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Daniel und Marlon saßen beide auf dem Gehweg vor dem Friedhof und starrten vor sich hin, beide sahen ziemlich mitgenommen aus. Daniel war der Erste, der nach einer Weile wieder sprach.

"Und was jetzt?" seine Stimme war dünn und kaum mehr als ein flüstern. "Zur Polizei?"

Marlon schüttelte den Kopf.

"Dazu ist es zu spät".

Daniel nickte stumm als ob er dies erwartet hätte. Sein Freund überlegte laut weiter "Ich denke wir müssen nachsehen ob sie noch da ist."

Daniel schaute zu ihm "Wie meinst du das, ob sie noch da ist? Wir haben sie beide vorhin noch gesehen!"

Marlon blickte seinem Freund direkt in die Augen. "Daniel, ich glaube nicht das wir eine lebende Person gesehen haben".

Daniel schwirrte der Kopf, als er sich auf sein Bett warf und sein Gesicht ins Kissen grub. Er war gerade erst Heim gekommen und hatte sich sofort auf sein Zimmer verzogen. Er musste jetzt alleine sein und seine Gedanken sortieren.

Marlon schloss die Wohnungstür auf, seine Mutter hatte ihn gerade eben abgesetzt und war nochmal weg gefahren. Er war müde und fühlte sich elend. Sein Verstand versuchte noch immer das Gesehene zu verarbeiten. Erst jetzt wurde auch Marlon bewusst das er sie schon einmal gesehen hatte, nämlich auf dem Schulhof. Und noch etwas schlich sich in seine Gedanken. Vielleicht war Viccys Unfall gar kein Unfall, denn sie war schließlich auch dabei gewesen, als es passierte.

Daniel blickte aus seinem Dachfenster aber alles was er sah war eine weiße Schneeschicht. Er fand immerhin die Kraft sich um zu ziehen, nur um mit seinen Gedanken erneut auf dem Bett zu landen.

Wieso?

Wie konnte nur sowas geschehen?

Die Fragen liefen in einer Dauerschleife durch seinen Kopf ohne jemals eine Antwort zu finden.

Marlon beschloss eine heiße Dusche zu nehmen, um den Kopf wieder frei zu bekommen. Es brachte nur zur Hälfte etwas, seine körperliche Anspannung lockerte sich etwas aber nicht seine Nerven. Eine Weile stand er nur da und ließ das heiße Wasser auf sich nieder brasseln. Marlon drehte das Wasser wieder zu und stieg aus der Dusche ohne sich ab zutrocknen ging er hinüber zum Waschbecken. Der Dampf hatte den Spiegel beschlagen und er wischte mit seiner Handfläche darüber.

Als Marlon in den Spiegel blickte sah nicht nur er sich darin. Das Mädchen stand hinter ihm und schaute ihn mit hasserfüllten Augen durch den Spiegel hindurch an. Ein Schrei kam aus Marlons Kehle und er drehte sich reflexartig um. Niemand. Außer ihm war keiner in dem kleinen Badezimmer. Sein Herzschlag hatte sich beschleunigt und auch seine Atmumg ging stoßweise.

Als er gerade meinte sich einigermaßen wieder gefasst zu haben sah er wie sich die Türklinke ganz langsam nach unten bewegte.

"Mum?" fragte Marlon verunsichert. Die Tür wurde aufgestoßen. Zuerst konnte er nichts erkennen außer der dunkle Flur. Noch immer stand er verunsichert am Waschbecken und wusste nicht was tun. Das Erste was Marlon von ihr sah waren ihre Augen, die sich langsam aus der Dunkelheit hervor hoben. Nach und nach wurde immer mehr von ihr sichtbar.

"Geh weg!" schrie Marlon sie an und ein Schluchzer war zu hören."Es tut mir leid! Hörst du!? Es tut mir leid!"

Sie grinste ihn nur verächtlich an.

Das Mädchen machte eine schnelle Bewegung nach vorne und streckte dabei ihre Hände nach Marlon aus. Dieser wich erschrocken nach hinten aus.

Es ging alles sehr schnell und doch kam es Marlon persönlich wie in  Zeitlupe vor. Er rutschte mit seinen nackten Füßen auf der Wasserlache aus, die sich unter ihm gebildet hatte. Seine Füße flogen nach vorne seine Kopf nach hinten. Sein Hinterkopf landete hart auf dem Badewannenrand.

Um Marlon herum wurde es dunkel. Für immer.

Das Mädchen stand noch eine Weile da und beobachtete wie Marlons Blut sich langsam auf dem weißen Fußboden ausbreitete, bis sie schließlich wieder mit der Dunkelheit verschmolz.

Daniel wachte schweißgebadet aus seinem unruhigen Schlaf auf. Die Uhr zeigte kurz vor Mitternacht.

"Ich kann nicht warten bis Morgen, ich muss es jetzt wissen." mit dem Gedanke schlich er, ohne Licht, nach unten. Er schlüpfte barfuß in seine Schuhe und ging mit nichts als einer Jogginghose, T-shirt und eine Taschenlampe nach draußen.

Eigentlich hatten Daniel und Marlon ausgemacht morgen gemeinsam in dem Wald zu gehen, doch Daniel hatte keine ruhige Minute mehr seit dem Gespräch.

Der Schnee knirschte unter seinen Schritten und sein Atem bildete kleine Wölkchen.

Er war auf dem Weg zur Hütte.

Im WaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt