Karvog Ilyum

Kapitel 3

Der nächste Morgen erstrahlte im frühen Glanz. Letzte Regentropfen tummelten sich auf den Blättern der Bäume und schimmerten im Schein der Sonne. Gweneth stand früh auf, denn sie hatte mit den anderen noch einen weiten Weg vor sich bis zum Markt. Ihre Großmutter war zu alt und gebrechlich, also ging das kleine Mädchen mit den Erwachsenen mit. Es störte sie nicht einmal, sie war froh wenn sie den Tag mal nicht mit der Großmutter verbringen musste und sich ein wenig mit jemandem unterhalten konnte. Nachdem sie sich einen Laib Brot für unterwegs eingesteckt hatte, ging sie zur Dorfmitte. Von dort aus würde der Trupp Richtung Trymor wandern, der nächstgrößeren Stadt in der Umgebung. Einen halben Tag benötigten sie meist für den Weg dort hin und noch einmal so lange bis nach Narsar, dem Dorf in dem sie lebten, zurück. Der Pfad den sie gingen war steinig und uneben, gespickt mit wild wucherndem Gras. Gweneth hielt sich meist am Ende der Gruppe auf und lauschte den Erzählungen der Erwachsenen.

„Hast du schon gehört? Man erzählt, dass die Wilden aus den schwarzen Bergen auf dem Vormarsch sind." Der dickbäuchige Mann, der vor Gweneth ging, sprach mit einem schlaksig wirkenden Jüngling, dessen Haare fettig und strähnig auf seiner Stirn klebten. „Laut der alten Trude, die es von Melvin aus dem kleinen Nachbardorf hat, sollen sie sich mit dem Starken König des Grünen Landes verbündet haben. Es heißt sie würden nach etwas Bestimmtem suchen, nach etwas Magischem."

Geheimnisvoll senkte der dicke Mann seine Stimme. Sein Zuhörer zog gespannt die Augenbrauen hoch: „Weiß man Genaueres? Ich dachte die Magie sei seit vielen Jahren erloschen. Niemand hat seitdem einen Menschen mit magischen Fähigkeiten gesehen, geschweige denn davon gehört."

Gweneth ging nun fast neben den beiden, um ja kein Wort zu überhören. Magie hatte sie schon immer interessiert. Ein altes Buch, das sie noch von ihren Eltern besaß, handelte von uralten Geschichten über Magier, die Großes vollbracht hatten. Sie wünschte sich, dass all diese Geschichten wahr wären und sie ein Teil davon sein könnte. Doch war die Großmutter der Meinung und sie beharrte darauf, dass all das nur Humbug sei und nie auch nur etwas Magisches auf dieser Welt gelebt hätte.

„Genaueres? Schau dich doch um. Die Tage werden kürzer, die Nächte dunkler. Die Magie entzieht dem Ganzen ihr Leben, so erzählen es sich die Geschichtenerzähler und Gaukler auf den Marktplätzen. Und die Rede ist von immer mehr Folterungen und Hinrichtungen – nur weil die Geschichten der Magie wieder aufleben. Ich sage dir, das verheißt nichts Gutes. Im südlichen Land hat der Starke König seine Truppen einfallen lassen, Dörfer durchsucht, Menschen geknechtet und angebliche Magier getötet."

Mehrere Leute drehten sich bereits um und warfen dem dicken Mann verängstigte Blicke zu. Man lebte in Armut, das waren sie gewohnt. Sie wussten, was sie besaßen und auch, was sie alles nicht besaßen. Die Leute im Dorf waren vielleicht nicht zufrieden mit ihrem Leben, aber sie hatten den Alltag, ihre Kinder oder Großeltern, die sie jeden Tag aufs Neue pflegten, um die sie sich kümmern mussten. Unruhen oder sogar Aufstände waren etwas, das die Leute aus der Bahn warf. Etwas Unberechenbares. Für Gweneth klang das alles aufregend. Andere Kinder hätten vielleicht Angst, sie aber nicht. Solche Geschichten interessierten sie. Der Gedanke, dass so etwas auch in ihrem Dorf geschehen könnte, kam dem kleinen Mädchen nicht in den Sinn.

„Wollen wir den Teufel mal nicht beim Namen nennen! Das Ganze könnten Gerüchte sein, um uns kleine Meute im Griff zu behalten. Ich glaube nicht daran, dass das wahr sein soll."

Eine Frau vor den Herren mischte sich aufgebracht ein.

„Wir werden sehn, wir werden sehn."

Gedankenverloren sah der Jüngling gen Osten, über die weite Landschaft, Richtung Schwarzes Land.