In der Sommerhitze Teil 10 - Lügen und Versprechen

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Jako sah seinen Marti an und wusste nicht, was er davon jetzt halten sollte.
Er nahm ihn beim Handgelenk und zog ihn mit sich in sein Zimmer. Setzte sich mit ihm aufs Bett.

„So, Marti, nun raus mit der Sprache. Was ist los?"
Über Martis Herz spannte sich ein Netz aus eiskalten Fäden.
„Ach Jako. Ich hab meinen Eltern noch nichts erzählt von uns. Um genau zu sein, wissen sie noch nicht mal, dass ich bisexuell bin."
Jako schnappte nach Luft.

„Aber Marti, mir hast du doch gesagt, du hättest ihnen alles erzählt ..."
„Ich weiß. Ich fürchte, ich habe dich belogen."
Marti saß da wie ein Häuflein Elend.
Jako wusste gerade nicht, was er tun sollte.
Er stand auf und verließ das Zimmer. Ging in die Küche und steckte sich dort eine Zigarette an.
Das tat er sonst nie, aber er war gerade völlig durch den Wind.

Einige Minuten später trat er wieder ins Zimmer.
Marti saß noch immer auf dem Bett, die Beine eng an den Körper gezogen und mit den Armen umschlossen.
Er sah so verunsichert aus, dass Jako klar wurde: ich muss jetzt der Starke sein, und diese Kiste aus dem Dreck ziehen. Marti packt das gerade nicht.
Dann fiel ihm auf, dass er nicht eine Sekunde an ihrer Beziehung zweifelte.
Er WÜRDE die Kiste aus dem Dreck holen.
Für sie beide.
Er setzte sich ebenfalls aufs Bett, mit überschlagenen Beinen, Marti gegenüber.

„So, Marti, jetzt erklär mir einfach, warum?"
„Weil ich ein Vollidiot bin. Als ich dir gesagt habe, ich hätte es ihnen erzählt, wollte ich es auch tun. Hab meine Mutter extra angerufen. Aber das Gespräch verlief unangenehm. Weißt du, meine Eltern sind mit der ganzen YouTube Sache und so nicht glücklich. Sie hätten mich lieber in einem – wie sie es nennen – anständigen Beruf gesehen."
Er schluckte.
„Ich hab dann aufgelegt ohne es ihnen zu sagen. Und irgendwie ... immer, wenn ich dann mit ihnen telefoniert habe ... irgendwie haben sie mich immer wegen so was genervt, und es hat nie gepasst. Ich wollte es ihnen sagen, aber ..."
Martis Sache war es nicht, herumzureden und sich was vorzumachen.
„Auf den Punkt gebracht bin ich einfach ein Feigling. Ich kann es nicht entschuldigen. Ich hab meine Eltern lieb, und ich verstehe ja sogar ihre Gründe für ihr Generve. Sie meinen es gut auf ihre Weise. Um so mieser von mir, es immer wieder aufzuschieben."

Jako konnte das alles schon irgendwie nachvollziehen. Das war auch gar nicht das Problem, aber ...
verdammt noch mal ...
Marti schaute ihn regelrecht verzweifelt an.
„Jako, bitte, ich bin ein Riesenidiot, und ich habe verdient, dass du jetzt sauer bist, aber bitte... verzeih mir."

„Marti. Ja, ich bin sauer. Stinksauer sogar. Und zwar nicht, weil du ihnen nichts erzählt hast. Ich kann das sogar nachvollziehen. Ich kenne zwar deine Eltern noch nicht, aber ich kann mich doch ganz gut in eine solche Situation hinein versetzen."
Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
„Ich bin stinkwütend, und auch verletzt, weil du mich angelogen hast. Angelogen! Meine Fresse!"
Jako war laut geworden.
Er war wirklich aufgebracht.
Ganz ruhig, sagte er sich selbst. So lösen wir das Problem nicht.
Er sah Martis verzweifelte Augen und stellte fest, wie unendlich er diesen Kerl liebte. Jetzt und hier und in dieser Situation. Gut.

Marti hatte Angst. Er wusste nicht, wie groß der Schaden war, den er hier angerichtet hatte. Würde vielleicht daran etwas kaputtgehen? Oh nein, bitte nicht ... bitte nicht ... Das eiskalte Netz zog sich weiter zusammen.

