Ich liege im Bett. Wir saßen da noch ziemlich lang, irgendwann hat sie mir ihre Handynummer gegeben, ihre Gitarre wieder eingepackt, sich verabschiedet, ist über die Leiter geklettert und in die Dunkelheit verschwunden. Dann war da nur noch ich. Nur noch ich, die Glitzerstadt und der Mond. Nach einiger Zeit hab ich noch eine Kippe aus der Schachtel genommen und war glücklich. Ich bin glücklich, weil ich etwas verstanden habe. Ich muss Platz machen. Lou ist nicht mehr hier und das bedeutet, ich muss das Kapitel beenden. Vielleicht bekomme ich sie auch nie mehr aus meinem Kopf, aber ich muss es wenigstens mit ihr da drin aushalten. Ich habe Amaljia natürlich schon geschrieben, nur hat sie noch nicht geantwortet und ich glaube das wird sie auch erst Morgen tun. Beziehungsweise heute, aber für mich ist der nächste Tag, erst nach dem Schlafen gehen.
Als ich aufwache, schaue ich direkt erwartungsvoll auf mein Handy, aber da ist nichts. Keine Nachricht von Amalija. Also werfe ich mein iPhone enttäuscht auf das Sofa, das gegenüber von meinem Bett, an der Wand steht. Ich frühstücke etwas, schreibe ein paar Dinge in meine Bücher und ziehe mich dann an. Später treffe ich mich mit Abdul und wir gehen zu Ed. Ich schaue alle 5 Minuten auf mein Handy und hoffe das sie mir geschrieben hat, aber sie tut es nicht. Ich weiß nicht mal wieso genau ich so sehr auf ihre Antwort warte, aber irgendetwas macht sie besonders. Irgendwas macht sie so interessant und irgendetwas vertreibt die bösen Geister, wenn ich mit ihr bin. Irgendwie habe ich in der ganzen Zeit, keine Sekunde an Lou gedacht und das macht mir Angst. Oder ein schlechtes Gefühl. Ich weiß nicht was ich fühlen oder denken soll und ich weiß auch nicht ob Lou überhaupt auch nur eine Sekunde an mich verschwendet.
Die Erde hat einen Radius von 6.371 km und das kommt mir als kleiner Mensch wohl ziemlich groß vor. Wahrscheinlich sogar so groß das ich es mir gar nicht so richtig vorstellen kann. Ungefähr die Entfernung von Berlin nach Toronto, aber was heißt das schon? Ist das jetzt weit weg, weil ich das so empfinde? Ist etwas groß, weil ich klein bin? Oder bin ich klein, weil ich mich klein fühle? Ist 150 Millionen Kilometer von hier, bis zu Sonne eine große Entfernung? Für unsere Galaxie wahrscheinlich nicht und vielleicht ist das alles für Lou nicht so riesig, wie für mich. Es gibt kein Groß und es gibt kein Klein, also lass mir den Moment, denn jetzt ist alles gleich und das ist gut so.
Und wie immer im Leben, kommen die Dinge anders als ich es erwartet hätte. Sie kommen ganz anders und mal wieder wie ein Schlag in die Fresse.
Mein Handy vibriert, ich sehe Amalija's Namen auf dem Display und freue mich.
Erstmal.
Sie schreibt, dass sie keinen Kontakt mit mir möchte, dass wir uns gestern nicht treffen hätten sollen und das ich am besten ihre Nummer löschen sollte.
