Als dieses Mädchen mich fragte, ob ich auf ihre Party kommen wollte, setzte mein Herz einen Schlag aus. Sie war die beste Freundin des beliebtesten Mädchens meines Jahrgangs und hing immer mit den Footballspielern ab, was uns natürlich Welten voneinander trennte. So war es nur logisch, dass ich skeptisch, verwirrt und überrascht war. Sie konnte doch nicht mich meinen, oder? Ich drehte mich sogar um, um zu sehen, ob hinter mir jemand stand, den sie meinen könnte, doch sie lachte nur und wiederholte ihre Einladung. Dümmlich stotternd sagte ich zu. Sie lächelte, sagte bis bald und ging wieder zu ihren Freundinnen. Und auch, wenn mir selbst in diesem Moment klarer als klar war, dass sie mich nicht bloß aus Nettigkeit eingeladen hatte, verspürte ich dennoch ein seltsames Hochgefühl. Ich wurde ergriffen von der vibrierenden Aufregung vor einer Party. Nicht, dass ich in meinem Leben schon jemals dieses Gefühl hatte bis zu diesem Moment, aber meine Bücher konnten mir davon Welten berichten. Ich war wie im Rausch. Nach dem Unterricht beeilte ich mich, nach Hause zu kommen, lehnte jedwedes Essen ab und schloss mich in meinem Zimmer ein. Was würde ich anziehen? Ich hatte nichts, was meine Altersgenossen als cool sehen würden. Ich bekam fast eine Krise, als ich begann, meinen Kleiderschrank auszuräumen und nach etwas Tragbarem zu suchen. Alte Relikte aus der Zeit, als ich meine Interessen noch gerne sichtbar an meinem Körper trug, mischten sich mit neuen Bundhosen und Herrenhemden. Ich war, gelinde gesagt, am Arsch. Ich bekam dadurch sogar fast ein Burnout, so sehr stresste mich die prekäre Kleidersituation. Ich überlegte, ob ich einfach nicht hingehen sollte. War doch kein großes Ding. Andererseits würde das vermutlich die erste und einzige Party sein, bei der ich seit meinen Kindergartentagen dabei sein durfte. Ein Plan musste her. Nach einigen Momenten des Abwägens schlich ich in das Schlafzimmer meiner Eltern und plünderte den Kleiderschrank meines Vaters. Und wenn ich plündern sage, meine ich, dass ich mir leise und unauffällig zwei Kleidungsstücke mopste und hoffte, dass niemand es bemerken würde. Mein Vater und ich hatten ungefähr die gleiche Statur, weshalb es kein Problem war, mir seine Sachen zu borgen. Ich habe ihn sogar mal eines meiner T-Shirts tragen sehen, ein unmissverständliches Zeichen, dass besagtes T-Shirt in den Müll wandern musste. Selbst ich als absoluter Außenseiter der Schulgesellschaft wusste, dass es klar ging, sich Kleidung von seinen Eltern auszuborgen, aber umgekehrt war es ein absolutes No-Go. Zurück in meinem Zimmer zog ich meine Beute an, gab noch Socken und Gürtel von mir dazu, und begutachtete dann mein Werk. Und naja, was soll ich sagen, ich war noch immer hässlich, aber zumindest gut gekleidet. Ein grauer Pullover täuschte ein wenig darüber hinweg, dass meine Gliedmaßen im Vergleich zu meinem Oberkörper abartig lang waren, eine Jeans verlieh mir dieses spezielle Flair von Coolness und Arroganz. Ich versuchte noch, Kontaktlinsen in meine Augen zu bekommen, doch die gingen gleich mit wasserfallartigen Tränensturzbächen in die Offensive. So wurde es zum Schluss doch die Brille. Ich sprühte mich reichlich mit Deo ein, als Jugendlicher denkt man ja, Deo funktioniert nur dosenweise, und danach war ich bereit. Blöd nur, dass es noch nicht spät genug war. Das Mädchen hatte gesagt, ihre Party würde um neun anfangen. Wäre ich in diesem Moment zur