9. Das nächtliche Geheimnis

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"Was machst du hier?", knurrte sie bedrohlich, als sie erkannte, dass es sich um den Jungen handelte. Er lag noch immer in vollkommenem Schock auf dem Boden. "Ich frage dich, was du hier machst?", wiederholte sie bissig. Sie sass mit einem Bein auf ihm, die Hand an seine Kehle haltend.
"Ich... Ich", keuchte er. Sie musterte interessiert seine Augen, als sein vorne ziemlich langes Haar ausnahmsweise nicht mindestens eines der beiden verdeckte. Zuerst betrachtete sie die Linke Iris, welche sie im Dunkeln magisch goldig anstrahlte. Die rechte hingegen schien das kühle Licht des Mondes zu reflektieren.
"Du?", keifte sie noch immer unzufrieden mit seiner Antwort. In Panik packte er ihre Hand, zerrte dran herum, doch sie hielt ihn eisern fest. Erst als er zwanghaft begann zu husten, löste sie den Griff ein wenig.
"Ich konnte nicht schlafen", brachte er nun endlich heraus.
"Wieso schleichst du dann durch die Gänge?", hakte sie misstrauisch nach.
"Lass mich bitte los!", bat er mit flehender Stimme.
"Beantworte meine Frage", blieb sie stur, während ihr Knie etwas mehr Druck auf seinen Brustkorb ausübte.
"Ich wollte mich umsehen!", flüsterte er heiser, doch auch ängstlich zugleich.
Sie nahm das Bein von seinem Oberkörper. Die Hand entfernte sie ebenfalls, womit er hektisch begann auf dem Rücken liegend nach hinten zu kriechen wie ein elender Wurm. Er hustete leicht, dennoch bemüht leise zu sein. Als er sich halbwegs aufgerichtet hatte, also mit angewinkelten Beinen an die Wand gelehnt sass, fasste er sich an den Hals. Dann sah er in ihre Richtung. Durch das verdeckende, dunkle Haar sah sie bloss den eisigen Blick seines rechten Auges. Wahrscheinlich schwörte er sich gerade innerlich, sie bei nächstbester Gelegenheit zu töten.
"Was machst du zu dieser Zeit im Gang?", gab er nun mit wütendem Unterton zurück.
"Ich halte Nachtwache", konstatierte sie. In ihrer Stimme lag Sicherheit und ein Funken Arroganz.

Wie sie diesen Jungen hasste.

"Du bist anders..." Sein Blick bohrte sich in sie, während sie ihm gegenüber stand und die Arme vor der Brust verschränkt hielt.
"Sagt ja der Richtige", konterte sie mürrisch wegen der nächtlichen Gesellschaft.
"Mag Leith dich deshalb?" Es war ein Stich ins Herz und der Wicht wusste das ganz genau.
"Halt die Schnauze, Kleiner, oder ich werde sie dir derart zusammendrücken, dass deine Zähne aneinander zerbersten."
Kai schluckte sichtlich beeindruckt über die Formulierung.
"Du weisst es selber nicht", brachte er sie zum Zweifeln.
"Was weisst du schon über Leith", entwich es ihr gehässig.
"Er hat mir Vieles erzählt!", fuhr er sie überzeugt an. Aurora lachte höhnisch. Es klang finster wie die Nacht, die draussen die Wälder zierte.
"Du kennst ihn seit wenigen Tagen, während ich beinahe mein Leben an seiner Seite bin." Dann verstummte sie ruckartig.
"Was, hast du nichts mehr zu sagen?", giftete er sie an.
"Ruhe!", befahl sie im Flüsterton, packte ihn an der Taille und hastete so leise davon, dass er sich fragte, ob sie bloss ein Geist sei. Sie zog ihn mit solch überzeugender Leichtigkeit mit, er wollte selbst glauben, eine Feder zu sein.
Als sie ihn dann in das Krankenzimmer schmiss, beschwerte er sich bloss mit einem: "Hey!" Dann war sie auch schon verschwunden. Bloss die zuschwingende Türe erinnerte an den Vorfall von gerade eben.

"Aurora?" Gordon stand ihr verwirrt gegenüber. "Dir ist bewusst, es herrscht Nachtruhe?" Sie nickte ganz schell. "Wieso bist du dann... Hier?" Irritiert fuhr er sich durch das bernsteinfarbene Haar.
"Ich... Habe...", sie zögerte, ihr viel keine gute Lüge ein, "Mir Sorgen um den Neuen gemacht. Ich wollte nachsehen, aber die Türe ist ja blockiert." Mit einer abwinkenden Handbewegung machte sie sich bereits auf den Weg in ihr Zimmer.
"Okay", kam es vollkommen verständnislos zurück. "Schlaf gut, immerhin hast ja du Morgen die Nachtwache!", fügte er dann im Flüsterton an.
Sie zuckte zusammen bei seinen Worten. Nun hatte sie wohl ein Problem.

Geräuschlos zog sie sich in ihr Zimmer zurück, wo sie erst einmal im Schneidersitz aufs Bett sass und abwartete. Als sie Gordons Schritte nicht mehr vernahm, verliess sie den heimeligen Raum, um vor das Krankenzimmer zu stehen. Es dauerte bloss wenige Sekunden, bis sie sich unauffällig öffnete und der Zwerg sich herausschlich, wobei er im nächsten Moment in sie hineinlief.
"Aua!", entwich es ihm, sodass er noch einen zurückhaltenden Schlag auf den Hinterkopf kassierte. "Was soll der Mist?", fuhr er sie an, während seine Hand über die schmerzende Stelle rieb.
"Wieso?", war das einzige Wort, das sie von sich gab. Einige Herzschläge lang lieferten sie sich ein unerbittliches Blickduell, wobei er sogar den Zwei-Irritierend-Unterschiedliche-Augen-Trumpf ausspielte, indem er sein Haar aus dem Gesicht strich.
Schlussendlich brachte es ihm auch nichts. Aurora besass Erfahrung in derartigen Wettkämpfen, die sich auf das ganze Rudel bezog. Selbst mit Lynhart hatte sie sich gemessen, wobei er zugegebenermassen in den meisten Fällen gewann. Bloss Leith, ja, Leith, er verlor nie. Aber sie versuchte es gar nicht erst, denn sie stellte seine Autorität bloss ungern in Frage.

"Du hast gewonnen." Kai klang zerknirscht bei den Worten.
"Hab ich auch nicht anders erwartet."
"Du hälst gar keine Nachtwache", merkte er ganz nebensächlich an.
"Kleiner Wicht", motzte sie. Dabei blieben schon während des ganzen Gespräches ihre Augenbrauen zusammengekniffen.
"Also, was tust du hier?", stellte er die bedeutende Frage.
"Weiss Lilian von deinen nächtlichen Abenteuern?"
"Weiss Leith, dass du dich rumschleichst?"
Der Punkt ging zugegebenermassen an ihn.
"Dir ist bewusst, dass er es auch dir nicht erlauben würde?" Nun stahl sich ein Grinsen in ihr Gesicht. Sie sah zwar bloss drei Viertel seines Antlitzes, weil da wieder eine Strähne über seinem Gesicht lampte und somit alles rechts bis zur Nasespitze verborgen blieb, jedoch genügte das bereits, um seine Nervosität herauszulesen.
"Wir sollten demfall beide das Geheimnis des anderen bewahren?", schlug er dann mit unschuldiger Stimme vor und klimperte talentiert mit dem dunklen Wimpernkranz. Sie blieb noch stur, stemmte die Arme in die Hüfte.
"Oder willst du ihm erklären, wie du mich überhaupt gefunden hast um...", er unterbrach sich rasch, um die Zeit auf der Wanduhr im Gang abzuchecken, "jetzt bereits beinahe zwei Uhr nachts?" Die Drohung in seiner Tonlage war nicht zu überhören. Selbst wenn Aurora sich keinesfalls von seinem mickrigen Stimmchen, das bei dem Rumgequieke wahrscheinlich noch nicht einmal den Stimmbruch hinter sich hatte, einschüchtern liess, so musste sie auf den Deal eingehen. Ihre Unbeliebtheit im Rudel würde nach solchen Gerüchten sowieso bloss steigen.
"Abgemacht", knurrte sie missbilligend. Trotzdem gab sie ihm die Hand zum einschlagen, was unter äusserst stillen Verhältnissen geschah.
"Hör auf, die Stirn zu runzeln. Ich bin mir sicher, Leith findet das nicht hübsch", fügte Kai giftig an, ehe er sich ins Krankenzimmer verkroch und die Türe hinter ihm zuschwang.
Doch ehe sie sich schliessen konnte, packte sie das Ding und blickte durch den engen Türspalt hinein.
Er nahm nur ihre Silhouette war, deren bedrohliche, gelbe Augen ihn anfunkelten.
"Hüte deine Zunge, wäre äusserst schade, wenn du sie verschluckst..." Mit diesen Worten wurde die Türe leise geschlossen.

Hallöchen :D ich wollte nur mal kurz danke sagen, wir haben schon über 140 Reads \(^.^)/

Er heulte den Mond anWo Geschichten leben. Entdecke jetzt