Kapitel 7

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Wie jeden Morgen wartete ich auf meine Bahn. Diesmal stand Lacy aber keine paar Schritte von mir, sondern ganze Meter. Sie stand am anderen Ende und wartete auf die Bahn. Ich verstand sie nicht ... Sie hatte mich gestern nicht wegen der Präsentation angeschrieben, sie steigt jeden Nachmittag zwei Stationen vor der eigentlichen aus, sie redet kaum mit mir, kann mich anscheinend nicht leiden und da wäre noch das mysteriöse Geheimnis, warum sie sich immer hinter ihrer Kapuze versteckte und den Blick mit allem mied.

Als ich aus der Bahn stieg, versuchte ich Lacy einzuholen. Ich wollte mit ihr reden. Wie immer trug sie ihre Haare zu einem Zopf und verdeckte ihr Gesicht mit der Kapuze ihrer schwarzen Strickjacke. Sie sah die ganze Zeit auf den Boden. Es wunderte mich, dass sie gegen keine Laterne oder sogar Personen stieß. Ihre Tasche hing locker an hier Schulter und sprang leicht im Takt ihrer Schritte mit.

"Morgen!", begrüßte ich sie mit einem höflichen Lächeln und lief neben ihr mit.

"Morgen.", erwiderte sie nur daraufhin.

"Warum hast du mir gestern nicht geschrieben?", fragte ich sie.

"Warum schreiben, wenn wir eine Woche dafür Zeit haben und uns eh jeden Tag sehen?", stellte sie mir eine Gegenfrage.

"Warum nicht?" Das war eine ziemlich schlechte und kindische Gegenfrage von mir, aber etwas besseres fiel mir im Moment nicht ein. Aber es schien zu klappen, denn sie konnte mir nicht widersprechen. Es freute mich wie ein Kleinkind zu wissen, dass ich diesmal das letzte Wort hatte. Normalerweise hätte sie immer das letzte Wort, weshalb ich nicht zu antworten wusste, aber diesmal war ich derjenige. Innerlich klopfte ich mir auf die Schulter, obwohl ich genau wusste, dass es jetzt mehr als nur kindisch, sogar schon lächerlich war, worum sich meine Gedanken gingen.

"Okay." Dieses kleine Wort brachte meine errichtete Mauer zum einstürzen. Jetzt hatte sie wieder das letzte Wort und ich wusste nicht, was man darauf noch erwidern konnte.

"Wann hast du denn Zeit?", versuchte ich auf das eigentliche Thema zurückzukommen.

"Ich sag dir bescheid, soweit ich Zeit habe." Ich stöhnte unmerklich auf.

"Nein, schreib mir. Das geht schneller."

Ich nahm ein leichtes nicken wahr. Dadurch, dass sie einen Kopf kleiner als ich war und dass sie ihre Kapuze tief im Gesicht trug, konnte ich ihr Gesicht nie sehen und ihre Mimik nie ausmachen.

Die Stunden zogen sich in die Länge, bis es endlich zur Pause klingelte. Ich dachte mir schon, dass Lacy wieder auf der Tischtennisplatte saß und machte mich auf den Weg zu ihr. Tony hatte ich mein Vorhaben schon Bescheid gesagt. Er würde es dann auch Justin und Ece erklären. Ich wollte mehr von ihr wissen. Besonders brannte meine Neugier dafür, was sie jeden Nachmittag wohl machte. Ich lief auf die kalte Steinplatte zu und machte es mir dort neben Lacy gemütlich. Meinen Rucksack hatte ich jetzt vor mir und kramte daraus mein Essen.

"Eh ... Was wird das?" Sie sah mich unsicher, verwirrt und etwas überrascht an.

"Essen, warum?" Ich konnte ihr Gesicht durch ihre Kapuze mal wieder nicht sehen, aber ich konnte mir denken, dass sie ihre Augen verdrehte.