U-Bahnstation gegangen, wäre ich wahrscheinlich pünktlich auf die Minute gekommen. Also musste ich noch etwas warten. Ich konnte nicht stillsitzen. Ich lief eine richtige Kerbe in meinen Zimmerboden, während ich rastlos auf und ab tigerte. Ich versuchte, mich zu entspannen, aber es wollte mir ums Verrecken nicht gelingen. Meine Gedanken rasten. Was würde das für eine Party sein? Wohl kaum eine, wie meine Eltern sie oft mit ihren Freunden feierten, wo gegessen und anschließend bei ein oder zwei Gläschen Wein über aktuelles politisches Weltgeschehen diskutiert wurde. Nein, das würde eine Party von Jugendlichen sein, wie man sie aus Film und Fernsehen kennt: trommelfellsprengende Musik, hormongesteuerte Altersgenossen, und massenhaft Alkohol. Ein Gefühl ergriff Besitz von mir, es prickelte auf meiner Haut, raste durch meinen Körper. Heute, sagte ich mir, heute würde sich alles ändern. Heute Abend würde mein Leben als Außenseiter Jack Flanders enden. Wie falsch ich doch lag, obwohl ich gleichzeitig so Recht hatte. Um Punkt neun Uhr hielt ich es nicht mehr aus und teilte meinen Eltern mit, dass ich auf eine kleine Feier bei Freunden gehen würde. Ich glaube, meine Mutter hatte sogar Tränen in den Augen, so sehr freute sie diese Nachricht. Mein Vater gab mir eine unerwartete und kurze Umarmung und danach durfte ich gehen. Ich musste mich richtig zurückhalten, nicht zur Station zu laufen. Ich wollte endlich zu dieser Party! Das Prickeln auf meiner Haut wurde immer stärker, ich hatte bald das Gefühl, als würde ich auf Wolken schweben. Die U-Bahn fuhr mir viel zu langsam, die anderen Fahrgäste waren für meinen Geschmack viel zu unaufgeregt. Wussten sie denn nicht, dass heute ein weltenbewegendes Ereignis bevorstand? Jack Flanders würde ab diesem Abend offiziell zu den coolen Leuten gehören. Allein der Gedanke war pures Endorphin in meinen Adern. Als ich ausstieg und mich auf den Weg zu der Adresse machte, die das Mädchen mir gegeben hat, klopfte mein Herz bereits wie wild. Mein Gang war beschwingt, ich war der König der Welt. An ihrem Wohnkomplex angekommen, hörte ich bereits im Korridor die Bässe wummern. Ihre Nachbarn mussten entweder wirklich tolerant oder taub gewesen sein. Als ich an der Tür klingelte, zitterten meine Hände, meine Knie wurden weich. Oh Gott, es passiert wirklich, schoss mir durch den Kopf, als mich das Mädchen, das mich eingeladen hatte, einließ. Und ich hatte mir nicht zu viel versprochen: Die Musik war laut, die Leute blockierten die ganze Wohnung, und jeder hatte einen Plastikbecher Alkohol in der Hand. Naja, außer diejenigen, die gleich die ganze Flasche genommen hatten. Ich erwartete, dass die Gastgeberin wieder im Gewusel verschwinden würde, doch stattdessen griff sie nach meiner Hand und zog mich mit. Wenn mein Herz zuvor schon schnell geschlagen hatte, dann ging es jetzt in den Hyperspeed. Ein Mädchen. Hielt meine Hand. Freiwillig. Und sie war nicht verwandt mit mir. Damals war das der Höhepunkt in meiner Geschichte des körperlichen Kontakts mit Mädchen, und war ich vorher schon beschwingt, so war ich nun beflügelt. So merkte ich auch nicht, dass sie mich an die Bar zog und uns bereits zwei Becher mit einer klaren Flüssigkeit füllte. Sie gab mir einen davon und schrie mir über den Lärm der Musik hinweg zu: „Cheers! Lass krachen, Jack!" Danach kippte sie den Inhalt ihres Bechers auf Ex weg. Und in diesem Moment traf ich eine der beschissensten