„Okay," sagte Jako und atmete tief durch. „Ich erinnere mich, dass du letztens erst gesagt hast, es würde nicht so bald wieder nötig sein, dich zu bestrafen. Wie es aussieht, hast du dich damit viel zu weit aus dem Fenster gelehnt. Ich werde dich für diese Sache bestrafen müssen, und zwar streng bestrafen. Alleine deswegen, damit so was in Zukunft nicht mehr vorkommt."
In Zukunft ... drang es in Martins Hirn vor. Hatte Jako von Zukunft gesprochen?
Ihm fiel ein Stein vom Herzen.
Alles andere konnte er hinbekommen. Wenn er nur Jako hatte.

In dem Moment spürte er, wie Jako sich zu ihm beugte und ihn in den Arm nahm.
„Ja, ich bin stinksauer. Aber ich liebe dich, und ich verzeihe dir."
Marti spürte, wie ihm vor Erleichterung die Tränen aus den Augen rollten. Das Netz um sein Herz zersprang in winzige Stücke.
„Über deine Strafe unterhalten wir uns, wenn das alles durchgestanden ist. Jetzt müssen wir erst mal überlegen, wie wie wir das am besten hinbekommen."
Marti drückte sich ganz fest an ihn und war in diesem Augenblick unendlich dankbar.

„Also, wann kommen sie? Und wie?"
„Nächsten Samstag. Mit dem Zug. Sie sind gegen Mittag hier."
„Gut, dann holen wir sie gemeinsam vom Bahnhof ab."
Jako überlegte einen Augenblick.
„Marti ... du ... willst es Ihnen doch sagen, oder?"
Marti sah ihn erstaunt an.
„Ja", sagte er. „Vielleicht ist es sogar besser. Ich meine, das persönlich zu tun, und nicht am Telefon."
„Okay, Marti, ich schlage also vor, wir holen sie gemeinsam ab, ich komme mit als Freund und Mitbewohner. Und wenn sie dann hier sind und wir gemütlich bei Kaffee und Kuchen sitzen, dann sagen wir es ihnen gemeinsam, dass wir zusammen sind. Felix und Frodo könnten auch dabei sein, dann haben wir Unterstützung. Was hältst du davon?"
Marti schniefte.
„Ich glaube, das klingt gut, Jako."

„Na also", sagte Jako.
„Das kann so schlimm nicht werden. Sie sind deine Eltern und lieben dich. Sie werden es verstehen. Und falls nicht ... na dann werden sie trotzdem damit leben müssen."
„Ja", sagte Marti, „Denn uns kann nichts trennen, richtig?"
„Genau", sagte Jako. „Nichts auf der Welt."
Und er küsste Marti, erst sanft, dann verlangend und drängend. Seine Zuge stupste gegen Martis Lippen, wurde eingelassen und spielte mit Martis Zunge.
Ein langer, langer, inniger Kuss.
Die letzten winzigen Krümel des Netzes schmolzen in der Wärme dieses Kusses.

„Jako?"
„Ja?"
„Können wir nachher mit deinen Eltern skypen? Bitte?"
Jako schaute ihn erstaunt an ... dann nickte er.
Er hatte seinem Papa das mit dem Skypen beigebracht, und freute sich ziemlich, dass der das so gut hinbekam. Und über Skype hatten seine Eltern inzwischen auch ihren zukünftigen Schwiegersohn kennengelernt. Sie mochten ihn und Marti mochte sie.
„Bitte, ich möchte mich gerne mit ihnen unterhalten. Sie sind so lieb ... ich würde ihnen gerne mein Herz ausschütten und vielleicht einen Rat bekommen ... was meinst du? Außerdem macht es Spaß, mit ihnen zu reden, sie sind so locker und lustig."
Jako freute sich wie bolle. Ja, seine Eltern waren toll, das fand er auch selber.
„Na ja, ich weiß zwar nicht, ob sie dir wirklich raten können. Aber ich glaube, es würde dir gut tun, mit ihnen zu reden. Also warum nicht? So gegen sieben ruf ich an und schaue ob sie da sind, okay?"
Marti nickte.

Jako nahm ihn noch mal in den Arm.
„Marti, egal was kommt – zusammen schaffen wir das. Aber du darfst mich nie, nie wieder belügen. Okay?"
„Ja", sagte Marti.
„Jako, das verspreche ich dir."

Und es war ihm tiefster Ernst damit.

Es war Sommer, und das mitten in Berlin. Denkbar schlechte Bedingungen für tanzende Feen im Mondlicht und artverwandte Wesen. Aber hätte es hier eines gegeben, und noch dazu eines, das in die Zukunft schauen gekonnt hätte, dann hätte es gesehen, dass Marti sein Versprechen für den Rest seines Lebens halten würde.

Nimm mein Herz und führe michWo Geschichten leben. Entdecke jetzt