Das Mädchen trat ein. Warme, angenehme Luft, die der Kamin in der Ecke verströmte, kam ihr entgegen. Die Beziehung zwischen der Großmutter und ihr war weitaus kühler und distanzierter. Ein Mädchen von zwölf vollen Jahren wie Gweneth es war, braucht Geborgenheit und Zuneigung, die sie hier leider vergebens suchte.
„Wo warst du so lange? Und wie siehst du überhaupt aus? Habe ich dir nicht gesagt, dass du immer vor dem Regen heimkommen sollst?"
Mit wackligen Beinen, jedoch mit verbissenem Gesichtsausdruck, stand die Großmutter auf.
„Jetzt muss dein Kleid wieder gewaschen werden, so verschmiert ist es. Und du weißt genau, dass du kein zweites hast."
Die Worte ihrer Großmutter erreichten Gweneth nur langsam und gedämpft. Wie satt sie ihre Anschuldigungen und ihre Schimpfereien hatte, am liebsten würde sie sich in ihrer Schlafecke verkriechen, den verregneten Abend und ihre tyrannische Großmutter verschlafen.
„Hast du mich verstanden?"
Drohend hielt die Großmutter die Hand hoch. Ihr Blick war eiskalt und ihre Stimme emotionslos Gweneth gegenüber. So war sie immer. Seit sie das kleine Mädchen bei sich aufgenommen hatte. Manchmal fragte sich Gweneth, wie das alles wohl wäre, wenn ihre Eltern noch leben würden, sie mit ihnen in einer kleinen Hütte wohnen und sie, trotz der Armut die hier im Dorf herrschte, ein fast glückliches Leben führen könnte. Aber all diese Gedanken und Träume waren nutzlos. Sie brachten ihr die zu früh verstorbenen, geliebten Eltern nicht zurück und brachen ihr das Herz.
Eine Träne lief ihr die Wange hinab. Darauf folgte ein harter Schlag ins Gesicht.
„Weine nie wieder in meiner Gegenwart und höre mir endlich zu."
Die Großmutter hatte es getan, sie hatte sie wieder geschlagen.
„Zieh dir deinen Lumpen aus und leg dir eine Decke um. Wasch es und häng es auf. Das Kleid brauchst du morgen, wenn du mit den anderen auf den Markt gehst."
Mit ihrem dünnen Arm wies die alte Frau nach draußen in Richtung Waschtonne. Gweneth blieb nichts anderes übrig als sich ihr zu fügen, sie zog das Kleid aus, warf sich eine Decke um und ging nach draußen.
Der Regen wurde zu einem steten Nieseln, doch lag die Waschtonne überdacht, sodass Gweneth dieses Mal nicht nass wurde.
Bis in die Abenddämmerung hinein wusch sie ihr Kleid und versuchte es von all den angetrockneten Schlammresten zu befreien. Danach folgte das schweigsame Essen bei Tisch sowie das Abräumen des Geschirrs ihrerseits. Als sie sich zum Schlafen in ihre Schlafecke zurückzog, wünschte sie der Großmutter höflichkeitshalber noch eine gute Nacht, obwohl sie wusste, dass keine Reaktion darauf erfolgen würde.
DU LIEST GERADE
Karvog Ilyum
Fantasy„Hast du schon gehört? Man erzählt, dass die Wilden aus den schwarzen Bergen auf dem Vormarsch sind." „Es heißt sie würden nach etwas Bestimmtem suchen, nach etwas Magischem." „Weiß man Genaueres? Ich dachte die Magie sei seit vielen Jahren erlos...