Entscheidungen, die ich diesen Abend hätte treffen können: Ich folgte ihrem Beispiel. Bis dahin hatte ich noch nie Alkohol getrunken, außer an Silvester mal an Vaters Champagnerglas nippen, aber noch nie härtere Sachen. Ich erlebte den Schock meines Lebens, als sich der Wodka durch meine Speiseröhre fräste und eine brennende Wärme in meinem Inneren hinterließ. Ich wollte am liebsten kotzen, doch die Gastgeberin lächelte mir zu und fragte, ob ich noch mehr wolle. So widerstand ich dem Drang, den Teppichboden zu versauen und nickte todesmutig. Nach dem dritten oder vierten Becher war die Wärme nicht länger brennend, sondern angenehm. Danach hörte ich auf zu zählen. Als mich die Gastgeberin auf die Füße zog, schwankte jedenfalls schon alles etwas. Wie auf einem Boot schunkelte die Wohnung hin und her, die tanzenden, knutschenden, saufenden Gäste schienen davon unbeeindruckt. Das Mädchen nahm meine Hand und bugsierte uns durch die Menge in ein Zimmer. Ich kann mich nicht erinnern, welches es war, ob ihres oder das ihrer Eltern oder ein anderes, jedenfalls gab es ein Bett und darauf ließ ich mich fallen. Dieses Zimmer wankte weniger und es war ruhiger, die Musik nur ein entferntes Dröhnen. Das Mädchen setzte sich neben mich und legte ihre Hand auf mein Knie. Ob ich schon einmal jemanden geküsst hätte, fragte sie. Mein von Alkohol benebeltes Gehirn brauchte etwas, um das Gesagte zu verarbeiten, doch dann schüttelte ich vorsichtig den Kopf. Dann sei heute mein Glückstag, meinte sie, und drückte ihre Lippen auf meine. Wieder verstrichen einige Sekunden, bis ich diesen Moment vollends realisierte, doch danach war ich innerlich am Ausflippen. Sie. Küsste. Mich. Ich, Jack Flanders, Außenseiter einer ganzen Generation, wurde von einem hübschen, beliebten Mädchen geküsst. Wie unglaublich war das denn? Ich tat mein Bestes, um sie auch zu küssen, aber mein Gehirn sendete nicht ganz die richtigen Signale an meine Lippen. So wurde es mehr ein Auf- und Zumachen meines Mundes als ein Kuss, aber das störte mich nicht. Ich war im siebten Himmel. Plötzlich wanderte ihre Hand zum Saum meines Pullis und sie löste sich von mir. Sie hätte mich lieber ohne Kleidung, sagte sie und half mir dabei, ihn loszuwerden. Kurz fühlte ich mich nackt und bloßgestellt, doch dann küsste sie mich weiter und es war mir wieder egal. Mein Herz klopfte wie wild, es musste immer mal wieder einen Schlag aussetzen, um überhaupt hinterherzukommen. Vorsichtig öffnete sie den Knopf meiner Jeans und zog den Reißverschluss auf. Zum ersten Mal wurde ich stutzig. Das ging mir dann doch zu schnell. Und irgendetwas fühlte sich falsch an, doch mein rationales Denken hatte sich durch Alkohol und Endorphine erfolgreich ins Delirium abgeschossen und konnte nicht ausmachen, was mich so störte. Bitte, hauchte derweil die Gastgeberin, sie wolle mich unbedingt. Verwirrt, aber auch vorfreudig, ließ ich sie auch noch meine Jeans ausziehen. Sie begutachtete mich von oben bis unten, drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Lippen und meinte, ich solle kurz hier warten, sie hole Kondome. Damit ging sie aus dem Raum, ließ die Tür aber einen Spalt offen. Und ich saß da und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Kondome? Ich begann, etwas auszunüchtern. Wofür denn Kondome? Sie wollte doch nicht... jetzt sofort? Mein Gehirn war restlos überfordert. Es muss sich vor lauter Überanstrengung einfach ausgeschalten