Ich überlege kurz, mich zu zwicken , um sicherzugehen, dass das ganze hier nicht nur ein Traum oder so ist. Ich zwicke mich sogar wirklich, doch nach gefühlten 20 Minuten, in denen ich jetzt schon auf diese Nachricht schaue, fange ich an zu realisieren dass, das da wirklich steht. Ich fühle mich als hätte ich irgendetwas ganz blödes gemacht, etwas für das ich mich schämen sollte, oder etwas weswegen sie auf mich sauer sein könnte. Ich überlege wirklich lange, doch finde den Fehler einfach nicht. Ich versuche sie anzurufen, aber sie drückt mich weg und ich frage mich was mich daran eigentlich so verrückt macht, da ich sie ja erst seit gestern wirklich kenne. Ich schäme mich sogar wirklich, weil das an meinem Stolz kratzt und gleichzeitig fühle ich mich so unfassbar dumm, und zwar genau, weil es an meinem Stolz kratzt. Ich bin kein Typ, der jedes Wochenende 2 Weiber klarmacht, aber ich verstehe trotzdem nicht, wieso ich ihr jetzt auf einmal so egal bin. Wie kann sie gestern Abend nur bereuen? Ich ziehe mich an, um zu Ed zu gehen, vielleicht aber auch einfach weil ich mich ablenken möchte. Teenager zu sein, ist schon ganz schön verrückt, nicht wahr? Alle Fünf Minuten verändert sich alles und irgendwie auch überhaupt nichts. Falls ich das alles hier in 10 Jahren mal lesen sollte, würde ich mich selbst, höchstwahrscheinlich kein Stück nachvollziehen können. Als ich mich angezogen habe, esse ich noch etwas, rufe Ed an und sage ihm das ich in einer halben Stunde Abdul abhole und dann zu ihm komme. Meine Mutter rennt, wild gestikulierend, durch unser Haus und telefoniert mit ihren Freundinnen. Als ich ihr zurufe, dass ich jetzt gehe, winkt sie mir kurz zu, dreht sich wieder um und schreit weiter ins Telefon. Ich lasse die Tür hinter mir zufallen, ziehe mein Handy aus der Hosentasche und rufe Abdul an. Er sagt, dass ich mich mit ihm an der Bushaltestelle treffen soll, damit wir dann zusammen losfahren können. Als ich dort ankomme, werfe ich zweimal fünfzig Cent in den Fahrkartenautomat, nehme mir die Karte heraus und stecke das Restgeld ein. Abdul ist noch nicht hier, also setze ich mich ins Wartehaus und schaue auf mein Handy. Wie von selbst, tippe ich auf Amalija's Namen und lese ihre Nachrichten noch einmal. Es fühlt sich an, als würde sie nur einen Spaß machen, nur um wissen zu wollen wie ich reagieren würde. Ich warte darauf, dass sie das ganze auflöst und mir sagt, dass ihr gestern Abend auch sehr gefallen hat, aber ich warte vergeblich. Es kommt keine Nachricht von ihr und als Abdul endlich auftaucht, lasse ich mir nicht anmerken, wie schlecht gelaunt ich bin. Er kauft sich noch eine Karte und dann steigen wir in den Bus ein. Ich sitze am Fenster und schaue gelangweilt raus, während Abdul wie so ein Vollidiot, mit einem Mädchen das gegenüber von uns sitzt, Augenkontakt aufzubauen. Als sie ihn kurz anschaut, lächelt er sie an und zieht eine Augenbraue hoch. Sie setzt sich weg. Ich muss grinsen als er ihr beleidigt hinterher schaut, als der Bus anhält und wir aussteigen. „Ich schwöre dir, wären wir nicht in dem scheiß Bus, hätte ich ihre Nummer klar gemacht!! Zu Einhundertprozent man!! Sie war eh ne Schlampe, sonst wär' ich ihr schon hinterher gegangen!“. Ich höre ihm mit einem halben Ohr zu, während ich wieder auf mein Handy schaue, in der Hoffnung Amalija's Namen auf dem Display zu sehen. Aber da ist nichts, also stecke ich es wieder ein und nicke Abdul verständnisvoll zu. „Ja Bruder, Ja klar man“, sage ich ihm und biege in das Villenviertel ein, in dem Ed wohnt. Ich check' nicht ganz wieso er eigentlich nicht jedes Wochenende eine scheiß Hausparty gibt, er wohnt in dem krassesten Haus überhaupt und seine Eltern, sind sowieso nie da. Als wir vor seinem Haus stehen, schreibe ich ihm kurz, dass wir da sind und grüße einen Gärtner, der gerade die Buchsbäume in millimetergenaue Form bringt. Ed macht die Tür auf, grüßt erst Abdul und dann mich, dreht sich um und lässt die Tür offen, damit wir reinkommen. Also schlüpfe ich aus den dreckigen Vans und folge ihm, in sein Wohnzimmer, dass ungefähr so groß, wie unserer kompletter erster Stock ist. Wir reden über Mädchen aus unserer Schule, die wir sicher vermissen werden, über den neusten Mercedes und die Bundesliga. Wir spielen noch ein bisschen Playstation und währenddessen trinken wir ein Bier. Weil es schon ziemlich spät geworden ist, entscheide ich mich dafür, bei Ed zu schlafen.
Als wir schon im Bett liegen und ich nur noch ein bisschen auf Facebook herumscrolle, klingelt plötzlich mein Handy. Die aufeinmal auftauchende Anzeige blendet mich extrem und verhindert das ich sofort den Namen auf dem Display erkennen kann. Ich nehme den Anruf trotzdem an und flüstere ein „Hallo?“, in das Mikrofon.
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Über Songs die das Leben schreibt
Ficção AdolescenteÜber Musik, Liebe, Momente in denen man mutig sein muss, Träume, Visionen und darüber sich selbst zu finden. "Ich bin Schiffsbrüchiger, auf den ewigen Weiten des Ozeans und mein Rettungsboot ist ein Notizbuch voller Bilder von uns zwei. Ich bin durs...