Sie hatte ihre Kapuze zu jeder Sekunde auf, der es ihr erlaubt war und vermied so gut es ging auch den Blick mit jedem.

"Du weißt was ich meine. Warum hier?" Ich wollte ihre Frage nicht beantworten. Irgendwie störte mich ihre Kapuze gerade mehr als sonst.

"Warum nimmst du deine Kapuze nicht runter?" Ohne ihre letzte Frage zu beantworten, stellte ich ihr die Frage, die mir schon öfters durch den Kopf ging.

"Warum fragst du?"

"Weil ich es wissen will. Du trägst deine Kapuze zur jeden möglichen Sekunde und will wissen, warum. Du hast so ein schönes Gesicht, besonders deine Augen. Warum versteckst du dich hinter deiner Kapuze?"

Sie schwieg.

Warum schwieg sie? Es war nur eine simple Frage.

"Das geht dich nichts an." Die Kälte in ihrer Stimme konnte man deutlich raushören. Aber es war nicht nur die Kälte, die leichte Panik in mir aufsteigen ließ, sondern auch die Tatsache, dass es ein heikles Thema für sie war und sie deshlab bestimmt nie wieder mit mir reden würde. 

"Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass es etwas von so großer Bedeutung wäre, sonst hätte ich nicht gefragt." Die Luft zwischen uns war angespannt. Ich wusste nicht, ob sie mich jetzt ignorieren oder mir antworten würde, aber ich hoffte auf das Letztere.

"Egal. Schon gut." Einerseits erleichterte es mich, dass sie nicht sauer auf mich war und mir antwortete, aber andererseits konnte man merken, dass meine Frage ihr zu schaffen machte.

Den Rest der Pause schwiegen wir. Ich wollte ihr nicht noch mehr Fragen stellen und riskieren, dass ihr Interesse an mir immer weiter den Berg abgeht. Ich dachte, nachdem sie mich als Partner für die Präsentation gezogen hatte, alles leichter werden würde. Dass ich mich mit ihr anfreundete, aber wie es aussah, würde es nicht in diese Richtung laufen. Bisher gab es nur angespannte und distanzierte Stimmungen, egal wie sehr ich es versuchte, mich ihr zu nähern, sie blockte immer wieder ab. 

Ich atmete erleichtert aus, als es zum Reingehen klingelte. Diese angespannte Stimmung und Angst, etwas falsches zu machen, ließ mein Herz doller schlagen. Ich ging an meinem Schließfach vorbei, um meine Jacke zu holen. Im Schließfach waren nur Wechselsachen, Schreibblöcke, Stifte - Notfallsachen, falls ich mal etwas vergessen sollte. Mit meiner Jacke lief ich zur nächsten Stunde. Die Jungs schienen meine schlechte Laune zu merken und fragten nicht nach, weshalb ich ihnen ziemlich dankbar war

Ich fuhr mit der Bahn nach Hause und sah Lacy an der gewohnten Station aussteigen. Diesmal sah ich aber nicht nur zu - nein, ich handelte. Ich stieg auch aus und folgte ihr unauffällig. Ich wollte das nächste Geheimnis lüften und erfahren, was sie hier immer machte. Vielleicht war meine Idee mehr als nur idiotisch, aber meine Neugier gewann die Oberhand. Ich hätte sie auch fragen können, aber ich war mir sicher, dass sie mich wie immer abblocken würde und sie dazu nur noch genervter von mir wäre. Es kann sein, dass mein dummer Plan riskant war, dass die Gefahr, dass sie mich entdecken würde groß war, aber ich hatte trotzdem das Bedürfnis ihr folgen zu müssen. Schließlich konnte es nichts wirklich schlimmes sein. Womöglich hatte sie  nur einen Nebenjob in einem kleinen Café, um etwas Geld zu verdienen.

Ich folgte Lacy mit einem Abstand von sechs Metern und versuchte mich so unauffällig wie möglich zu verhalten, bis wir ankamen ...

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