haben, denn nur so kann ich mir meine nächste Handlung erklären: Ich stand immer noch in Unterwäsche auf und beschloss, einen Blick hinauszuwerfen. Wieso auch immer ich das für eine gute Idee hielt. Ich ging also zur Tür, öffnete sie etwas und Zack! Schon wurde ich überzogen mit einer klebrigen, weißen Paste. Ich atmete scharf ein, was natürlich ein Fehler war, denn schon hatte ich den chemischen Geschmack im Mund. Ich wischte mir das Zeug, das sich als weiße Farbe entpuppte, aus den Augen und von der Brille, nur, um gleich danach wieder mit etwas überzogen zu werden. Diesmal waren es Federn, die mir entgegenflogen und an der weißen Farbe hafteten. Jetzt hörte ich auch das Gelächter. In diesem Moment war ich schlagartig nüchtern, zumindest fühlte es sich so an. Das Mädchen, das mir zuvor noch versichert hatte, mich unbedingt zu wollen, stand neben einem der Footballspieler, der einen leeren Eimer in der Hand hielt, und sie lachten mich aus. Alle lachten, um genau zu sein. Sogar die Musik hatte man extra für dieses Spektakel leiser gedreht. Und alle amüsierten sich prächtig. Als ich nichts anderes machte als dazustehen und mich auslachen zu lassen, fragte die Gastgeberin, was denn los sei. Ob mich das etwa überraschte. Ob ich wirklich geglaubt hatte, dass sie mich eingeladen hatte, weil sie mich mochte. Der Footballspieler klinkte sich ein. Als ob mich irgendwer mögen könnte. Ich sei nur ein Außenseiter, ein Niemand. Jemand, den man nur verachten könne. Es folgten sicher noch mehrere Beleidigungen, doch die hörte ich schon nicht mehr. Ich bahnte mir einen Weg durch die Menschenmasse, oder eher, sie machten mir bereitwillig Platz, weil sie nichts von der Farbe abbekommen wollten. Meine Kleidung ließ ich liegen. Ich stürmte aus der Wohnung, das Gelächter im Rücken, und lief und lief in irgendeine Richtung, bloß weg von hier. Ich lief, soweit mich meine nackten Füße trugen, und blieb irgendwann notgedrungen stehen, da ein schmerzhaftes Seitenstechen mich quälte und anhalten ließ. Die Demütigung saß mir noch in den Knochen, doch langsam wurde mir etwas Fundamentales klar: Es war mitten in der Nacht, es war kalt und ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Ich sah mich um nach Hinweisen, und bemerkte, dass ich vor einem riesigen, dunklen Schaufenster stand. Meine Silhouette war durch den Schein der Straßenlaterne gut zu erkennen. Große, dunkle Augen starrten mich durch eine verschmierte Brille hinweg an. Die Farbe war getrocknet, ich hinterließ Federn, wo ich ging und stand. Und in diesem Moment begann ich zu verstehen, warum niemand etwas mit mir zu tun haben wollte. Ich sah den Spießer, den Langweiler, den Durchgeknallten, über den hinter vorgehaltener Hand gelästert wird. Ich sah den echten Jack Flanders, und ich hasste ihn. Auf einmal eine laute Stimme hinter mir. Ob ich mich verlaufen hätte. Ich drehte mich um und sah ein Auto, das am Straßenrand stehengeblieben war, darin eine nett aussehende Dame. Als ich nickte, bot sie mir eine Heimfahrt an. Gebrochen und gedemütigt stieg ich ein. Und das war der Anfang vom Ende.
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Das Abenteuer des Jack Flanders
AdventureJack Flanders ist 16 Jahre alt, Streber und sterbenslangweilig. Alles an ihm, angefangen von seinem Namen bis hin zu seinem Aussehen, ist stinknormal. Bis sich eines Tages alles verändert. Klingt wie jede andere Geschichte über irgendeinen besondere...