ohne sie anzusehen und betrat den kleinen Raum, dessen Boden aus grauen Linoleumplatten bestand. Als ich mich umsah, fiel mir sofort der gebeugt sitzende Arzt im weißen Kittel auf, der an einen Holzschreibtisch saß und in den vor ihm stehenden Bildschirm starrte. Sein Gesicht bleib mir verborgen, ich sah nur seinen breitschultrigen Rücken. Auf der anderen Seite des Tisches stand eine mit Leder bezogene Liege auf der ein blendend weißes Tuch ausgebreitet lag. Die kahlen Wände zierten Poster mit der Anatomie verschiedener Organe und den dazugehörigen, lateinischen Benennungen. Ich überflog ein paar der Begriffe und wunderte mich, wie man sich so viel merken sollte, während ich auf die Liege zu schritt und mich schließlich nieder ließ. Der helläugige Mediziner bemerkte meine Anwesenheit kaum und ich wagte es auch nicht, das Wort zu erheben. Ich blieb einfach mit gesenktem Blick sitzen und wartete. Schließlich legte die brünette, etwas rundliche Schwester, die mich auch hereingelassen hatte, meine Akte neben die Tastatur auf der Tischplatte. Seine grünen Augen huschten nach oben und fixierten mich unangenehm lange, bis er die Papiere nahm und sie durchblätterte. Ein seichtes Lächeln gaben seine dünnen Lippen preis, doch wirkte er auf mich nicht sonderlich sympathisch, denn den Rest seines Gesichtes erreichte dieses Lächeln nicht. Mit einer Hand fuhr er sich durch die grauen Haare, deren Ansatz mit den Jahren schon ein ganzes Stück nach hinten gewichen war.

„Kain, also", sprach er mich an, nachdem die Schwester das Zimmer verlassen hatte. Ich nickte nur und ließ meinen alten Rucksack auf den Boden vor mir fallen.

„Die Vortests haben Sie außerordentlich gut absolviert, wie ich gelesen habe. Doch bevor Sie an diesem, nennen wir es Projekt, teilnehmen können, müssen wir einen Bluttest machen. Wir werden Ihnen Blut abnehmen." Erneut nickte ich leicht und schob den Ärmel meines blauen Pullovers nach oben um meine linke Armbeuge zu entblößen. Der erfahrene Mediziner schlang mir ein Band um den Bizeps und schnürte mir das Blut ab, daraufhin strich er mit einem kalten Tuch über die Stelle an der eine Vene deutlich zu sehen war. Nun kam der schlimmste Teil für mich. Mit äußerster Sorgfalt packte er die Spritze aus und rammte die Kanüle ohne Vorwarnung in meinen Arm. Die rote Flüssigkeit sprudelte in das Gefäß und füllte es in kurzer Zeit. Es war nicht so, dass ich Spritzen hasste, aber dieses stechende Gefühl war mir sehr unangenehm und ich war froh, als er die Nadel wieder entfernte. Ohne ein weiteres Wort gab er mir ein Tüchlein um es auf die Stelle zu drücken und ließ mich alleine. Etwas verloren schaute ich mich um, während ich das Tuch auf meinen Arm drückte und ärgerte mich über das Verhalten des Doktors, mich einfach sitzen zu lassen. Allerdings war ich das langsam schon gewohnt. Irgendwie gehörte es hier zum guten Ton, so wenig wie möglich zu sagen und sich nur auf das Wichtigste zu beschränken.

Mein Ärger wich der anhaltenden Langweile und ich lehnte mich etwas entspannter zurück, hob den Kopf und beobachtete die Neonröhre an der Decke, die die fehlenden Fenster ausglich. Wo war ich hier überhaupt gelandet? So professionell sah es hier ja wirklich nicht aus. Aber ich musste es tun. Das Geld würde meinem Bruder und mir wieder etwas zu Essen in den Kühlschrank zaubern, der schon seit Längerem an unterdurchschnittlicher Befüllung litt. Tobias hatte schon seit einer knappen Woche nichts mehr Warmes auf dem Esstisch vorgefunden und würde sich bestimmt über Spagetti mit Tomatensoße freuen. Ich war zwar kein Meisterkoch, aber ein bisschen was hatte ich doch gelernt. Der Arzt kehrte wieder zurück und erntete einen fragenden Blick meinerseits.

„Das Labor hat morgen die Ergebnisse", erklärte er mit rauer Stimme, „Kommen Sie um zwölf Uhr hier her zurück. Ab da beginnt das Projekt, wenn Ihr Bluttest keine Unregelmäßigkeiten zeigt."

Wiederholt nickte ich nur mit dem Kopf und schulterte beim Aufstehen meinen zerschrammten Rucksack.

„Auf Wiedersehen."

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